Günter Billy Hollenbach

Das Ende der Knechtschaft


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      Ihre Wangen haben deutlich Farbe bekommen.

      „Ja, regelmäßig und meist für mehrere Wochen. Klingt toll. Das war ’s zunächst auch. Allerdings nicht besonders sozialverträglich. Nicht gut für die Familie. Oder die Freunde – außerhalb der Firma wurde es immer schwieriger. Gisela, meine Frau, also jetzt Ex-Frau, hat darunter mehr gelitten, als ich wahrhaben wollte. Zu der Zeit hat noch keiner von Globalisierung geschwafelt. Unsere Nachbarn haben mich um meinen Beruf beneidet. Es ging aufwärts. Trotzdem, ich frage mich, wie wir es damals geschafft haben, ein halbwegs gutes Familienleben zu führen. Rückblickend ist mir das ein völliges Rätsel.“

      „Und dann haben Sie da aufgehört. Weswegen?“ fragt Frau Sandner.

      „Ich wurde aufgehört.“

      „Wie, verstehe ich nicht.“

      „War auch nicht ganz einfach. Bei uns war es üblich, die Kunden, also deren Betriebe, zu zweit zu besuchen und zu beraten, als Team.“

      Einer für das Finanzielle; Buchhaltung, Gehälter, Materialkosten, Steuern etc.. Bereiche, die für die Führung der Firmen selbst oft undurchschaubar waren. Wenn dann noch Nebengeschäfte oder Korruption ins Spiel kamen – kein Betrieb lässt sich gern unter die ungemachten Betten gucken. Der Andere im Team kümmerte sich um alles, was die Organisation betrifft. Das war mein Ding. So weit so gut. Nur haben sich seit Jahren die Gewichte immer weiter verschoben.

      „Im Denken der jungen Kolleginnen und Kollegen zählten nur noch Excel und Laptop; wer braucht da noch langjährige Arbeitserfahrung und gesunden Menschenverstand? Viel wissen, wenig verstehen und sich dabei super dynamisch fühlen. Das wurde der neue Arbeitsstil.“

      Was kurzfristig unterm Strich steht, die nackten Zahlen und Bilanzen wurden immer wichtiger. Organisationsprobleme schrumpften zu lästigem Beiwerk. Ziemlicher Unsinn. Wenn die Strukturen eines Betriebes nicht stimmen, darf man nicht die Mitarbeiter dafür kritisieren.

      „Das fand ich immer falsch und ungerecht. Und letztlich schädlich für den Betrieb.“

      „Man könnte meinen, Sie sprechen über unseren Laden,“ unterbricht sie mich. „Ich gebe Ihnen mal die Nummer unserer Oberindianer.“

      „Ehrlich, geht ’s bei Ihnen auch so zu?! Klar, warum nicht. Es hat sehr viel mit der Betriebsgröße zu tun. Und mit der Zeit. Solche Schwierigkeiten entstehen nicht über Nacht. Wo war ich? Ah ja: Bei mir kam dazu: Von einem bestimmten Alter an kuschst du nicht mehr so leicht. Zumal ich mich wiederholt in meiner Meinung bestätigt fühlte.“

      „In wiefern bestätigt?“

      Was von außen betrachtet richtig erscheint, kann innen unangemessen sein. In vielen Fällen gingen die forschen Betriebsveränderungen krachend daneben, trotz der tollen Leitsätze, Re-Engineering-Pläne und Powerpoint-Präsentationen. Wenn auch meist später, wenn unser Auftrag längst beendet war.

      „Das wollte allerdings niemand hören. Will sagen, ich passte immer weniger in das kollegiale Umfeld.“

      Sie lacht kurz und humorlos:

      „Auch das kommt mit bekannt vor.“

      „Jedenfalls kam mir die Lust an der Arbeit zunehmend abhanden. Das Ende der Geschichte war trotzdem okay.“

      Die Firma gab mir einen „Goldenen Handschlag“, gutes Geld, wir haben uns einvernehmlich getrennt. Mit der Abfindung habe ich mir zwei Eigentumswohnungen gekauft. Das bringt ordentliche Mieteinnahmen. Wirtschaftlich geht mir ’s gut seit dem. Das Coachen kommt dazu; vor allem mache ich es gern. Ich muss nicht davon leben. Außerdem kann ich reisen. Zu meiner Tochter und ihrer Familie. Im März war ich für zwei Wochen in Palma de Mallorca. Was will man mehr?

      Ein bisschen Stolz empfinde ich schon beim Sprechen über mein Arbeitsleben. Es gefällt mir, mit ihr darüber zu reden. Hoffentlich hält sie mich nicht für angeberisch. Frau Hauptkommissarin, ich bin mehr als ein Zeuge in einer Strafsache; bin ein Mensch mit einem Leben, zu dem ich stehe.

      Wie wird sie über ihr beamtetes Polizeileben sprechen? Egal, ich genieße das Gehen mit ihr. Vertraut? Obwohl ich wenig über sie weiß, erscheint sie mir kaum noch als eine fremde Person.

      Der Weg ist ebener geworden als weiter unten. Wir laufen eine Weile recht zügig. An einzelnen Stellen fällt Sonnenlicht durch die hohen Baumkronen und bildet große helle, grün und braun gefärbte Flecken auf dem Boden links und rechts des Weges.

      Frau Sandner schweigt. Ich drehe meinen Kopf in ihre Richtung. Sie schaut geradeaus. Als ich meinen Blick nicht abwende, errötet sie ein wenig.

      „Was?,“ fragt sie ein paar Sekunden später.

      „Es ist schön, so zu laufen hier,“ antworte ich und schaue wieder nach vorn. „Schön, dass Sie dabei sind.“

      Nach einigen Schritten meint sie unvermittelt:

      „Okay, schweigen wir über was anderes.“

      „Schaffen wir mühelos.“

      Im Weitergehen trete ich hinter sie, fasse sie mit beiden Händen sanft an den Schultern und schiebe sie behutsam seitwärts. Nun geht Frau Sandner rechts von mir, wo ich bisher war.

      „Okay, Ende meiner Erzählungen. Sie wissen eh schon viel zu viel von mir, allein durch die Vernehmung. Jetzt sind Sie dran.“

      „Wir sagen Befragung. Was gibt es von mir groß zu berichten? Dass ich mich jeden Morgen über meinen Wecker ärgere?“

      Sie zögert, sieht mich mit dem Schatten eines schelmischen Lächelns an. „Weil – ich schlafe gern. Ehrlich, gut schlafen und dabei toll träumen ist für mich etwas Wunderbares.“

      „Ihre Arbeit raubt Ihnen demnach nicht den Nachtschlaf.“

      „Manchmal schon. Vor allem, wenn die Lösung eines Falls zum Greifen nah erscheint und du denkst, irgend etwas fehlt, irgend etwas hast du übersehen, obwohl es direkt vor deinen Augen ist.“

      „Finde ich gut, wenn man die Arbeit hinter sich lassen kann, statt Horrorbilder von Gewaltszenen oder Toten mit nachhause zu nehmen.“

      Frau Sandner hält inne, setzt sich aber sofort wieder in Bewegung.

      „Früher fiel mir das schwerer. Da hatte ich mit Tötungsdelikten zu tun. Jetzt, Raub, da halten sich die Schreckensbilder in Grenzen.“

      „Finden Sie Ihren Beruf, besser gesagt, Ihre Arbeit aufregend?“

      „Sie hält mich jung, tröste ich mich selbst.“

      „Was nun? Geruhsames Beamten-Dasein oder wilde Verbrecherjagd?“

      „Weder noch, Herr Berkamp. Verbrecher jagt bei uns die Fahndung. Die meisten Menschen können sich nicht vorstellen, wie gewöhnlich, normal langweilig der größte Teil von Polizeiarbeit ist. Sogar bei Verbrechen, die Schlagzeilen machen. Gründliche Sachbearbeitung, jede Menge Schreibtischroutine, dauernd mit der Staatsanwaltschaft telefonieren, bergeweise Berichte schreiben und lesen, Personen, Adressen oder Termine überprüfen und vergleichen, Hinweise aussortieren. Manchmal ist es aufregend. Manchmal denke ich, unsere Arbeit besteht zur Hälfte aus Warten.“

      „Warten, auf wen, worauf?“

      „Was wir machen, erfordert Geduld und Aufmerksamkeit für Kleinigkeiten. Mit dem, was die Leute in den „Tatort“-Filmen sehen, hat das nichts zu tun. Bis Sie all die beweiskräftigen Kleinigkeiten zusammenkriegen, das kostet Zeit und Nerven. Sie arbeiten ja nicht allein. Das verursachst viel von dem Warten. Auf Entscheidungen von Vorgesetzten oder Leuten aus anderen Abteilungen; Warten auf Technikergebnisse, Spurenanalyse, Zugriff der Fahnder oder die Rückkehr möglicher Zeugen aus dem Urlaub, warten auf Kleinkram eben, der aber fallentscheidend sein kann.“

      „Das war gerade ein überzeugender Werbespot für Ihre Arbeit.“

      „Danke, sagen Sie es meinem Chef.“