Annette Kautt

Flupp!


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Nägel bis zum Fleisch abgefressen oder er zehnmal in eine Felsspalte gestoßen werden würde, aber – war diese Mission nicht eine einmalige Gelegenheit für ihn selbst?

      Die Entdeckung des Blauen Gebirges war genau das, was er brauchte, um reich und berühmt zu werden! Er hatte sich also intuitiv richtig entschieden, als er sein Glück im Blauen Gebirge suchen wollte. Im Geist sah er sich schon mit mehreren Säcken voller Edelsteinen auf einem roten Teppich zum Präsidenten eilen. Die Masse hinter der Absperrung jubelte ihm zu. Und mit dem Wissen, sich selbst einige Säcke davon abgezweigt zu haben, würde er diese Ehrbezeugung ohne Abstriche genießen können.

      „Der junge Hubel ist auf jeden Fall die am besten geeignete Person für diese Mission!“ riss ihn Tante Pim aus seinen Träumereien.

      „Warum denn der junge Hubel?“ fragte Betrüger-Schorschi irritiert. Hatte er gerade nicht sich selbst auf dem roten Teppich gesehen?

      „Weil niemand sonst so gewandt, klug und unschlagbar wie er ist!“ sagte Tante Pim. „Deshalb ist der Gedanke auch unerträglich, dass ihm etwas zugestoßen sein könnte! Aber jetzt bin ich froh, dass du morgen mit deiner Puppe ins Gebirge fliegst und dort die Lage sondierst!“

      „Halt, halt!“ sagte Betrüger-Schorschi. „Wer sagt denn, dass ich dem jungen Hubel helfen möchte? Ich habe ganz andere Pläne!“

      „Aber du hast deinen Ballonkorb und die Flupppuppe!“ sagte Tante Pim. „Und hast du vorher nicht gesagt, dass du sowieso ins Blaue Gebirge fliegen willst?! Dann kannst du mir doch wirklich den Gefallen tun und einen kleinen Abstecher in die Stadt der Kinder zum jungen Hubel machen!“

      „Ach, um mich sorgst du dich gar nicht“, sagte Betrüger-Schorschi. „Aber um den jungen Hubel!“

      „Ich ahne Schlimmes für den jungen Hubel!“ sagte Tante Pim. „Aber was dich angeht, ahne ich nichts“

      „Für mich empfindest du nichts!“ interpretierte Betrüger-Schorschi Tante Pims Worte. „Und trotzdem soll ich deinen Held retten? Wer bin ich denn? Ein Babysitter? Ich habe keine Zeit für aufgeblähte Hühner und abgenagte Fingernägel! Ich muss selbst reich und berühmt werden.“

      „Und ich habe keine Zeit für Leute wie dich, die nur herkommen, um ihren Ballon abzustellen und Proviant einzuheimsen“, sagte Tante Pim wütend. „Pack deine Flupppuppe und verschwinde!“

      Betrüger-Schorschi rührte sich nicht vom Fleck. Draußen war es schon dunkel. Bei Nacht konnte er unmöglich mit der Flupppuppe weiter fliegen. Er musste für diese eine Nacht bei Tante Pim bleiben.

      „Liebe Tante Pim“, sagte er deshalb mit einschmeichelnder Stimme. „So war es doch nicht gemeint! Natürlich fahre ich zur Stadt der Kinder und sehe nach, ob ich den jungen Hubel retten kann. Aber versprechen kann ich es nicht!“

      „Schön“, sagte die Tante und tat so, als ob sie die plötzliche Stimmungsschwankung ihres Neffen nicht bemerkt hätte. „Es wird auch wirklich höchste Zeit. Wer weiß, wer das große Huhn wirklich ist. Und wer weiß, was die abgenagten Fingernägel wirklich zu bedeuten haben.“

      Während Tante Pim redete, kam Betrüger-Schorschi plötzlich ein glänzender Gedanke: Er würde den jungen Hubel tatsächlich im Blauen Gebirge suchen gehen. Aber sicher nicht, um ihm zu helfen, sondern ganz im Gegenteil, um ihn zu verstecken! Er selbst würde die Mission des jungen Hubels zu Ende bringen und seine eigenen Taschen mit den Diamanten des Blauen Gebirges füllen!

      „Also gut!“ sagte Betrüger-Schorschi mit falscher Ergebenheit. „Ich werde den jungen Hubel finden und ihn in seiner abenteuerlichen Mission unterstützen!“

      „Endlich begreifst du, dass die Sache auch dich etwas angeht“, sagte Tante Pim zufrieden. „Und wenn du deine Sache gut machst, wirst du sicher auch ein bisschen berühmt. Das willst du doch, oder?“

      Betrüger-Schorschi nickte wie Tantes lieber Junge.

      „Dann ist ja alles geklärt“, sagte Tante Pim lächelnd und stand auf.

      Seltsamerweise ließ sie sich dieses Mal von Betrüger-Schorschis Falschheit täuschen und ahnte nicht seine wirklichen Absichten. Vielleicht war sie in Gedanken zu sehr mit dem Wohl des jungen Hubels beschäftigt, um das listige Funkeln in Betrüger-Schorschis Augen zu bemerken?

      „Ich mache dir jetzt dein Bett zurecht“, sagte Tante Pim fürsorglich. „Für deine Reise musst du gut ausgeruht sein.“

      Während sie in der Küche eine Pritsche aufstellte und ein paar Decken brachte, schaute Betrüger-Schorschi neben den Flupppuppenbeinen grinsend zum Fenster hinaus.

      Außer der Flupppuppe war er niemandem gegenüber Rechenschaft schuldig. Und die Flupppuppe hatte sicher nichts gegen ein kleines Versteckspiel mit dem jungen Hubel. Er war frei und konnte tun und lassen, was er wollte. Vor diesem Hintergrund war es sicher nur eine Frage der Zeit, bis er im Blauen Gebirge alle wichtigen Fäden in der Hand hielt und reich und berühmt sein würde!

      Als Tante Pim ihm „Gute Nacht“ gewünscht und in ihr Zimmer gegangen war, streckte er sich wohlig auf seiner Pritsche aus und sang das Flupppuppenlied. „Bist du in großer Not / ich bring’ es dir ins Lot“.

      Ja, lieber junger Hubel. Die Flupppuppe und ich, wir bringen es dir ins Lot!

      Er verschränkte die Arme hinter seinem Kopf und betrachtete die Beine, die sanft auf und ab schaukelten. Auf und ab und auf und ab.

      Nach wenigen Minuten war er eingeschlafen.

      Das Blaue Gebirge

      Als Tante Pim am anderen Morgen in die Küche kam, lag Betrüger-Schorschi noch schlafend auf seiner Pritsche.

      „Man könnte ihn beinahe für ein Kind halten“, dachte Tante Pim. „Wahrscheinlich ist es falsch, ihn diese gefährliche Reise machen zu lassen! Auch wenn er ein Betrüger ist, so ist er immerhin mein Neffe!“

      Sie beugte sich zu ihm hinunter und fuhr ihm mit der Hand durchs Haar.

      Betrüger-Schorschi fuhr erschrocken hoch.

      „Was machst du da?“ fragte er.

      „Nichts“, sagte Tante Pim. „Ich habe mir nur überlegt, ob es nicht zu gefährlich ist, dich ins Blaue Gebirge fahren zu lassen.“

      Betrüger-Schorschi schnappte nach Luft.

      „Ich wäre auch ohne den jungen Hubel ins Blaue Gebirge gefahren“, meckerte er. „Je gefährlicher umso besser.“

      „Ich weiß, ich weiß“, antwortete Tante Pim. „Du willst reich und berühmt werden. Aber vor allem musst du dem jungen Hubel helfen!“

      Sie stellte Wasser auf den Herd und deckte den Tisch. Dann ging sie in den Garten und pflückte einen kleinen Strauß Pfefferminze. Der Korb stand noch wie gestern im Garten. Die Beine der Flupppuppe blähten und senkten sich über dem Korb.

      War die Flupppuppe wirklich das geeignete Flugmittel, um in das Blaue Gebirge zu kommen?

      Tante Pim hatte da ihre Zweifel. Doch sie hatte keine andere Wahl: Der junge Hubel brauchte dringend ein Flugfahrzeug! Und außer Betrüger-Schorschis Flupppuppen-Korb konnte sie auf die Schnelle keines auftreiben. Sie zuckte mit den Achseln und ging wieder in die Küche zurück. Dort warf sie die Pfefferminzblätter in die Teekanne und goss heißes Wasser darüber. Für Betrüger-Schorschi machte sie Kaffee. Er konnte Pfefferminz-Tee nicht ausstehen.

      Als Betrüger-Schorschi endlich angezogen am Tisch saß, fragte Tante Pim: „Du weißt also, was auf dich zukommt?“

      „Klar!“ antwortete Betrüger-Schorschi mit vollem Mund. „Ich fliege mit der Flupppuppe ins Blaue Gebirge in die Stadt der Kinder. Dort finde ich den jungen Hubel und biete ihm großzügig meine Hilfe an.“

      „Wie du weißt, ist das Blaue Gebirge eine Wind- und Wetterscheide“, sagte Tante Pim. „Wenn du Pech hast, dreht der Wind permanent und du fliegst