Dominik Trottier

Ultreya auf dem Camino


Скачать книгу

einen vorerst letzten Statuseintrag auf Facebook verfasste. Eigentlich war ich davon überzeugt, dass viele den Titel des überaus erfolgreichen Buchs kennen und schlussfolgern würden, dass ich mich auf den Jakobsweg begeben werde. Offensichtlich war es aber nicht offensichtlich genug. Zumindest lautete der erste Kommentar auf meinen Eintrag: »Wohin geht´s?«

       Es geht zunächst nach Saint-Jean-Pied-de-Port. Ein an Spanien grenzendes, französisches Städtchen, in dem ich und voraussichtlich viele Andere das Pilgerabenteuer beginnen werden.

       Von dort werde ich dann ab morgen frohen Mutes die besagten achthundert Kilometer durch Nordspanien marschieren und dabei gleich vier spanische Regionen kennen lernen: Navarra, La Rioja, Kastilien und León sowie Galicien. Außerdem schlängelt sich der Camino Francés durch viele interessante und mir aus dem Spanischunterricht bekannte Großstädte wie Pamplona, Logroño, Burgos, León und schließlich Santiago de Compostela.

       Während ich am Stadtrand von Bayonne das Industriegebiet durchquere, bin ich zunächst etwas überfordert mit der Situation. Der Busfahrer hat mich geradezu irgendwo im Nirgendwo aussteigen lassen. Lange Zeit irre ich einfach nur dumm umher und finde nichts, was mir den Weg zum Bahnhof dieser Stadt weist.

       Schließlich spreche ich einen Passanten auf dem Gehweg an. Ich habe Glück, denn er kann mir helfen und immerhin auf Spanisch eine kurze Wegbeschreibung geben. Dazu deutet er mit seinem Finger in die Richtung, in der die estación de tren liegen muss.

       Dort angekommen, verpasse ich aufgrund meiner Irrwege leider meinen Zug um wenige Minuten. Der Nächste fährt erst wieder in etwa drei Stunden ab. Also nutze ich die Zeit, kaufe mir ein Ticket, esse bei herrlichem Sonnenschein ein leckeres Sandwich Le Complet und schreibe zum ersten Mal in mein schwarzes Büchlein rein.

       Letzteres habe ich in ähnlicher, wenn auch weitaus weniger ausführlicher Form, vergangenes Jahr im November auf der Interrail Europareise mit zwei meiner besten Kumpels getan. Dort führte ich allerdings Buch über total uninteressante Abfahrtszeiten unserer Züge und lediglich vereinzelte Geschehnisse vom Tag. Wir wollten unsere Tour bestmöglich dokumentieren, hatten aber nur selten Zeit und Lust ausführlich über sie zu schreiben. Also haben wir unsere Reise überwiegend mit einem Camcorder in Bild und Ton festgehalten, was uns natürlich schnell auf die Idee gebracht hat, ein Video daraus zu schneiden. Aus dem geplanten Video wurde schließlich ein richtiger Film, der mit einer Länge von über neunzig Minuten bei Familie und Freunden für viel Unterhaltung gesorgt hat. Bewegtbild war das ideale Medium, um unsere Erinnerungen teilen und verewigen zu können.

       Für die Pilgerreise habe ich nun völlig andere Beweggründe. Jedoch möchte ich auch hier viele meiner Erfahrungen festhalten, um sie anschließend mit meinen Eltern, meiner Schwester und auch mit Freunden zu teilen.

       Ich reise alleine, habe viel Zeit mitgebracht und verspüre fast schon das Bedürfnis, meine Gedanken in Schrift zu verewigen. Wenn ich alt und senil bin, werde ich mich glücklich schätzen, anhand dieser Notizen auf meine Pilgerfahrt zurückblicken zu können. Und auch wenn ich an dieser Stelle bereits in der hoffentlich fernen Zukunft in Nostalgie zu schwelgen wage, so möchte ich es später nicht bereuen müssen, meinen Jakobsweg in keiner Form festgehalten zu haben.

      Ich sitze jetzt im Zug und sehe mir die anderen Fahrgäste an, die zweifelsohne aus demselben Grund hier sind wie ich. Nie im Leben hätte ich gedacht, dass es zu dieser Jahreszeit schon so viele Leute auf den Jakobsweg zieht. Unter ihnen gibt es bestimmt einige hartgesottene Pilgerveteranen, aber ich werde in diesem Zug bei Weitem nicht der Einzige sein, der sich zum ersten Mal auf den Jakobsweg begibt. Das macht mir Mut und lässt mich nun endgültig nicht mehr daran zweifeln, dass ich hier definitiv richtig bin. Pyrenäen? Her damit!

       Unfreiwillig fange ich an zwischen den Anderen und mir Vergleiche aufzustellen. Zwar ist mein Rucksack noch nicht mal annähernd voll gepackt, aber selbst als Pilgerlaie weiß ich, dass er viel zu schwer und vermutlich auch etwas zu groß ist. Das Volumen umfasst nämlich ganze fünfundsiebzig Liter und lässt sich bei Bedarf sogar nochmal um zehn Liter erweitern. Abgesehen von meinen Wanderschuhen, deutet vermutlich auch meine Kleidung auf alles andere als einen erfahrenen Pilger hin.

       Auf den zweiten Blick fallen meine Klamotten aber gar nicht mal so sehr aus dem Raster, der Größenunterschied unserer Backpacks allerdings umso mehr. Ich hatte ihn mir vergangenes Jahr hinsichtlich der einmonatigen Europareise zugelegt und bin damit bestens zurechtgekommen. Je größer der Rucksack, desto mehr nimmt man natürlich mit. Mit Proviant wog er etwa dreiundzwanzig Kilogramm. Kein Problem, wenn man sich fast ausschließlich mit dem Zug fortbewegt. Vierzig Kilometer am Tag zu Fuß gehen möchte ich damit aber nicht.

       Für den Jakobsweg setzte ich mir daher zum Ziel, das Gewicht mindestens zu halbieren und nur das Allernötigste einzupacken. In meinem Fall sind das folgende Dinge: eine lange und zwei kurze Hosen, eine Jacke, zwei Funktionsshirts, ein Deutschlandtrikot, eine Mütze, eine Sonnenbrille, drei Paar Socken, vier Unterhosen, Schlafsack, ein kleines Kissen, Zahnputzzeug, Deo, Reiseapotheke, zwei kleine Handtücher, eine 1 ½ Liter Aluminiumflasche, Wanderstöcke, ein zweites Paar Schuhe, Rückflugticket, Personalausweis, etwas Lesestoff, eine Digitalkamera, eine Karte mit Höhenprofil und mein OUTDOOR Reiseführer.

       Im aktuellen Zustand wird er mir auf Dauer zu schwer sein. Ich werde mich wohl oder übel schon bald von ein paar dieser bereits recht wenigen Dinge trennen müssen.

       Im Zug mir schräg gegenüber sitzt Paulo Coelho, der brasilianische Schriftsteller und Autor des Weltbestsellers Der Alchimist. Natürlich ist er es nicht wirklich, aber er sieht ihm zumindest verdammt ähnlich. Neugierig und interessiert überlege ich aus welchem Land er kommen könnte. Aufgrund seines äußerst lässigen Auftretens vermute ich, dass er die Reise nicht zum ersten Mal macht. Total entspannt isst er genüsslich einen Joghurt und summt dabei irgendwas vor sich hin. Danach checkt er mehrmals sporadisch sein Handy, schaut aus dem Fenster und betrachtet die Landschaft. Als Paulo sich dann bei einem jungen Pärchen wegen einer Kleinigkeit mit »grazie« bedankt, verrät er schließlich seine Herkunft.

       Volltreffer! Mein Tipp wäre italienischer Opernsänger gewesen.

       Nach etwa einer Stunde und fünfzig gefahrenen Kilometern hält der Zug an. Ich steige aus dem Pilgerexpress aus und sehe wie Einige mit ihrer Kamera vermutlich ein und dasselbe Bild knipsen. Ihr Motiv ist das Schild am Bahnhofsgebäude, auf dem der Name des Orts in großen Druckbuchstaben zu lesen ist.

       ST-JEAN-PIED-DE-PORT.

      Für einen kurzen Moment überlege ich es ihnen gleichzutun. Allerdings kostet es mich in diesem Moment ernsthaft Überwindung, die Kamera aus dem Rucksack zu fischen, nur um ein Foto zu schießen, das es ohnehin vielfach im Internet gibt. Warum soll ich mir die Mühe machen, noch ein weiteres beizusteuern? Also lasse ich es sein. Hier auf dem Jakobsweg bin ich kein Tourist, sondern Pilger.

       Und während ich so darüber nachdenke, ob es sich überhaupt gelohnt hat die Kamera mitzunehmen, schließe ich mich dem Pulk in Richtung Ortskern an. Einige Pilger sehen wirklich sehr routiniert aus und wissen offensichtlich genau wo es lang geht. Ich lasse mich ein wenig zurückfallen und folge ihnen blind.

       Direkt vor mir läuft das junge Paar aus dem Zug. Erst jetzt sehe ich, dass sie den Jakobsweg nicht zu zweit, sondern mit ihrem Hund gehen werden. Genau wie die Herrchen, hat auch der kleine Vierbeiner einen eigenen Rucksack, den er tapfer auf dem Rücken trägt.

       Es geht bergauf, an diversen Geschäften vorbei und Menschen, die uns einen buen camino wünschen. Auf einmal biegt die Kolonne nach links ab und betritt nacheinander ein Gebäude. Vor dem Eingang angekommen, erkenne ich, dass es sich hierbei um das offizielle Pilgerbüro handelt, in dem es ordentlich zugeht.

       Ein Neuankömmling nach dem anderen wird hier mit seinem oder ihrem Anliegen abgefertigt. Alle sind natürlich scharf auf den allerersten Stempel im credencial. Sofern man noch keinen hat, kann man sich auch ohne Weiteres einen neuen Pilgerausweis ausstellen lassen. Neben Informationsblättern für die anstehende Etappe, erhalten Pilger zudem Auskunft über die lokalen Herbergen.

       Ich stelle mich in die wartende Schlange und muss aufpassen, dass ich mit meinem großen Rucksack in dem engen Raum nichts umwerfe. Erneut schaue ich mir die Gesichter der Pilger an. Mit meinen