Dominik Trottier

Ultreya auf dem Camino


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früheren Zug saßen. Ich frage mich, ob sie als Gruppe angereist sind oder sich hier erst kennen gelernt haben.

       Bevor ich mir weitere Gedanken über sie machen kann, wird ein Platz frei und ich setze mich. Total überdreht und euphorisch möchte der Mann von mir auf Spanisch wissen, welche Sprachen ich denn spreche.

       »Alemán, ingles y castellano!«, antworte ich ihm nicht weniger euphorisch.

       Überglücklich informiert er sich nun wiederum auf Englisch nach meinem Anliegen.

       »Ich hätte gerne einen Stempel und ein Bett.« Schon notiert er sich meinen Namen und stempelt den ersten sello in meinen Pilgerausweis. Abschließend drückt er mir noch einen gelben Zettel mit einer Nummer in die Hand. Ich solle der Frau draußen vor der Tür mit der Gruppe folgen. Bevor ich das Pilgerbüro verlasse, schnappe ich mir noch rasch eine große Jakobsmuschel aus dem Körbchen auf seinem Tisch und werfe ein paar Euro in die daneben stehende Spendenkasse. Ich habe mir sagen lassen, dass die concha del peregrino an jedem Rucksack absolute Pflicht sei.

       Draußen schließe ich mich der Frau mit der wartenden Gruppe an. Als ich auf mich aufmerksam mache, gibt sie in knappen Worten zu verstehen, dass wir nun vollzählig seien und losgehen können.

       Während wir der wortkargen Dame hinterherlaufen, spricht mich eine junge Pilgerin an und möchte wissen, woher ich komme. Ich stelle mich ihr kurz vor und frage sie dann dasselbe. Ihr Name ist Yoo-kyung, sie kommt aus Südkorea und ist mir auf Anhieb äußerst sympathisch. Nicht zuletzt, weil sie mir freundlicherweise auf meine unsichere Nachfrage hin ihren Vornamen buchstabiert.

       Da wird mir plötzlich wieder bewusst wie sehr ich mich darauf gefreut habe, in den kommenden Tagen und Wochen Menschen aus aller Welt kennenzulernen und mit ihnen interessante Gespräche zu führen. Für Yoo-kyung ist der Jakobsweg bestimmt nicht nur eine Wanderung durch Spanien. Um den camino gehen zu können, hat sie einen wirklich weiten Weg von zuhause auf sich genommen. Noch kenne ich sie zwar nicht, aber alleine die Tatsache, dass sie hier ist, zeigt ihre Überzeugung und das finde ich bereits äußerst bemerkenswert. Für mich als Europäer dagegen ist die Reise ein Katzensprung. Sollte ich den Jakobsweg wegen irgendetwas abbrechen müssen, kann ich innerhalb weniger Stunden einfach nachhause fliegen. Diese Möglichkeit hat Yoo-kyung nicht.

       Lange können wir uns nicht unterhalten, denn da stehen wir schon vor der Herberge, in der wir heute Nacht Quartier beziehen werden. Wir zeigen der Frau unsere Nummer auf dem Zettel und sie weist uns den Weg in die Schlafräume. Dort angekommen, stelle ich glücklich fest, dass die gesamte junge Meute von vorhin im selben Zimmer nächtigt wie ich. Das freut mich, da ich auf diese Weise auch den Rest von ihnen kennenlerne. Wir legen unsere Rucksäcke ab und stellen uns dann nacheinander vor.

       Ein junger Kerl, dessen Gesicht und dunkle, lockigen Haare mir irgendwie bekannt vorkommen, macht den Anfang. Er heißt Luis und läuft den Weg mit seiner Freundin Claire. Sie sind sechsundzwanzig Jahre alt und wohnen zusammen in Texas. Bevor sie die nächste Stufe in ihrer langjährigen Beziehung nehmen, wollen sich die beiden mit dem Jakobsweg nochmal gemeinsam vor eine große Herausforderung stellen. Da Luis gebürtig aus Mexiko stammt, sprechen beide neben Englisch, auch fließend Spanisch. Muy bien, denke ich mir und freue mich schon bald meine Kenntnisse meiner bevorzugten Fremdsprache weiter ausbauen zu können.

       Danach sind zwei Jungs an der Reihe, die ebenfalls aus Südkorea kommen, aber etwas älter sind als Yoo-kyung. Sie kennen sich untereinander nicht, jeder von ihnen ist alleine angereist. Die Namen der Jungs finde ich nochmals etwas schwieriger auszusprechen, geschweige denn aufzuschreiben. Das werde ich dann bei späterer Gelegenheit nachholen.

       Mit ihrer etwas schüchternen Art hält sich Yoo-kyung recht kurz. Nach unserem knappen Gespräch vor wenigen Minuten, erfahre ich nun allerdings noch, dass sie nach dem Jakobsweg noch eine Reise nach Dublin anschließen wird.

       Als nächstes stellt sich der wohl äußerlich Auffälligste in der Gruppe vor. Auffällig deshalb, da er neben einem Nasenpiercing, an beiden Ohren auch große Tunnels trägt. Sein Name ist Mark, er kommt gebürtig aus Kolumbien und lebt in den Niederlanden. Er spricht natürlich ebenfalls Spanisch, aber auch fließend Holländisch und Englisch. Auch Mark macht einen sehr sympathischen Eindruck auf mich.

       Zuletzt stelle ich mich noch in feinstem Schulenglisch namentlich vor und erzähle, dass ich in den USA geboren und in Deutschland aufgewachsen bin. Da ich nie gerne im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehe, halte auch ich mich recht kurz. Meine Spanischkenntnisse möchte ich dann aber doch nicht unerwähnt lassen: »… pero solo un poquito.«

       Wie in einer anonymen Selbsthilfegruppe, heißen mich meine neuen Pilgerfreunde im Einklang willkommen: »Hey, Dominik.«

       Zufrieden schauen wir in die Runde und stellen fest, dass wir »multicultural« sind.

       Wir bereiten unsere Betten, befestigen die Jakobsmuscheln an unseren Rucksäcken und gehen anschließend gemeinsam zum supermercado etwas Proviant für die morgige, erste Etappe einkaufen. Dabei unterhalten wir uns viel und lernen uns besser kennen. Ich schätze mich äußerst glücklich, von Beginn an in Gesellschaft von sympathischen Mitstreitern zu sein.

       Auf dem Weg zurück zur Herberge erzähle ich Luis, dass er mich an irgendeinen Schauspieler erinnern würde: »I just don’t know which one…«

       Als ob er das nicht zum ersten Mal gehört hätte, fragt er grinsend: »Are you sure?«

       Mark geht es offensichtlich genauso wie mir. Doch dann fällt es ihm ein: »Now I know! You look a lot like Legolas from The Lord of the Rings! You know, the Orlando Bloom character?«

       Er hat Recht, an den habe ich auch gedacht. Luis fängt an zu lachen und behauptet, dass es wohl auch schon viele Leute gegeben hätte, die in ihm Justin Timberlake oder Harry Potter sehen würden. »But I’m fine with Legolas«, scherzt er und hat offensichtlich keine Einwände gegen seinen neuen Spitznamen, auf den wir Luis nach nicht mal zwei Stunden seit unserem Kennenlernen taufen.

       Bestens gelaunt beschließen wir in ein Restaurant zu gehen und gemeinsam zu Abend zu essen. Also legen wir die Einkaufstüten in unserem Zimmer ab und begeben uns auf die Suche nach einer guten Adresse.

       Nachdem wir einige in die engere Auswahl ziehen, entscheiden wir uns letztlich für einen lecker anmutenden Italiener. Auf der Terrasse schieben wir drei Tische zusammen, sodass wir nebeneinander Platz nehmen können. Um gleich mal auf unsere erfolgreiche Ankunft in diesem schönen Örtchen und den morgigen Beginn unserer Pilgerfahrt anzustoßen, bestellen wir Wein und Bier. Die Wahl des Essens fällt nicht ganz so leicht. Einige von uns wagen es bereits das Pilgermenü für zehn Euro zu bestellen. Ich dagegen kann nach längerer Überlegung der Pizza Prosciutto nicht widerstehen.

       Es wird der erste Gang des Pilgermenüs serviert. Suppe. Suppe mit irgendetwas nicht genau Identifizierbarem darin. Ob es Fleisch oder Gemüse ist, lässt sich leider weder äußerlich noch geschmacklich so richtig feststellen. Jeder darf mal davon probieren. Der Gesichtsausdruck danach ist bei allen gleich. Das sorgt in der Gruppe für großes Gelächter. Keiner denkt auch nur daran zu reklamieren, dass die Suppe absolut ungenießbar ist. Einer der beiden Südkoreaner isst sie am Ende sogar ganz tapfer auf, sieht aber nicht wirklich glücklich dabei aus.

       Anschließend kommt der zweite Gang. Fleisch. Ähnliche Enttäuschung, deutlich mehr als die Hälfte bleibt wieder übrig. Erneut werden Teller einander gereicht. Jeder von uns verzieht das Gesicht und stellt ein weiteres Mal fest, dass dieses Pilgermenü »disgusting« ist. Bis auf den Südkoreaner isst hier keiner auf.

       Dann bekomme auch ich endlich meine Pizza und bin froh, dass ich diese bestellt habe. Sie sieht nicht nur appetitlich aus, sondern schmeckt auch ganz gut. Zumindest werde ich davon satt und kann auch noch den Anderen davon abgeben.

       Mit dem Nachtisch des Pilgermenüs verhält es sich wie mit den zwei Gängen zuvor. Auch hier trauen sich ein paar Tapfere zu kosten, dieses Mal lässt aber auch der wohl Hartgesottenste unter ihnen sein Dessert nach zwei Bissen stehen. Zwei einfache Kugeln Schokoladeneis hätten es in meinen Augen getan, aber hier hat es der Koch wirklich zu gut mit uns angehenden Pilgern gemeint.

       Wenigstens lassen wir uns den Wein