Günter Billy Hollenbach

Das Ende der Knechtschaft


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ihr etwas über Schamanisches erzählen. Für solche Themen interessiert sie sich sehr, liest viel darüber, soweit ich das mitkriege.“

      Schneller als mir lieb ist erreichen wir den Parkplatz.

      „Der Spaziergang war richtig schön; wer hätte das gedacht. Reich an Erkenntnissen und Bekenntnissen,“ erklärt sie neben ihrem Vectra, den Blick auf das Autoschloss gesenkt. Dann schaut sie kurz auf:

      „Mach ’s gut, Robert. Bis ... na ja, mal sehn.“

      „Vielen Dank für den netten Spaziergang, Herzchen.“

      „Huh, Herzchen? Wie das, so schnell?

      „Ja, Corinna. Cora hat die Bedeutung von Herz, lateinisch, und Corinna ist eine Verkleinerung, eine Koseform, eben ,Herzchen’.“

      Sie errötet leicht:

      „Wusste ich nicht. Nett, ja, ganz hübsch. Danke Robert. Es kann passieren, dass ich ... mich wieder melde und wir das wiederholen von heute. Vielleicht zu dritt. Also, tschüss.“

      „Danke, dir auch. Gerne, melde dich.“

      Ich schaue ihr nach, bis der Wagen auf der schmalen Straße am Ende des Waldparkplatzes in Richtung Falkenstein verschwindet.

      *

      Wenige Augenblicke später ist sie da, diese schwer zu beschreibende, aber klar spürbare Empfindung im Bereich oberhalb des Nackens.

      Ich werde beobachtet.

      Ich zwinge mich, ruckartige Bewegungen zu vermeiden, als ich mich umdrehe, den Blick langsam über die beiden Reihen geparkter Autos streifen lasse und hinüber zu meinem BMW gehe.

      Halb rechts hilft eine junge Frau einem kleinen Mädchen beim Aussteigen vom Rücksitz einen VW-Touran. Die kommt nicht in Frage.

      Vielleicht der rundliche Mann, der weiter oben links ein Klappfahrrad in den Kofferraum einer Mercedes-Limousine lädt? Unwahrscheinlich. Bewegt sich da nicht eine dunkle Gestalt an der Fahrertür eines silbergrauen Audi A 3? Bilde ich mir das nur ein? Verfolgt jemand aus einem geparkten Auto heraus meinen Weg?

      Oder hat der heimlich Beobachter es eher auf die Frau Hauptkommissarin abgesehen? Ein Mann in ihrem Leben, den sie, aus welchen Gründen auch immer, unerwähnt gelassen hat? Am Ende ein glühender Verehrer, von dem sie selbst keine Ahnung hat?

      Hoffnungslos.

      Unter den dunklen Schlagschatten der Bäume schimmern die Scheiben der meisten Autos wie Spiegel oder polierte dunkelgraue Sichtblenden. Aber eins weiß ich: Dieses sonderbare Gefühl trügt selten bei mir.

       19

      Dienstag, 2. August

      Natürlich fällt mir die ungeschriebene amerikanische Dating-Regel ein, von der mir Claudia in Santa Fe erzählt hat. Danach muss Er Sie spätestens am Abend nach der ersten Verabredung anrufen, wenn er sich Hoffnung auf ein Wiedersehen macht. Allerspätestens. Für „Bräute“ im Teenager-Alter sei das Ausbleiben einer Elektronischen Kurznachricht – SMS – innerhalb einer Stunde bereits Beweis genug, dass der Kerl nichts taugt und sie sich einem anderen zuwenden kann.

      Ob Corinna Sandner diesen Unfug auch kennt und das Gleiche erwartet? Wenn romantische Regungen ins Spiel kommen, können Mädchen sehr eigen sein; und Buben ungewöhnlich unsicher. Lasse ich es darauf ankommen? Und werde fortan von ihr mit dürren Ausreden abgewimmelt. Oder flüstere ich ihr tags darauf ins Ohr, wie gut mir ihre erlesen hübschen Schuhe gefallen haben?

      Bescheuerte Überlegungen, die mich am Montag gelegentlich und am Dienstag beständig mehr beschäftigen. Aber unvermeidlich, wenn du, wie ich, Facebook und Twitter mit entschiedener Missachtung strafst. Als ich ihre Nummer gegen sieben Uhr abends – zugegeben mit einem ungewohnten Zucken im Finger – das erste Mal tippe und etwas ungeduldig dem Wählzeichen lausche, bleibt es dabei.

      Erleichtert, keinen Anrufbeantworter mit einem heiteren „Leider sind wir gerade nicht zu Hause ...“ losquaken zu hören, lege ich den Hörer wieder auf. Anscheinend ist sie unterwegs. Bei ihrer Tochter? Quatsch, wahrscheinlich kämpft sie immer noch heldenhaft für Recht und Gesetz. Um die Uhrzeit? Wie mag eine Beziehung zu einer Frau mit diesem Beruf aussehen? Falls das zarte Pflänzchen unserer privaten Gemeinsamkeit überhaupt weiter gedeiht. Geregelte Arbeitszeit, fester Dienstschluss wie beim Postamt? Stell dich nicht dümmer als du bist. Selbstverständlich dauernd in Abrufbereitschaft; auch nach Feierabend. Mit grauenhaften Verbrechensbildern im Kopf? Und einer Pistole unter dem Kopfkissen? Das dämpft jede Erwartung an traute Zweisamkeit. Bei ihr vielleicht ebenfalls. Weil sie die Eigenheiten ihrer Tätigkeit genug belasten und sie sich die Mühen der Beziehungspflege besser gleich spart?

      Oder ist die Sache viel einfacher? Ihr Telefon zeigt meine Nummer an und die Dame hat längst beschlossen, ich möge ihr gefälligst den Buckel runterrutschen?!

      Kurz vor neun probiere ich es noch einmal. Schließlich ist auch die Tagesschau längst vorbei. Es klickt in der Leitung, gefolgt von einem trockenen, auffordernden:

      „Sandner.“

      *

      Mann, ich habe ja richtig Herzklopfen.

      „Guten Abend, äh ... Corinna, hier ist Berkamp, Ro....“

      „Hey, Robert“, fällt sie mir hörbar erfreut ins Wort; „schön, gerade wollte ich dich anrufen; warte mal ..., ich hole mir nur meinen Tee.“

      Klappern, leises Rauschen in der Leitung, dann wieder Klappern.

      „So, bin wieder da. Ich bin erst vor zehn Minuten heimgekommen.“

      Hörbares Schlürfen.

      Bis vor einer Stunde, erklärt sie, war ihre Wenigkeit bei einer Personenüberprüfung in einer Rotlicht-Bar gefragt. Die Zielpersonen kamen später als angekündigt. Das reicht ihr für heute.

      „Hast Du Zeit zum Reden? Bist Du gut heimgekommen? Am Sonntag, nach unserem Spaziergang? Na klar, das war wirklich schön, mal was ganz anderes. Vielleicht hätten wir doch noch weiterlaufen sollen, Bienenstich futtern.“

      Ob sie auch mal Atem holt?

      „Ehrlich gesagt, ich weiß gar nicht, wann ich das letzte Mal diese Art Naturgenuss hatte und obendrein mit jemandem, der nicht aus meinem Arbeitsfeld stammt.“

      Allmählich wird sie ruhiger, unterbricht sich selbst: „Oh, Gott, ich rede und rede“, fragt schließlich: „Gibt ’s was, ich meine, hast Du einen bestimmten Grund, dass Du anrufst?“

      Auch wenn es anfangs etwas holpert, wir telefonieren beinahe vier Stunden lang miteinander. Es wird das erfreulichste Telefonat seit langem für mich. Bei dem ich mich sogar traue, Dinge zu sagen, über die ich sehr selten spreche. Weil ich oft erlebt habe, dass sie meine Zuhörer in Angst und Schrecken versetzen und mich nachdenklich, traurig und allein zurücklassen.

      „Ja, klar gibt es einen Grund. Ich möchte deine Stimme hören.“

      Stille. Schlürfen, verhaltenes Schmatzen.

      „Du siehst mich erröten.“

      „Leider nein. Schön, ich stelle es mir vor.“

      „Ja, ja, was Männer sich vorstellen, wenn sie an eine Frau denken.“

      „Wenn das so ist; ohne meinen Rechtsanwalt sage ich nichts mehr. Jedenfalls fand ich unseren Spaziergang sehr schön.“

      „Danke, ebenfalls. Also laufen wir demnächst wieder. Pech,“ kichert sie, „kein Sekt unter südlicher Sonne sondern Bienenstich auf dem Fuchstanz. Vorausgesetzt, Du bist schön artig und nimmst Rücksicht auf meine zarte Seele.“

      „Corinna, reden wir lieber vom Wetter. Ne zarte Seele habe ich selbst.“