Dominik Trottier

Ultreya auf dem Camino


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sparen können, befördert uns der ziemlich unscheinbare Lift in kürzester Zeit einige Höhenmeter nach oben.

       Im Erdgeschoss sehen wir uns die weiteren Räumlichkeiten der Abtei an. Neben einem Aufenthaltsraum mit Bänken und Tischen, gibt es hier auch eine gut ausgestattete Küche, sowie einige Getränke- und Snackautomaten. Um ein weiteres Mal auf unsere erste und erfolgreiche Etappe anzustoßen, spendiert Yoo-kyung jedem von uns eine Dose Bier. Damit setzen wir uns an einen der Tische, nehmen einen großen Schluck und stellen nach einem Blick auf das Etikett der Dose lachend fest, das Yoo-kyung unbeabsichtigt zum alkoholfreien Bier gegriffen hat.

       Während wir auf unsere Wäsche warten, gehen wir nochmal in den Raum mit den Automaten und sehen uns nach etwas Proviant für die morgige Etappe um. Auf dieselbe Idee kommen auch zwei deutsche Pilgerinnen, deren offensichtlicher Partnerlook nicht zu übersehen ist. Ich unterhalte mich kurz mit ihnen und erfahre, dass sie aus Düsseldorf kommen und bereits vor zwei Tagen mit dem Jakobsweg begonnen haben. Genau wie Luis und Claire, sind auch sie die Route über den Pass gelaufen. Allerdings haben die beiden auf den Wanderführer gehört und in Orisson einen Zwischenstopp eingelegt, bevor sie heute Morgen dann die verbleibenden neunzehn Kilometer nach Roncesvalles bewältigt haben.

       Gegen einundzwanzig Uhr, holen Yoo-kyung, Mark und ich schließlich unsere Wäsche im Keller der Herberge ab. Auf dem Weg zurück treffen wir auf die Spanierinnen, die Mark seine Isomatte vorbeibringen wollen. Er schmunzelt und bedankt sich nochmal herzlich für ihre Hilfe. Da er aber dringend das Gewicht seines Rucksacks reduzieren müsse, bleibe er bei seinem Entschluss, fortan auf die Isomatte zu verzichten.

       Auf einem Tisch im ersten Stock befindet sich ein Sammelsurium an T-Shirts, Hosen, Jacken, Wanderführern, Zeitschriften, Kissen, Unterwäsche, Wanderstöcken und sonstiger Pilgerkrimskrams. Mark legt die Isomatte und seine frisch gewaschene, sauganfällige Hose dazu und ist glücklich seinen Rucksack nun ein paar Gramm leichter gemacht zu haben. Und wer weiß, vielleicht konnte er tatsächlich damit einem anderen Pilger einen Gefallen tun.

       Jetzt wollen auch Yoo-kyung und ich das Gewicht unserer Backpacks optimieren. Wir entleeren deren gesamten Inhalt auf unseren Betten und prüfen anschließend bei jedem Gepäckstück, ob es einen wirklichen Mehrwert hat oder nur unnötiger Ballast ist. Da sich bei einigen Dingen erst noch herausstellen muss, ob sie tatsächlich von Nutzen sind oder nicht, kann ich mich zunächst lediglich von einer Zeitschrift und einem meiner beiden Baumwollhandtücher trennen. Yoo-kyung dagegen fällt es weitaus schwerer der von Pilger angelegten Sammlung etwas beizusteuern. Das ist in ihrem Fall aber zu verkraften, da sie bereits top vorbereitet war und wirklich nur das allernötigste dabei hat. Ihr Rucksack wiegt weniger als acht Kilogramm.

       Punkt zehn Uhr erlischt das Licht. Es gibt keinen Lichtschalter in den einzelnen Schlafkabinen. Entweder du hast Glück und liegst mit der Taschenlampe bereits im Bett. Oder du hast Pech und stolperst irgendwo durch die Dunkelheit.

       Ich habe Glück gehabt. Gute Nacht!

      heute: 26 km | verbleibend: 774 km

      06. April 2012: Zubiri

      Ich sitze gerade auf meinem Bett in einer Herberge in Zubiri, die für eine Übernachtung inklusive angeblich »üppigem Frühstück« ganze fünfzehn Euro gekostet hat. In diesem Zimmer nächtigen heute eine vierköpfige spanische Familie, ein etwas älteres Ehepaar aus Kanada, Mark, Yoo-kyung und ich.

       Eigentlich bin ich in diesem Moment viel zu müde, um die Geschehnisse des heutigen Tages zu Papier zu bringen. Denn vergangene Nacht habe ich in der riesigen Herberge von Roncesvalles kein Auge zu bekommen. Die Schlafkabinen waren absolut in Ordnung, aber die Geräuschkulisse war einfach zu… naja, sagen wir mal gewöhnungsbedürftig. Ich konnte damit schlichtweg nicht einschlafen. Notgedrungen musste ich mir also ein Konzert aus Husten, Rotzen, Furzen, Schlafreden und vor allem Schnarchen von bestimmt mehr als einhundert Pilgern anhören.

       Ich bewundere die Menschen, die diese Dinge aus Müdigkeit einfach zu einem monotonen Rauschen verschwimmen lassen oder gar komplett ausblenden können. Ich kann das nicht. Und schon gar nicht, wenn der größte Störenfried von allen in derselben Kabine im Bett direkt neben mir liegt! Die gesamte Nacht über durfte ich seiner knatternden Atmungsstörung lauschen und es gab nichts, was ich hätte tun können. Ohropax sind mir zuwider, das Kissen über den Kopf zu ziehen war nutzlos und selbst Schäfchen zählen führte nicht zum erhofften und dringend benötigten Schlaf. Ständig führte ich mir vor Augen, mit wie vielen fremden Menschen ich mir hier eigentlich gerade das Schlafzimmer teile. Ich weiß nicht wie viele Stunden vergingen, bis ich endlich anfing, mich mit der schlaflosen Situation abzufinden. Hoffentlich hatte ich heute Nacht einfach nur Pech.

       Weil ich nun aber völlig übermüdet bin, versuche ich mich im Folgenden kurz zu fassen. Sofern das denn bei all den interessanten Begegnungen und Gesprächen überhaupt möglich ist.

      Als heute Morgen in Roncesvalles die Wecker klingeln, halte ich meine Augen geschlossen und lausche was um mich herum passiert. Anders als gestern, weiß ich dieses Mal ganz genau, wo ich hier bin.

       Ich höre einige Leute gähnen, die sich aus dem Bett quälen, mit ihren Schlappen zum Badezimmer schlürfen, wieder zurückkommen, ihre Sachen zusammenpacken, dann diverse Reißverschlüsse zumachen und schließlich die Treppe ins Erdgeschoss runtergehen. Durch das offene Fenster höre ich dann wie die Frühaufsteher draußen vor der Herberge mit ihren Wanderstöcken klackern und ihre Schuhe auf dem Boden ausklopfen, um sie von Dreck zu befreien.

       Abgesehen von denjenigen, die sich vom erneuten Weckerlärm überhaupt nicht beeindrucken lassen und einfach unbeirrt weiter schnarchen, macht sich jetzt die zweite Welle von Pilger für die heutige Etappe bereit. Ich denke es wird nun auch für mich Zeit aufzustehen. Also mache ich meine Augen auf, steige aus dem Bett und schaue aus dem Fenster. Aufgrund ihrer lädierten Füße, erinnert die Gangart mancher Pilger in ihren Wanderboots an die von Skifahrern in ihren ungelenken Skischuhen.

       Schmunzelnd, aber humpelnd, gehe ich ins Bad und mache mich fertig. Zurück an meiner Schlafkoje warten bereits Yoo-kyung und Mark auf mich. Sie sind startklar. Schnell packe ich meine sieben Sachen ein und schon brechen wir gemeinsam zu unserer zweiten Etappe auf. Als wir Roncesvalles verlassen, haben wir noch nichts gefrühstückt. Zwar haben wir großen Hunger, aber unser Tatendrang treibt uns ohne Umschweife direkt auf den Jakobsweg.

       Etwa drei Kilometer später landen wir in Burguete. Mein Pilgerhandbuch unterrichtet uns, dass das angeblich der Ort gewesen sein soll, in dem der Schriftsteller Ernest Hemingway des Öfteren Zuflucht gesucht hat, wenn ihm das Treiben in Pamplona zu viel wurde. Ahja, und wo hat er gefrühstückt? Hoffen wir mal, dass er dazu nicht nach Roncesvalles gehen musste.

       Wir haben Glück und finden eine Bar, in der wir immerhin ein leckeres Croissant und einen ColaCao zu uns nehmen können. Letzteres ist eine heiße Schokolade und der Name wohl einer der bekanntesten Marken in Spanien. Dort ist der Markenname nämlich zu einer Art Synonym mutiert, etwa so wie die Deutschen Tempo anstatt Taschentuch sagen. Mark und ich kaufen uns noch zwei gekühlte Powergetränke für unterwegs, dann schnallen wir unsere Rucksäcke gestärkt wieder auf und verlassen die Bar.

       Noch im selben Ort treffen wir auf die zwei Düsseldorferinnen, die ich gestern vor den Automaten flüchtig kennen gelernt habe. Die beiden tragen nun nicht nur die gleiche Jacke sowie die gleiche Hose, sondern haben auch die gleichen Wanderstöcke und sogar den gleichen Rucksack. Ob die beiden sowas wie beste Freundinnen sind? Man grüßt sich freundlich auf deutsch und Mark kommentiert das albernd mit: »Jesus, so many Germans on the camino.«

       Genau genommen hat er ja völlig Recht. Es sind tatsächlich auffällig viele Deutsche auf dem Weg. Das wird in erster Linie natürlich auf den umstrittenen Kerkeling-Effekt zurückzuführen sein, der zweifelsohne zum zahlenmäßig überdurchschnittlichen Anstieg deutscher Pilger auf dem Jakobsweg beigetragen hat. Die meisten oder gar alle, die das Buch des wohl beliebtesten Comedian Deutschlands gelesen haben, werden von seiner Reise inspiriert gewesen sein. Es ist also wenig überraschend, dass sich viele Landsfrauen und Landsmänner derselben Herausforderung stellen möchten. Ich kann es unserem berühmten Pilgerkollegen aber nicht verübeln, denn