Annette Kautt

Flupp!


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weiß, liegt sie versteckt hinter einem riesigen Felsvorsprung.“

      „So versteckt, dass ich sie nicht finde, liegt sie sicher nicht“, sagte Betrüger-Schorschi und schluckte den letzten Bissen hinunter.

      „Soweit ich vom jungen Hubel weiß, gehen in die Stadt der Kinder gewöhnlich keine anderen Leute. Die Kinder bleiben lieber für sich.“

      „Und warum?“

      „Um sich zu schützen selbstverständlich!“ sagt Tante Pim. „Soweit ich vom jungen Hubel weiß, haben sich die Kinder in diese Stadt zurückgezogen, weil sie eine ausgegrenzte Minderheit sind. Dort leben Menschen, die nicht erwachsen werden.“

      „Du meinst, das sind keine Kinder, sondern alberne Erwachsene? Verkrüppelte Oskar Mazeraths, Hugos in den besten Jahren und verzauberte Pippi Langstrumpfs?“ Betrüger-Schorschi stieß ein keckerndes Lachen aus.

      „Soweit ich vom jungen Hubel weiß“, sagte Tante Pim unbeeindruckt, „sind es ganz gewöhnliche Kinder, die aus unerfindlichen Gründen nicht erwachsen werden!“

      „So etwas gibt’s doch gar nicht!“ rief Betrüger Schorschi aufgebracht. „Und wenn du noch weiter von diesem jungen Hubel redest, werde ich nicht in die Stadt der Kinder fahren, sondern mein Glück alleine versuchen! Der junge Hubel ist mir nämlich schon jetzt so unsympathisch, dass ich wirklich keinen Wert darauf lege, ihn näher kennen zu lernen.“

      „Ist ja schon gut“, sagte Tante Pim beschwichtigend. „Ich hole jetzt eine Landkarte und erkläre dir die ungefähre Lage der Stadt.“

      Sie kramte in einer Küchenschublade und zog eine Landkarte hervor. Dann breitete sie die Karte auf dem Küchentisch aus und tippte mit dem Finger auf einen Gebirgszug.

      „Hier fliegst du zu den Alpen. Wenn du die Zugspitze direkt vor dir hast, musst du dich rechts halten. Nach ungefähr hundert Kilometern fliegst du dann auf einen Gebirgskamm zu, der blau schimmert. Das ist das Blaue Gebirge. Die Stadt der Kinder liegt am südöstlichen Zipfel des Gebirges, hier.“

      „Aha“, sagt Betrüger-Schorschi.

      Er kramte in seiner Hosentasche und zog ein Karamelbonbon daraus hervor. „Möchtest du auch eins?“

      Tante Pim schüttelte ungeduldig den Kopf.

      „Dann ist ja alles klar“, sagte Betrüger-Schorschi und steckte sich das Bonbon in den Mund. „Am besten breche ich gleich auf.“

      „Das ist eine gute Idee“, meinte auch Tante Pim und klappte die Landkarte zusammen. „Ich packe dir noch eine große Tasche mit Essen und Trinken ein. Das ist doch der eigentliche Grund, warum du bei mir vorbeigekommen bist?!“

      “Wenn alles klappt, kann ich schon morgen früh da sein“, überlegte Betrüger-Schorschi.

      „Ja, wenn ...“, meinte Tante Pim.

      Sie ging in die Speisekammer und holte: zwei Gläser eingelegte Gurken, fünf Laibe Brot, ein Kilo geräucherten Schinken und einen ganzen Laib Käse, drei Pfund Butter, mehrere Gläser Marmelade und einige Dosen Fisch. Als Dessert sozusagen, legte sie noch zehn Tafeln Schokolade und einige Pakete Nussmischung darauf und packte dann alles in eine große Leinentasche. Außerdem stellte sie ihm zwei Kästen stilles Wasser dazu.

      „Reicht das oder willst du noch mehr?“ fragte Tante Pim.

      Betrüger-Schorschi glaubte kaum, dass er mit Brot, Marmelade und Dosenfisch eine anständige Mahlzeit würde kochen können. Aber durfte er mehr verlangen? Wohl kaum. Er schüttelte also brav den Kopf und nuschelte etwas, das sich wie „danke“ anhörte.

      Er stand auf, nahm die Tasche und ging damit nach draußen zur Flupppuppe. Tante Pim kam mit den beiden Getränkekisten hinterher und stellte sie in den Ballonkorb.

      Betrüger-Schorschi schaute skeptisch in den bewölkten Himmel: „Hoffentlich regnet es heute nicht.“

      „Ich glaube nicht“, sagte Tante Pim. „Zumindest haben sie im Wetterbericht nichts davon gesagt. Und der Wind wird euch schnell Richtung Süden tragen.“

      “Wenn er nicht dreht“, bemerkte Betrüger-Schorschi und kletterte in den Korb.

      Er wünschte der Flupppuppe einen guten Morgen und fragte sie, ob alles in Ordnung wäre. Als die Puppe zufrieden mit den Beinen wackelte, reichte er seiner Tante zum Abschied die Hand: „Danke, Tante Pim. Mal sehen, ob ich deinen Auftrag erfüllen kann.“

      „Ich habe dir zu danken, dass du diese gefährliche Reise machst“, erwiderte Tante Pim.

      „Ich wäre auch so geflogen!“ meinte Betrüger-Schorschi. „Aus deinem kleinen Jungen ist ein selbstbewusster Mann geworden, der keine Angst mehr vor Gefahren hat.“

      „Dann sieh zu, dass dem jungen Hubel nichts passiert!“ sagte Tante Pim und band das Seil los.

      Betrüger-Schorschi öffnete die Klappe in der Flupppuppe und lies Gas in ihre Beine strömen. Die Beine wurden prall und der Korb löste sich langsam vom Boden.

      Tante Pim gab dem Korb einen kräftigen Schubs, winkte Betrüger-Schorschi zum Abschied zu und verschwand dann im Haus.

      Die Flupppuppe war einfach eine Wucht!

      Sie zog ab wie eine Rakete und Tante Pims Haus unter ihnen war nur noch ein kleiner Punkt zwischen anderen.

      Hier oben gab es nur ihn und die Flupppuppe. Hier oben war er frei!

      Betrüger-Schorschi sog die Luft tief in seine Lungen ein und freute sich, dass er so lebendig war. Er winkte ein paar Bussarden, die neben ihm kreisten und streckte einem Flugzeug, das in einiger Entfernung an ihnen vorbeiflog, die Zunge raus.

      „Euch werde ich es allen noch zeigen!“ rief er. „Ihr Angeber und Nichtsnutze! In Wirklichkeit kann es doch kein Flugzeug mit mir und der Flupppuppe aufnehmen! Euch schickt niemand als Sonderbotschafter ins Blaue Gebirge! Euch schickt man höchstens nach Mallorca oder auf die Malediven!“

      Betrüger-Schorschi ballte die Faust in Richtung Flugzeug und lachte. Nach ein paar Sekunden war das Flugzeug aus seinem Blickfeld verschwunden.

      Nachdenklich sah Betrüger-Schorschi auf die Kondensstreifen, die vom Flugzeug übrig geblieben waren.

      „Hast du das gesehen, Flupppuppe? Die kümmern sich gar nicht um uns! Die tun so, als ob es uns überhaupt nicht gäbe! - Aber keine Sorge! Wenn wir erst einmal einen ungefährlichen Zugang ins Blaue Gebirge gefunden haben und mit den Diamanten klimpern, dann werden sie vor uns winselnd auf die Knie gehen!“

      Wie zur Bestätigung wackelten die langen Beine der Flupppuppe im Wind. Trotzdem war Betrüger-Schorschis gute Laune wie weggeblasen. Plötzlich sah er sein Unternehmen in einem anderen Licht:

      Was, wenn die die Bewohner des Blauen Gebirges wirklich so gefährlich waren wie ihr Ruf? Was, wenn sie ihn wirklich fangen würden und es ihm überhaupt nicht gelingen würde, einen Weg zurück zu finden? Was, wenn dann womöglich er die Hilfe des jungen Hubels brauchen würde, um lebend wieder zurück zu kommen?

      Zugegeben, gestern, als er neben den sagenhaften Flupppuppenbeinen seine Suppe geschlürft und ihn Tante Pim mit ihrer Bewunderung für den jungen Hubel angestachelt hatte, war ihm die ganze Sache leicht erschienen: Zuerst würde er den jungen Hubel verschwinden lassen, dann einen gefahrlosen Ausgang aus dem Blauen Gebirge finden, sich genug Diamanten für ein ausschweifendes Leben bei Seite schaffen und sich schließlich die eigentlich für den jungen Hubel gedachten Lorbeeren aufsetzen.

      Aber heute, bei Tageslicht und frischer Luft um die Nase, hatte er doch seine starke Bedenken. War es nicht viel zu gefährlich, ins Blaue Gebirge zu fliegen? Dorthin, von wo es so gut wie kein Zurück mehr gab?

      War es nicht wahnsinnig aus diesem Land Diamanten schmuggeln zu wollen? Und konnte er, Betrüger-Schorschi überhaupt etwas erreichen, was vor ihm noch niemandem gelungen war?

      Andererseits: Warum sollte ausgerechnet der junge Hubel die geeignete Person für diese gefährliche Mission sein? Jemand, der