Dr. Wolfgang Mehringer

neukunst oder der Maulwurf


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hatte, wie sie sagten.

      Bereits für den folgenden Tag war ein Auftritt der Präsidentin in der Öffentlichkeit geplant. Es hatte sich inzwischen herumgesprochen, welche phantastische Eigenschaft das neue Gewebe Psychotex besaß. Und - man höre und staune - die Bekleidung der Präsidentin wurde - beinahe! - von der gesamten Bevölkerung bewundert. Philip lachte. Jaja, ich kenn die Story. Die kleine Emma, die noch kein Amt zu verlieren hatte, sagte ganz laut. Mama, warum hat denn die Frau nix an? Und plötzlich riefen dann alle - -. Und die Präsidentin entriss ihrer Begleiterin den Mantel, lachte Marina. Im Moment, sagte Philip, finden ja auch noch viele so genannte Kunstkenner das ganze Brimborium dieser Neukunst so - so - attraktiv, lachte Marina. Du hast`s ja gerade erlebt! Und wer ist die Emma, die das ganze irgendwie „entzaubert“? Philip holte Luft. Emma bedeutet hier die Bewertung mit rational nachvollziehbaren Kriterien. Und auch eine Auseinandersetzung über solche Kriterien könnte

      mit vielen daran Interessierten rational verlaufen. Ich denke, es gibt genügend Menschen, die von der fortgesetzten Öde in der Kunst die Nase voll haben. Marina lächelte. Da gibt es aber auch viele andere, die um ihre Sache fürchten. Sie werden schreien, Kunst muss frei sein, darf nicht gegängelt werden! Philip blieb gelassen. Kann sie doch. Aber vieles wird dann vielleicht nicht mehr als große Kunst verkauft und dazu noch jahrzehntelang imitiert werden, sondern wandert - sozusagen - sehr viel früher in einen Abfalleimer. Da ist aber wirklich vieles noch ganz unklar, gab Marina zu bedenken.

      2 Persönliche Rückschau

      Philip kämpfte in den nächsten Tagen mit seiner ziemlich wirren Gefühls- und Gedankenwelt. Es war, als befinde er sich irgendwo in den Bergen, in einer äußerst nebligen Gegend. Es gab keine Wegweiser, alles was er genauer betrachten wollte, verschwand in diesen Nebelschwaden. Endlich sah er doch etwas klarer. Er mu0te zwei Dinge voneinander trennen. Zum einen musste er in sein Inneres blicken und herausfinden, was seine Kunstwahrnehmung ihm bedeutete und dabei vor allem auch, wie sie im Laufe seines Lebens zustande gekommen war. Dies musste er dann sozusagen als ein Vorurteil betrachten - von dem er sich lösen mu0te - um? - ja, um auf einem rational - logischen, wissenschaftlich gesehen also tadelsfreiem, Wege die allgemeinen Kennzeichen für eine gewisserma0en objektivierte Bewertung von Kunst zu erarbeiten. Aber - was bedeutete da „erarbeiten“? Und für welche Kunst? Für die bildende Kunst, gewiss - dabei für die alte ebenso wie für die ganz neue! Aber - eben nicht nur für die bildende Kunst. Es müsste ein Dach für alle Arten von Kunst sein. Das war so ein etwas springender Punkt. Ich postuliere also, sagte Philip zu sich selbst - aber vielleicht gibt’s da auch ganz andere Postulate - ich postuliere: Es gibt nur eine Kunst. (Er bedauerte fast, in diesem Moment eine Assoziation „beiseite schieben“ zu müssen, die sich ihm - dabei aber auch irgendwie „gewaltsam“, fand er - aufdrängen wollte: die Religion als Parallele zur Kunst, oder dabei wiederum das Postulat eines einzigen Gottes. Das ging dann wohl wirklich in Richtung Kulturtheorie - - -). So gesehen irgendwie logisch, dachte er, denn es gibt ja auch nur eine species homo sapiens. Philip geriet dann doch ein wenig ins Grübeln,, als die ganze Vielfalt von Kunstformen vor ihm auftauchte, für die seine Bewertungskriterien „zuständig“ sein sollten, also ganz gleich ob es sich um Musik, Literatur, Theater, Architektur, ja aber auch die tausenderlei Mischformen handeln sollte, die da ständig kreiert wurden - mit Hilfe irgendwelcher elektronischen Medien, Performances. Installationen - alles irgendwie weit weg, und doch ganz nah bei der bildenden Kunst?! Mit einem mal türmten sich vor ihm - die bereits erwarteten - zwei Schwergewichte auf: mit einander Hand in Hand, in bewährter Verbundenheit, die Wissenschaft mit dem rational-logischen Denken. Sollte er denn nun, um wissenschaftlich arbeiten zu können, erstmal ein kunstwissenschaftliches, dabei auch kunstphilosophisches und natürlich kunsthistorisches Studium in sich aufnehmen? Er musste fast schon gequält lachen, als er daran dachte, wie viel Zeit und Energie das wohl in Anspruch nehmen würde. Dies im Vergleich mit der - hoffentlich eintretenden - Restphase seines Lebens. Andererseits: Wo waren denn speziell im Feld der neuen oder gar neuesten Kunst überhaupt klare Lehrmeinungen zu finden, zu erkennen? Klar zu erkennen war jedoch, dass sich eigentlich niemand auf Kunst bewertende Kriterien wirklich einließ, vielmehr phantastisches Zeug formuliert wurde, wobei vieles weder von der Wortbedeutung noch von irgendeiner Logik her zu begreifen war. Er konnte sich sogar an einen Zeitungsartikel erinnern, in dem eine Diskussion über solche Fragen strikt abgelehnt worden war! Es sei einfach kontraproduktiv - und könne ja auch auf gar keinen Fall in der Praxis objektiv richtig sein – an so etwas überhaupt nur zu denken, geschweige denn es anzuwenden! Und es sei vielmehr nötig, die Kunst zu befreien aus den Gefängnissen, in die sie im Lauf ihrer Geschichte eingesperrt wurde und somit ihren Fortschritt zu ermöglichen.

      Philip zuckte ein wenig zusammen. War es überhaupt sinnvoll, für die Kunst so etwas wie „Fortschritt“ zu postulieren, ja sogar ihn zu fordern?! Erkennbar waren doch nur kulturbedingte Formen von Kunst - und mit den kulturellen Wandlungen die daran orientierten Veränderungen. Aber was trieb nun, genauer betrachtet, gerade die neueste Kunst zu derart grotesken Erscheinungen, wie er sie (bislang sicher nur sehr beschränkt!) wahrnehmen konnte und in deren Erzeugung sich offensichtlich große Massen - und dabei besonders die etabliert -arriviertesten - von Künstlerinnen und Künstler (bedenkenlos? - fragte sich Philip) irgendwie hineinzustürzen schienen und dabei sicher auch zu profilieren suchten. Oder aber hineingestürzt wurden?

      Wie konnte er denn nun die vielen „Stolpersteine“, die er vor sich liegen sah, aus dem Weg räumen? Es blieb ihm wohl nichts anderes übrig - aber damit konnte er sich gerade auch viel Sucherei in der Literatur und Auseinandersetzungen mit irgendwelchen „Schulen“ oder „Strömungen“ ersparen, wie sie eine Tätigkeit in der Wissenschaft erzwingt - als eben, ganz simpel, sprich logisch-rational von den allgemein bekannten Eigenschaften und Eigenheiten, der Beschaffenheit von Kunstwerken auszugehen Sie waren aufzulisten und führten dabei auf einige Sammelbegriffe, die justament als Kriterien, als sinnvolle sowie ausreichende Kennzeichen zur Bewertung von Kunstwerken dienen konnten. Wenn in der Kunstwissenschaft bereits eine solche Liste existierte, umso besser! (Aber wo, im Rahmen der „neuen Künste“ wäre dann von ihr eine Anwendung zu erblicken?!). Das könnte der nötigen Diskussion ja wirklich nur förderlich sein! Er erinnerte sich auch an verschiedene immer wieder einmal zitierte oder geforderte Eigenschaften von Kunst - wie „Schönheit“, „Ebenmäßigkeit“ oder „kunstvolle Arbeit“. Tatsächlich konnte er nun dagegenhalten, dass ähnliche Begriffe nur jeweils eine Qualitätsrichtung innerhalb einer größeren Palette im Rahmen eines einzelnen Kriteriums anzeigten konnten. Eine Gesamtbewertung musste dann aus den verschiedenen Kriterien, sprich den ihnen zugeordneten Qualitätsmerkmalen entstehen. „Schönheit“ mochte man für so etwas wie ein Gesamturteil halten. Allerdings war ein solcher Begriff nur schwer zu definieren und dabei auch sehr abhängig von den jeweiligen kulturellen, also auch historischen und insbesondere auch individuellen Voraussetzungen. Gerade im Hinblick auf solche Beschreibungen wurde Philip die Bedeutung seiner Forderung nach Rationalität, nach Einsichtigkeit von Kriterien zur Bewertung von Kunst noch klarer. Es wurde ihm dabei nämlich auch bewusst, dass dieser ganze „Komplex“, der einer Abwehr von rationalen Kriterien zu dienen schien, in einer engen Verbindung stehen musste mit einer Mystifizierung von Kunst - einem Punkt, dem er sicher noch nachgehen musste! Und dabei - das musste wirklich klar sein - durften in „seinem“ Kriterienkatalog auch eben keineswegs diejenigen Aspekte fehlen, bei denen alle möglichen irrationalen, insbesondere also psychisch - unbewusst begründete Wahrnehmungen einbezogen wurden. Gerade auch die Wahrnehmung „Schönheit“ käme dabei infrage.

      Getrennt von solchen Überlegungen schien es Philip ja auch wichtig zu sein, sein eigenes Kunstverständnis kritisch zu überprüfen. Wie und wo war es überhaupt entstanden?! In Gedanken setzte er Kunstverständnis bereits in Anführungszeichen, denn zunehmend hielt er es für ein „irgendwie produziertes Vorurteil“. Er zog aus einer Schublade der alten im Flur stehenden Kommode eine Sammelmappe heraus. Im Zeichenunterricht, wie das damals noch im Gymnasium hieß, in der vierten Klasse, hatte es ihm Spaß gemacht, sie zu basteln: aus Pappe. Danach wurde sie mit weißen Papierbögen überklebt und mit einem aus einer Kartoffel geschnitzten Stempel farbig bedruckt. Ein Himmel von bunten Sternen war so auf der Mappe entstanden. Viele Jahrzehnte hatte die Mappe schon unbeschadet überstanden. Sie enthielt die gesammelten „Kunstwerke“