Günter Billy Hollenbach

Das Ende der Knechtschaft


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Wagen absichtlich im vorderen Bereich des Parkstreifens, damit er leicht zu sehen ist, wenn man von Falkenstein her den Waldweg erreicht. Erwartung und eine ungeahnte Spur Aufregung haben mir daheim keine Ruhe gelassen.

      Frau Sandner kommt einige Minuten nach drei. Sie sitzt etwas vorgebeugt, suchend in einem beigemetallicfarbigen Vectra GTS der letzten Serie mit Schrägheck und markanten Spoilerkanten unter den Stoßstangen; meiner Meinung nach ein gutes Auto mit gefälligem Aussehen und solider Technik. Allerdings mit dem Makel, ein Opel zu sein. Sie rollt im Schritttempo an meinem BMW vorbei, stoppt etwas weiter oben und setzt in schwungvollem Bogen zurück in eine Lücke zwischen zwei Autos auf der gegenüber liegenden Seite.

      Sie sieht nach Freizeit aus, trägt eine leichte, hellblaue Sommerjeans und eine mit bunten Blumen bedruckte kurzärmelige Bluse, dazu blaue Schuhe mit weißen Streifen, wie Tennis- oder Jogging-Schuhe. Als sie aussteigt, zögert sie einen Augenblick. Sie öffnet die hintere Tür, holt ein leichtes rot-grün-kariertes Jackett heraus und zieht es über. Hier im Wald ist die Luft zwar angenehm, aber kühler als in der Stadt. Frau Sandner schließt ihren Vectra ab, steckt den Schlüssel in die linke Jeanstasche und geht schräg hinüber zu meinem Wagen. Da sie unter dem Schatten der Bäume niemanden davor oder darin sehen kann, hält sie ihre Hand wie ein Lichtschild an die Stirn und beugt sich gegen die Scheibe auf der Beifahrerseite.

      „Das letzte Mal, als sich jemand an dem Wagen zu schaffen gemacht hat, ging es gar nicht gut aus. Hoffentlich wird das heute anders,“ verkünde ich und trete hinter dem Baum hervor, von wo aus ich sie beobachtet habe.

      „Dann sollten wir vielleicht besser gleich die Polizei rufen,“ antwortet sie und zieht die Augenbrauen hoch in Richtung Lächeln.

      „Und ich sage Ihnen: Die ist manchmal schneller zur Stelle als man glaubt. Hallo Frau Sandner, schön Sie zu sehen.“

      „Tag, Herr Berkamp. Ich dachte mir, da es nicht regnet ...“

      Sie reicht mir die Hand, sieht erfreut, na ja, mindestens heiter, an mir vorbei. Oh, die Dame ist nervös. Dann sind wir schon zwei.

      „Eh, das ist ja hübsch hier. Ich glaub’, ich bin schon ewig nicht mehr hier oben gewesen.“

      Sie deutet mit der linken Hand weg vom Parkplatz.

      „Ich nehme an, da geht ’s lang, da hoch?“

      „Stimmt. Ich wusste übrigens, dass Sie kommen, Frau Sandner.“

      „Ah ja. Und woher wussten Sie das? Haben Sie mich beschattet?“

      Weil sie stehen bleibt, drehe ich mich zu ihr.

      Ich muss loslachen.

      „Das fehlte noch. Nein, meine Intuition hat ’s mir verraten.“

      „Aha, Ihre Intuition. Schon wieder.“

      Ihr wissender Blick wandert langsam an mir herab und verweilt unmissverständlich in der Gegend unterhalb der Gürtelschnalle meiner Jeans. Mit entwaffnend unschuldigem Augenaufschlag fragt sie:

      „Und wo sitzt Ihre Intuition, hier etwa?“

      Sie führt ihre linke Hand in Richtung ihrer Bauchgegend.

      Ich schüttele grinsend den Kopf.

      „Ne, das ist ’ne andere Art. Meine Intuition erscheint hier vor mir.“

      Dabei bewege ich meine flache linke Hand kurz vor meiner Stirn kreisend hin und her. Zwei Sekunden lang sieht die Sandner mich an, als könnte sie erkennen, aus welcher Anstalt ich entflohen sein muss. Dabei habe ich nur ehrlich geantwortet.

      Dann rucken ihre Stirnfalten etwas nach oben.

      „Ja logisch! Völlig klar. Da oben, hätte ich eigentlich gleich draufkommen können“, zuckt sie mit der rechten Schulter und grinst kopfschüttelnd. „Nein, ungefähr so verrückt wie die Tatsache, dass wir uns hier treffen. Rein zufällig, natürlich.“

      „Zufällig können wir bald wieder heimfahren, wenn wir hier noch länger stehen. Laufen in frischer Luft ist angesagt, Frau Sandner. Also, gehen wir?! Wenn wir Glück haben, sehen wie auch ein paar Monokatis. Die sollen sich ja seit einiger Zeit hier wieder angesiedelt haben.“

      Sie bleibt erneut stehen.

      „Monokatis, was ist das? Wie sehen die aus?“

      Ich drehe mich wieder zu ihr.

      „Ich weiß es nicht. Ich hab noch keine gesehen.“

      Sie lachte los, kopfschüttelnd. Strahlende Augen und diese leicht und treffsicher wechselnde Mimik.

      „Also, Sie sind unmöglich, Herr Berkamp. Bestimmt müssen Sie betteln gehen. Ich wette, wenn Sie Ihr Coachen genauso machen, laufen Ihnen die Kunden in Scharen davon.“

      Allmählich verfallen wir in ein gleichmäßiges Gehen und verlassen den langgestreckten Parkstreifen.

      „Von wegen. Lachen gehört dazu. Es hilft, Ängste zu überwinden und öffnet die Tür für neue Gedanken. Und ist nebenbei einfach gesund.“

      „Eigentlich bin ich ja nur hier,“ erklärt sie gespielt abfällig, „weil Sie mir noch nicht verraten haben, was Sie mit Ihrem Klienten, diesem männlichen Stalking-Opfer, gemacht haben, erinnern Sie sich; wie Sie dem geholfen haben. Wenn Sie mögen, zumindest allgemein; oder verletzt das Ihre Berufsehre?“

      Hallo, die Dame hat aufmerksam zugehört am Freitag.

      „Ja, ja, kann ich Ihnen sagen, ohne in persönliche Einzelheiten zu gehen. Ich habe ihn seine Erfahrungen, Gedanken und Gefühle bezüglich der Frau, die ihn verfolgt hat, auf ein paar Blätter Papier schreiben lassen. Ohne mich.“

      Was er geschrieben hat, habe ich nicht gelesen. Danach sind wir im Feld bei mir in der Nähe spazieren gegangen. Ich habe den Kunden gebeten, sich von den niedergeschriebenen Gedanken zu verabschieden; dann hat er die Blätter verbrannt. Das war ’s. Ein paar Tage später kam er noch einmal, und wir haben das Thema Vertrauen bearbeitet. Seine Ehefrau, die Ärmste, letztlich unbeteiligt, hatte verständlicherweise ziemliche Schwierigkeiten, das Stalking zu verstehen.

      „Weil sie natürlich erst mal unterstellt hat, ihr Mann hätte etwas mit der fremden Frau.“

      „Aufgeschrieben und verbrannt ... schön. Auf den Gedanken kommt man nicht von allein. Ob ich ... darf ich?“

      „Das hängt davon ab, was Sie wollen, Frau Sandner.“

      Sie stutzt, kichert in sich hinein.

      „Mann, das mit dem Papier natürlich. Darf ich das auch machen, mit unserer russischen Prostituierten; ihre Idee mit dem Aufschreiben und Verbrennen klauen, genaugenommen?“

      „Jetzt, hier? Haben Sie Papier dabei?“

      „Nein, natürlich nicht. Ich meine allgemein, wenn ich zuhause bin, heute Abend zum Beispiel.“

      „Ja klar, tun Sie. Ich gebe Ihnen noch einen Tipp dazu. Machen Sie es im Beisein eines Menschen, der Ihnen wohlgesonnen ist. Aus irgend einem Grund funktioniert es besser als allein. Aber sprechen Sie nicht über das, was Sie aufgeschrieben haben. Außerdem war das nicht meine Idee, Sie klauen also nichts.“

      „Und wo lernt man solche Sachen?“ fragt sie, während sie einem Mountain-Biker ausweicht, der schnaufend zwischen uns bergan strampelt.

      „Das meiste habe ich in privaten Workshops in den USA gelernt. Aus eigenem Fortbildungsinteresse. Das passte damals gut zu meiner Arbeit als Organisationsberater.“

      „Als Organisationsberater, privat oder in einer Firma?“

      „Eine Firma, KM und Partner. In Fachkreisen ziemlich bekannt. Autobranche, Zulieferbetriebe waren unsere Kunden. Das heißt zwar Mittelstand, sind aber oft ziemlich große Firmen, mit Produktionsstätten im In- und Ausland; Brasilien, China, USA, in der Türkei. In Ägypten vor allem Lastwagen. Mein Gebiet war Betriebsorganisation, Arbeitsabläufe, Personalstruktur.“