Günter Billy Hollenbach

Das Ende der Knechtschaft


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Tonfall bewegt sich mehr und mehr in Richtung Einlenken.

      „Tja, wenn Du meinst. Ich bin gerade in der Innenstadt, wirklich, ich kann gleich kommen. ... Na gut, wie Du denkst. ... Kommst Du heute Abend vorbei? Dann können wir in Ruhe reden. Nein?! Mädchen, da muss was passieren .... Na schön, überleg ’s dir. Und ... Schätzchen, sei vorsichtig. Ja, tue ich auch. Mach ’s gut.“

      Sie verharrt einige Augenblicke in der Stellung, bis sie das Mobiltelefon sinken lässt und in die Tasche steckt. Als sie sich wieder mir zuwendet, schüttelt sie den Kopf, schaut durch mich hindurch.

      „Unglaublich. Was denkt der sich eigentlich? Das war Mona, meine Tochter. Ich bin stolze Alleinerziehende. Sie hat Ärger mit ihrem verflossenen Freund, Liebhaber. Vor über zwei Monaten hat sie ihn rausgeschmissen, Ende Mai. Aber er will wieder zurück. Andauernd. Er fleht sie an, will mit ihr in Ruhe über alles reden. Aber sie lässt ihn nicht mehr in die Wohnung. Seit sie ihn rausgeworfen hat. Jetzt hat er es scheinbar wieder versucht und vor der Wohnungstür ein ziemliches Theater gemacht; rumgetobt, bis die Nachbarin dazukam. Zum Abschied hat er wieder ihren Briefkasten demoliert. Wie damals, als Mona ihn vor die Tür gesetzt hat.“

      Sie atmet mehrfach durch, blinkt ein paar Mal mit den Augenlidern und schluckt.

      „Er gibt einfach keine Ruhe.“

      Der Anruf hat sie sichtlich durcheinander gebracht.

      „Das tut mir leid, für Ihre Tochter. Also, Frau Sandner, wenn Sie jetzt zu ihr wollen, gehen müssen – tun Sie. Ich hätte zwar gern noch mit Ihnen geschwätzt. Aber Ihre Tochter dürfte wichtiger sein.“

      „Nein, sie will nicht, dass ich komme. Sturkopf. Das hat sie von mir.“

      „Alle Achtung, das finde ich überraschend. Ich meine, es handelt sich vielleicht um Hausfriedensbruch oder echtes Stalking ...“

      „Sie verstehen das nicht,“ unterbricht sie mich. „Gerade das ist der Grund. Sie will mich nicht einbeziehen, weil sie denkt, ich komme wieder mit Tatütata. Nicht Blaulicht und Sirene. Das mache ich doch nicht bei solchen Vorkommnissen.“

      Sie lächelt nachsichtig.

      „Mona meint etwas anderes ... mit dem Tatütata. Familieninterne Betriebsverständigung. Als Mädchen, mit fünf oder sechs Jahren, wenn sie ab und zu auf stur geschaltet hatte und mir verschweigen wollte, was sie angestellt hat. Dann habe ich manchmal den Finger ausgestreckt und gesagt: Mona, ich komme mit Tatütata, wenn du mir nicht sofort sagst, was los ist.“

      Frau Sandners Gesichtsausdruck verrät ein kurzes Hin und Her zwischen Heiterkeit und Unsicherheit.

      „Das arme Kind. Nachhaltig geschädigt durch ihre fürsorgliche Polizistenmutter.“

      Wir sitzen eine Weile schweigend da, schauen unsere leeren Teegläser an. Ein wenig bekümmert sagt sie schließlich mehr zu sich selbst: „Seit dem Krach mit diesem Freund redet Mona ohnehin weniger mit mir. Jedenfalls kommt es mir so vor. Wenn ich nicht an sie rankomme, das zu ertragen fällt mir schwer. Meine Tochter Sturkopf.“

      Ich habe nie verstanden, wenn Paare sich hemmungslos erbittert streiten, weil sie auseinander gehen. Wehe es kommt Alkohol dazu, dann reicht der kleinste unschöne Anlass, und die ganze angestaute Ladung aus Angst vor dem Verlassensein, Kränkung, Wut und Gefühlsüberforderung kommt zur gewaltsamen Explosion. Erklären kann ich das alles. Trotzdem fällt mir immer schwer zu verstehen, warum man deshalb schreiend aufeinander losgeht. Wie kann man den Menschen, der einem einmal viel wert war, am Ende völlig wertlos finden? Nur weil er sich anders verhält, als man es gewöhnt ist und haben will. Ich behaupte ja nicht, dass es leicht ist, sich zu trennen. Mein Gott, was habe ich gelitten, damals; enttäuscht, gekränkt. Mich als Versager gefühlt. Was haben wir uns nicht alles gegenseitig vorgehalten, miteinander abgerechnet. Aber die Einrichtung demolieren oder Gisela an die Gurgel gehen hätte ich mir nie verzeihen können.

      Und jetzt hier?

      Deren Leben. Wer weiß, welche Schwierigkeiten die beiden hatten, wie sie miteinander umgegangen sind. Was geht mich Mona Sandners Beziehungsmist an?! Doch in mein Bemühen um inneren Abstand mischt sich eine andere Empfindung.

      Wie sie jetzt – nach dem Verhör der Russin am Vormittag – gedankenverloren dasitzt, verspüre ich das Verlangen, Frau Sandner etwas Vergnügliches, ein kleines Zeichen der Aufmunterung zu senden. Vielleicht ist es auch das Aufkommen eines Gefühls, das über die fachliche Anerkennung hinausgeht. Persönliche Zuneigung für diese Frau. Von Beruf Hauptkommissarin im K 21.

      Kann sein, dass ich sie mögen mag.

      „Darf ich Sie noch etwas eher Privates fragen, Frau Sandner?“

      Sie nickt, ihr Blick hellt sich etwas auf.

      „Haben Sie am Wochenende Dienst? Besser gesagt, haben Sie frei?“

      Die Frage überrascht sie sichtlich.

      „Was wird das jetzt?“

      Sie senkt den Blick und errötet erneut ein wenig.

      „Ganz harmlos. Wenn ja, hätten Sie Lust auf einen Spaziergang am Sonntag Nachmittag? Rausgehen, ein bisschen laufen, im Wald zum Beispiel?“

      Frau Sandner zieht den Kopf zurück und schaut mich lange an, bevor sie antwortet.

      „Also, verstehen Sie mich nicht falsch, Herr Berkamp. Aber wenn das auf eine Einladung hinausläuft, dann finde ich das zur Zeit keine gute Idee, auch wegen Mona,“ antwortete sie tonlos und leise.

      Was hast du eigentlich erwartet, du Dussel? Trotzdem empfinde ich einen Stich Zurückweisung. Na schön, fragen kostet nichts. Die passende Antwort auch nicht.

      „Ja, Sie haben recht. Ich ziehe die Frage zurück, Frau Sandner. Von Ihrem Standpunkt aus betrachtet. Die Gefahr ist viel zu groß, dass ich versuchen könnte, in Ihren dienstlichen Angelegenheiten herumzupfuschen. Und was noch viel schlimmer wäre, ...“

      Ich zwinge mich zu einer kleinen Pause.

      „Ja, und das wäre?“

      Wenigstens schwingt jetzt Neugier mit.

      „Stellen Sie sich mal vor: Wir gehen spazieren und ich entdecke, dass ich es mit einer privaten Person zu tun habe. Oder gar mit einer Frau mit ganz alltäglichen menschlichen Empfindungen, die sogar Spaß daran findet, über belanglose Sachen wie den Umgang mit heranwachsenden Töchtern zu schwätzen. Nicht auszudenken wäre das, geradezu fürchterlich; meinen Sie nicht auch?“

      Sie sieht mich zunehmend ungläubig an, unsicher, wie ernst sie mich nehmen soll. Um sie nicht zu Wort kommen zu lassen, babbele ich weiter.

      „Deshalb ist das auch keine Einladung. Auf den Gedanken käme ich nie. Dass Sie sich von mir einladen lassen? Undenkbar! Die Sache ist vielmehr folgendermaßen: Wenn es nicht regnet, gehe ich aus Gewohnheit sonntags einfach nur spazieren. Im Taunus, zwanglos, aber zuverlässig ungefähr ab drei Uhr vom Parkplatz in Falkenstein aus hoch in Richtung Fuchstanz. Das ist ein recht hübscher Wanderweg. Der Witz dabei: Falls ich dort, rein zufällig, auf dem Waldparkplatz in Falkenstein eine Bekannte treffen würde, könnte ich die Dame, wieder rein zufällig, fragen, ob sie zufällig ...“

      „Es reicht!,“ unterbricht sie beherzt; hat immerhin wieder ein Strahlen in den Augen.

      „Schon kapiert! Ich bin kein kleiner Dummkopf! Gut, Herr Berkamp, ich überlege es mir.“

      Nach einem prüfenden Blick, begleitet von leichtem Kopfschütteln, meint sie mit siegessicherem Grinsen:

      „Außerdem regnet es am Sonntag. Ganz bestimmt.“

      „Eben. Ganz bestimmt, Frau Sandner. Bei dem Sommerhoch, das bis nächste Woche anhält. Es wird schütten wie aus Eimern.“

       16

      Sonntag,