Dominik Trottier

Ultreya auf dem Camino


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hätte man einen Coach, der einen unentwegt vom Spielfeldrand aus anfeuert. Aber auch Mitspieler, beziehungsweise Pilgerkollegen, rufen sich diese zwei aufmunternden Worte bei jeder Begegnung zu.

       Ein großes Grenzschild am Straßenrand informiert uns schließlich darüber, dass wir nun Frankreich verlassen und Spanien betreten. Schon seit geraumer Zeit ist Spanien mit Abstand mein europäisches Lieblingsland. Ich mag die Sprache, die Menschen, ihre Kultur und bin zudem großer Fan von Rafael Nadal.

       Mein erster Besuch in Spanien fand im Zuge eines privat organisierten Schüleraustausches statt. In den Sommerferien flog ich für mehrere Wochen zu meinem damaligen Austauschpartner Francesc und seiner Familie, die in einer wunderschönen Strandstadt nahe Valencia wohnten. Ein Jahr später unternahm ich einen weiteren Schüleraustausch. Dieses Mal ging es mit meinem Spanischkurs für eine Woche nach Elorrio ins Baskenland, wo ich meine Gastschwester Maite kennenlernte. Beide Austauschpartner habe ich in den darauffolgenden Jahren erneut besucht. Damit konnte ich nicht nur mein Vokabular unwahrscheinlich vergrößern, sondern, viel wichtiger, mir auch ein wertvolles Sprachgefühl aneignen, das mir wiederum im Unterricht zugute kam. Tatsächlich spreche ich mittlerweile besser Spanisch als Englisch.

       Wenn ich von der Abifahrt nach Lloret de Mar und dem Partyurlaub mit meinen Jungs auf Ibiza mal absehe, ist mein letzter Spanienaufenthalt nun etwas mehr als zwei Jahre her. Zu Weihnachten 2009 besuchte ich mit meinen Eltern meine Schwester in Andalusien, der südlichsten Region Spaniens. In Estepona, in der Nähe von Marbella, absolvierte sie während ihres Bachelorstudiums ein Semester lang ihr Auslandspraktikum in einem Luxus-Strandresort. Obwohl sich in dieser Woche leider kaum die Gelegenheit ergab, Spanisch zu sprechen, war es dennoch schön eine weitere Gegend Spaniens kennengelernt zu haben.

       Nun hat mich Spanien also wieder. Mehr als einen Monat werde ich mich hier aufhalten. In dieser langen und voraussichtlich sehr intensiven Zeit, werde ich aber hoffentlich nicht nur Spanisch lernen, sondern auch etwas über mich selbst.

      Als der Regen irgendwann nochmals zunimmt, beschließen wir eine Pause einzulegen und eine Kleinigkeit zu essen, um uns für den Rest der Etappe zu stärken. Wir stellen uns unter einem Garagendach unter und packen die gestrig gekauften Lebensmittel aus. Jeder darf sich von jedem etwas nehmen. Wir teilen alles, was unsere Rucksäcke so hergeben: Brot, Wurst, Käse, Äpfel, Süßigkeiten und… Blasenpflaster.

       Ich hatte es befürchtet, aber zumindest gehofft, dass Letzteres heute noch nicht zum Einsatz kommen würde. Beim Gehen habe ich es noch nicht bemerkt, allerdings spüre ich jetzt, wie sich an meinem linken Fuß klammheimlich und schon leicht schmerzhaft das anbahnt, worüber ich im Vorfeld fast ausschließlich Horrorgeschichten gehört und gelesen habe. Es ist noch nichtmal eine Etappe geschafft und schon zeichnet sich ab, dass ich große Schwierigkeiten mit meinen offensichtlich sehr empfindlichen Füßen haben werde. Na, das kann ja heiter werden.

       Dass die Füße auf dem Jakobsweg sehr in Mitleidenschaft gezogen werden, war mir natürlich bewusst. Aber sich schon am ersten Tag, trotz vorbeugender Maßnahmen, eine Blase am Fuß zu laufen, ist wirklich ärgerlich. Zumal ich schließlich auf die ausdrückliche Warnung der Verkäuferin gehört und mir zu meinen Wanderschuhen auch spezielle Wandersocken gekauft habe. Ich dachte eigentlich, dass ich damit für die anstehende Belastung bestmöglich gewappnet bin. Aber vielleicht hätte ich auch noch den zweiten Rat der guten Dame im Geschäft befolgen sollen. Denn nun bereue ich es enorm, meine nagelneuen Schuhe zuvor nicht besser eingelaufen zu haben. In meinen Vorbereitungen habe ich mehr Wert auf körperliche Fitness gelegt, als auf meine Schuhe. Ich war wesentlich öfter joggen, anstatt mit meinen neuen Tretern durch die Gegend zu flanieren.

       Als ich damit unter den Füßen dann doch mal von zuhause über die angrenzenden Felder gelaufen bin, habe ich dort zufällig zwei meiner Kumpels getroffen. Unweigerlich ging ihre Aufmerksamkeit direkt zu den noch hochglanzpolierten Schuhen. Da sie es zu diesem Zeitpunkt noch nicht wussten, erzählte ich ihnen, dass ich im kommenden Monat auf den Jakobsweg gehen würde und dazu meine Schuhe noch etwas einlaufen müsse. »Etwas« hat nun aber ganz offensichtlich nicht ausgereicht.

       Jammern hilft nicht, ich muss mich des Problems annehmen. Etwas nervös ziehe ich den linken Schuh und die Socke aus, um meinen Fuß zu begutachten. Außer der geröteten Druckstelle, kann ich zum Glück nichts schlimmes feststellen. Noch nicht. Damit das auch so bleibt, pappe ich mir vorsorglich ein Blasenpflaster an die Stelle und ziehe den Schuh dann wieder an.

       Der Regen hat mittlerweile ein wenig nachgelassen und stellenweise zeigt sich sogar für wenige Augenblicke die Sonne. Nachdem wir den Ort verlassen, in dem wir pausiert haben, gelangen wir wenig später endlich an einen pilgerfreundlichen Weg und müssen nicht weiter der Straße folgen. So oder zumindest so ähnlich haben wir uns den Jakobsweg vorgestellt. Hier brauchen wir nun keine Gefahren mehr durch hupende Autos zu befürchten. Da der Trampelpfad sehr eng ist, müssen wir zwar auch hier hintereinander laufen, aber das nehmen wir aufgrund der schönen Kulisse gerne in Kauf. Links und rechts Natur pur. Die vielen Bäume, ein kleiner Bach und die herrlich frische Luft bilden eine willkommene Abwechslung zur monotonen Landstraße.

       Leider führt uns dieser nette Weg aber nicht direkt zu unserem Etappenziel, sondern schickt uns nach einer Weile zurück auf den unsympathischen Asphalt. Dort machen die Autos weiterhin Lärm und ihre Fahrer betätigen die Lichthupe, sobald sie Pilger sehen. Ein bisschen enttäuscht sind wir schon, aber es war schließlich unsere Entscheidung nicht den konventionellen, sondern den alternativen und vermutlich weniger schönen Weg nach Roncesvalles zu nehmen. Uns bleibt also nichts anderes übrig, als weiterzulaufen und sich vor den Autofahrern in Acht zu nehmen.

       Es geht stetig bergauf und von Minute zu Minute wird der Weg anstrengender. Obwohl die Temperatur nur knapp über Null Grad beträgt, fange ich so langsam an richtig zu schwitzen. Dass Pilgern kein Spaziergang über die Felder ist, wird mir spätestens jetzt bewusst. Der Rucksack folgt den Gesetzen der Schwerkraft und zieht mich unangenehm gen Boden. Immer und immer wieder justiere ich die Bändchen am Rucksack nach, um mir damit eine komfortablere Körperhaltung zu schaffen. Allerdings mag mir das nicht richtig gelingen und so muss ich unbeholfen mit einer etwas unnatürlichen, vorgebeugten Körperhaltung gehen, um nicht wie eine Pappfigur im Wind nach hinten umzukippen.

       Die zwei südkoreanischen Ex-Militär haben offenbar kein Problem mit der Steigung, denn sie laufen ihr gewohntes Tempo ohne jegliche Ermüdungserscheinungen weiter. Als wir uns bei einer kleinen Verschnaufpause auf einer kleinen Grünfläche neben der Straße einen Apfel gönnen, trennen die beiden sich schließlich von uns für heute. So fit wie die sind, war das nur eine Frage der Zeit.

       Da der Weg nun um einiges kräftezehrender ist als zu Beginn, haben wir unsere Gespräche fast komplett eingestellt. Eine der beiden Spanierinnen versucht es dann aber doch nochmal mit Smalltalk und fragt mich, wie ich denn gestern Nacht geschlafen habe. Weil ich eigentlich kaum Puste zum Sprechen habe, hole ich tief Luft und antworte ihr auf Spanisch äußerst knapp: »Nervioso… pero… bien.« Trotz der Aufregung habe ich verhältnismäßig ganz gut geschlafen. »Y tú?«, stelle ich ihr die Gegenfrage.

       Sie fängt an zu kichern und sagt, dass sie selbst nicht schlafen konnte und daher ein Buch gelesen habe. Mitten in der Nacht hätte sie dann angeblich beobachtet, wie ich mich mehr als nur einmal im Bett aufgerichtet und verwirrt durch den Raum geblickt haben soll.

       Ich vergewissere mich bei ihr, ob das wirklich ich gewesen bin. Denn heute Morgen war ich zwar ein wenig neben der Spur, aber geschlafen habe ich wie ein Stein.

       Sie nickt.

       Komisch. Offensichtlich habe ich mich nicht erst nach dem Aufwachen, sondern schon während dem Schlafen gefragt, wo ich hier eigentlich bin. Naja, ungewohnte Umgebung, ungewohnte Geräusche, unruhiger Schlaf. Hoffentlich wird das nicht zum Dauerzustand.

       Etliche Höhenkilometer später werden wir erneut positiv überrascht. Die Wegweiser führen uns ein weiteres Mal abseits der Straße auf einen hübschen Fuß- beziehungsweise Radweg. Es geht nach wie vor steil bergauf und insbesondere Mark, der sich in den letzten Stunden immer mal wieder eine Zigarette angezündet hat, tut sich hierbei sichtlich schwer. Leider hat er auch nichts mehr zu trinken. Ich biete ihm meine Flasche an und sage, er könne sie austrinken. Aus schlechtem Gewissen lässt er mir aber doch