Günter Billy Hollenbach

Das Ende der Knechtschaft


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schön, dann eben keinen Bienenstich. Selbst schuld.“

      Dass eine Mutter wie sie die Tochter nicht zu einer Anzeige überreden kann, will mir nicht in den Kopf.

      „Wenn Ihnen das unangenehm ist, Frau Sandner, dann lassen wir ’s. Aber wieso hat Ihre Tochter den Kerl nicht angezeigt?“

      Sie bleibt stehen, beide Hände in die Seiten gestützt, und fragt beinahe vorwurfsvoll:

      „Führen Sie jetzt das Verhör als Fachmann für Beziehungskrach?“

      Oh, hallo! Bei dem Thema zeigt die Dame Nerven.

      „Entschuldigung, ich wollte Ihr berufliches Können nicht in Frage stellen, Frau Sandner. Ich merke nur, dass Ihnen das Ganze zu schaffen macht. Wenn der eigenen Tochter so etwas widerfährt ...“

      Sie senkt angekratzt den Blick und schneidet mir den Satz ab.

      „Sie haben recht, es belastet mich. Tut mir leid. Gerade weil wir als Polizei damit Erfahrung haben, mehr als genug.“

      „Womit?“

      „Kennen Sie die inneren Triebkräfte bei Auseinandersetzungen in vielen Partnerbeziehungen, Herr Berkamp? Schwer verständlich für Außenstehende, können Sie mir glauben.“

      Zu viele geprügelte Frauen erfinden die beklopptesten Ausreden für ihre aufgeschlagenen Lippen, die Veilchen unter den Augen oder angebrochene Rippen. Nur um ihre häuslichen Schläger zu schützen. Das tun sie nicht nur aus Angst.

      Frau Sandner spricht immer erregter.

      „Nein, die Frauen geben sich selbst die Schuld dafür, dass er sie verdrischt! Er kann nichts dafür, meint es nicht so; und sie haben es irgendwie verdient. Viele Frauen schämen sich, schaffen es nicht, sich und der Polizei die eigene Schwäche einzugestehen, weil sie Matschbirnen sind, die es mit sich machen lassen.“

      Ich berühre sanft ihren rechten Ellbogen.

      „Kommen Sie, lassen Sie uns weitergehen.“

      Sie lächelt knapp, fast dankbar, geht dennoch langsamer weiter, klingt zunehmend vorwurfvoll. Es gilt teilweise mir sowie ihrer abwesenden Tochter.

      „Oh ja! Ich weiß nur zu gut, wovon ich rede. Dass müssten Sie doch verstehen können. Als Mutter gelingt es mir, eine Spur von Mitleid und Verständnis aufzubringen. Aber als Polizistin, ne! Wenn ich mich nicht zusammennehme, könnte mich eine ungeheuere Wut packen. Mona ist nicht abhängig von ihm. Aber lässt sich trotzdem nicht zu einer Anzeige bewegen.“

      Sie steht wieder, schaut mich verständnissuchend an.

      „Stop. Aufhören! Wenn Sie weiter derart laut reden, vertreiben Sie die wenigen Monokatis. Die sind nämlich sehr scheu.“

      Ihr kurzes, verlegenes Lächeln verfliegt im Nu.

      Wir gehen eine Weile schweigend. Bis sie leise meint:

      „Sie haben recht. Entschuldigen Sie, was gehen Sie unsere Wehwehchen an?! Es beschäftigt mich halt. Mona wollte keine Anzeige ... auch aus Rücksicht auf mich. Das macht es für mich noch schwerer.“

       18

      Es dauert eine Sekunde. Dann läuft es mir heiß den Nacken hinab. Ich begreife, was Frau Sandner gerade ungewollt preisgegeben hat. Etwas, das sich mit der bemerkenswerten Wortwahl letzte Amtshandlung verbindet. Fast höre ich es knistern in meinem Kopf. Oh Mann! Wenn das stimmt, nimmt die Sache eine ungeahnte Wendung. Und wird sehr unerfreulich. Oder ist bereits gegen ein übles Hindernis gekracht.

      „Rücksicht auf Sie?,“ frage ich nach.

      „Ja, auf mich,“ antwortet sie säuerlich, in Gedanken erkennbar immer noch woanders.

      Aus Rücksicht auf mich?! Doch nicht als Mutter!

      „Monas schlagender Verflossener ist Polizist?“

      Frau Sandner erstarrt, sichtlich erschrocken. Und ich weiß Bescheid.

      „Wie? ... Nein, ja, ... doch,“ antwortet sie schließlich kleinlaut.

      „Das ändert alles. Jetzt verstehe ich Ihre Tochter. Eine derartige Anzeige dürfte nicht lange vertraulich bleiben, oder? Unter den Kollegen.“

      „Das kann man wohl sagen. Und ich gebe mir eine Mitschuld. Weil ich sie mitgenommen habe; zu einem Kegelabend mit meinen Leuten. Da hat Mona ihn kennen gelernt.“

      „Saublöde Lage,“ gebe ich zu.

      Mein Kopf dreht auf. Wie viele mögen das gewesen sein, ihre Leute, beim Kegelabend? Keine Ahnung; schätzen wir mal. Drei, vier davon dürften Frauen sein, eine Handvoll mehr Männer, viele zu alt und in festen Beziehungen. Da bleiben nur wenige Möglichkeiten für eine Liebschaft übrig. Obwohl? Auch verheiratete Männer naschen gern mal außerhalb. An der Tochter einer leitenden Kollegin?

      Ne, ne, wenn, dann ledig.

      „Oberkommissar Schuster?“

      Der Name fällt mir einfach aus dem Mund, unüberlegt.

      Frau Sandner zuckt richtig zusammen, wie nach einem Schlag auf den Rücken, wird bleich im erstarrten Gesicht. Blinzelt mehrmals, errötet und schaut zu Boden.

      Die Antwort ist deutlich genug.

      Schuster also! Er hat Monas Zimmer verwüstest, sie geschlagen und ihren Briefkasten demoliert. Der Kollege der Mutter. Wie war das, mein Eindruck am Samstag in dem VW-Bus? Breites Gesicht, Neigung zu Aggressivität. Alles andere als ein Traumpaar, die beiden Beamten.

      Auch am Dienstag bei meiner Befragung im Präsidium. Dass es zwischen ihnen nicht zum Besten steht, habe ich zwar gespürt. Doch dafür hätte es jede Menge anderer Gründe geben können.

      Aber das jetzt?! Meine innere Sturmwarn-Sirene heult richtig los, lässt meinen Coach-Kopf zwei Gänge höher schalten. Der wahre Hammer an der Sache geht mir Sekunden später auf.

      Wenn rauskommt, einer der Ihren verprügelt die Tochter, zieht das zwangsläufig auch die Kollegin Mutter in Mitleidenschaft. Die stellt sich moralisch auf die Seite der Tochter, natürlich; damit unausweichlich gegen den beschuldigten Kollegen. Das findet selten den Beifall der übrigen Mannschaft. Plötzlich reißt eine Front auf. In jeder festen Mitarbeitergruppe in beliebigen Betrieben lassen sich vergleichbare Verhaltensmuster finden. Reine Gefühlssache; trotzdem nachhaltig unschön.

      Noch stärker bei der Polizei?!

      Wo ein eigentümlicher Geist von Kameraderie und Zusammenhalt hinzukommt. Der mag mir zwar fremd sein. Doch meine Phantasie reicht, um mir die Folgen auszumalen. Hier muss eine solche Anschuldigung besonders böse wirken. Sie lässt sich nicht eingrenzen auf den moralischen Zwang für die Mitarbeiter, sich rauszuhalten oder auf die richtige Seite zu stellen. Der Vorwurf unrechtmäßiger Gewaltanwendung zerreißt das unbewusst geteilte Band von Werten, denen sich Polizisten verpflichtet fühlen. Er stiftet persönliches und dienstliches Misstrauen und vergiftet ihre alltägliche Zusammenarbeit.

      Für einen Polizisten dürfte sich eine zusätzliche Schwierigkeit ergeben, kleingedruckt in entsprechenden dienstrechtlichen Vorschriften. Sobald eine Gewaltanschuldigung zu einem amtlichen Vorgang wird, folgt beinahe zwangsläufig eine Untersuchung oder ein Disziplinarverfahren. Das kann zu ernsten beruflichen Nachteilen führen. In jedem Fall kratzt es zuverlässig am Ruf aller Beteiligten, selbst wenn die Ermittlungen zu keinem eindeutigen Ergebnis führen.

      Sind Frauen beteiligt, erhält die Sache eine zusätzliche, vorurteilsbeladene Drehung. Dem Kollegen mochte die Hand ausgerutscht sein; oder auch nicht. Wenn Zeugen oder eindeutige Beweise fehlen, kann eine Frau viel behaupten. Aus Missgunst oder einer vermeintlichen Kränkung durch gelegentlich nicht zimperliches Polizistengehabe. In jedem Fall nachhaltig rufschädigend für den bisher geschätzten Kollegen.

      Muss diese Tussi soviel Trara machen? Um einen kleinen Personen-