Elke Bulenda

Fatales Erwachen Epubli EPUB


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      *

      Wir waren wieder auf dem Gang.

      »Er hat es ja nicht anders gewollt! Hast du gesehen, wie er mich immer und immer wieder gepikt hat?«

      Simon war nicht gerade begeistert, tröstete mich aber.

      »Er hatte ja keine Ahnung, wie schnell du bist. Ist schon okay, Ragnor, dann machst du eben keinen Asiatischen Kampfsport. Das ist ja auch nicht schlimm, so bleibt dir mehr Zeit fürs Lernen und die moderne Fortbewegung.«

      Abrupt blieb ich stehen. »Du meinst doch nicht etwa reiten? Oder? Ich hasse Pferde wie die Pest, sie sind schlimmer als Zahnschmerzen! Vorne beißen sie, hinten treten sie und in der Mitte sind sie unbequem!«

      Obwohl meine Mutter einem östlichen Reitervolk angehörte, konnte ich die Liebe zu Pferden nie mit ihr teilen. Für mich machte es keinen Sinn, auf einem Tier zu reiten, das einen Fluchtreflex besitzt. Dieser machte sich auch sofort bemerkbar, sobald ich einen Fuß in den Steigbügel setzte.

      Blondie schüttelte den Kopf. »Nein, wir reiten seit über hundert Jahren nicht mehr. Wir fahren Auto.«

      Da war ich aber beruhigt. Keine Bestien, die einem ein Stück Sitzfleisch aus der Backe bissen.

      »Ach, das sind diese fahrenden Kisten, die ich im Fernseher gesehen habe. Okay, klingt doch gut!«

      Hinter der nächsten Tür vermutete ich die rasanten Verkehrsmittel, wurde jedoch enttäuscht, als sich der Raum als riesige Sporthalle entpuppte. In der Mitte des Raumes stand ein Kerl mit einer seltsam, kantigen Frisur; groß, drahtig, militärisches Auftreten. Abwechselnd in die Trillerpfeife blasend, dann wieder, wie ein Wilder schreiend, war schnell klar – eindeutig ein Schleifer. Während sich der Kerl die Seele aus dem Leib schrie und pfiff, kam ein hochgewachsener Mann, in sehr kurzen Hosen, auf Simon zu geschlendert. Mit so kurzen Hosen, dass es auch ein Gürtel hätte sein können.

      »Simon, wir haben dich gestern schon vermisst!«, flötete er.

      Als sich der Mann zu Simon drehte, sah ich, dass er schwarze Flügel auf dem Rücken trug. Wie er da so mit meinem Begleiter herumschäkerte, überkam mich wieder die Eifersucht. Aha, ich war also nicht Simons einziger Schützling. Und der Typ da, schien eine männliche Engelshure zu sein.

      Simon unterhielt sich mit dem Engel und trat zu dem trillernden Schreihals. Dann winkte er mir, ich solle ihm folgen.

      »Ragnor, das ist Alex Kowalsky, euer Trainer für Fitness, Nahkampf, und Waffenkunde. Du kannst ruhig mal deine Mitschüler beschnuppern, ich unterhalte mich noch ein wenig mit Alex.«

      Simon ließ mich einfach so stehen ...

      Kritisch standen Alex und Simon zusammen, blickten zu den anderen rüber.

      »Verdammt Simon, was für eine jämmerliche Gurken-Truppe! Jetzt kommt auch noch Conan, der Barbar! Scheiß der Hund drauf ... Jedenfalls sind sie jetzt wieder zu viert.«

      Laut Simon sollte ich meine Mitschüler beschnuppern. Also sondierte ich die Lage. Außer dem dunklen Engel, war da noch ein Typ, der aussah, als hätte ihn jemand gerade aus dem Ofen gezogen. Dunkelgrüne, ledrige Haut bedeckte seinen Körper. Bei genauerer Betrachtung waren es Schuppen, wie die eines Drachen. Und da war noch ein anderes Ding. Fragt mich nicht was es darstellen sollte. Es wechselte ständig Form und Farbe. Gut, ich versuchte ein bisschen freundlich zu sein.

      »Hallo, ich bin Ragnor.«

      Der Engel schlenderte auf mich zu. Schlenderten eigentlich alle Engel? Bei den Göttern, ich bin nicht anders herum, aber Engel sind nun einmal schöne Wesen. Neben ihm wirke ich wie eine hässliche Kröte. Kurzerhand beschloss ich, ihn dafür zu hassen.

      »Ich dachte, Engel haben lange Locken und spielen den ganzen Tag Harfe?«, fragte ich ihn, nicht ohne einen gewissen Sarkasmus in meinen Satz zu legen. Seinen Kopf hatte er mit einer stacheligen Kurzhaarfrisur verziert. Wild, schwarz und steif, stand ihm sein Haar von Kopf ab. Nur in der Stirn trug er ein paar Fransen.

      »Mein Name ist Barbiel. Und ich bin nicht derjenige, der eine Frisur wie ein Barbar trägt! Langhaarfrisuren sind nur etwas für Schwuchteln, oder Transen!«

      Wütend funkelte ich ihn an ... »Schwuchtel? Transe? Soviel ich weiß, haben Engel kein Geschlecht! Na? Wer ist hier jetzt die Transe? He? Ist das da eine zusammengerollte Socke in deiner Hose?« Wir standen fast Nase an Nase, aber nur fast, er ist kleiner als ich. »Ich frage mich, wieso du nicht einfach die Flatter machst, du Mädchen!«

      Darauf mein gefiederter Freund: »Ach, das sagt gerade jemand, der Ohrringe trägt! Du Tucke!«

      Das ließ ich nicht auf mir sitzen. Also bekam er dies:

      »Flieg, flieg davon, bevor ich dir die Flügel, wie einem Brathuhn ausreiße!«, provozierte ich ihn weiter. Als Nächstes würde ich eine alte Wikinger-Spezialität aufs Tapet werfen. Den Blutadler.

      Ganz eindeutig bahnte sich eine saftige Schlägerei an. Doch ehe es soweit kam, trillerte es laut und lang. Meine Trommelfelle drohten zu zerreißen.

      »Was ist hier los? Hat euch jemand ins Hirn geschissen? Seid ihr jetzt fertig mit eurem Schwanz-Vergleich? Gebt sofort Ruhe, oder ihr macht mir auf der Stelle 200 Liegestützen! Vertragt euch!«, brüllte der Schleifer.

      Scheinbar machte Barbiel genauso gerne Liegestützen wie ich, denn wir beschlossen beide, uns zu beherrschen.

      »Jawohl, Sir!«, salutierte der Engel stramm.

      »Was? Ragnor? Ich höre nichts! Nimm Haltung ein, oder ich trete dir in den Arsch, dass du Eier spuckst!«, brüllte der Schleifer.

      »Jawohl, Sir!«, tat ich es dem Engel nach.

      Schnaubend drehte sich Schleifer Kowalsky um und ging zurück zu Simon.

      Barbiel war scheinbar nicht nachtragend, zuckte mit den Schultern und war locker, gelassen und freundlich.

      »Okay, Ragnor. Der Schuppige, das ist Dracon, die Betonung liegt auf dem O, er ist ein Franzose. Seine Mutter ist jedenfalls Französin, sein Vater ist ein waschechter Drache.«

      Dracon nickte und sagte, »Très contents!«

      Auch ich nickte ihm zu. Der dunkle Engel fuhr fort. »Und das, was ständig die Farbe und Form ändert ist ein: Incompositas Exo Creaturus.«

      Das Ding bildete einen menschenähnlichen Kopf, und eine Hand kam aus seiner Masse hervor. Ich unterließ es, sie zu schütteln und hob lediglich meine Hand zum Gruß.

      »Hy, wie soll ich dich nennen? Ich kann mir keine Namen merken, vor allem, wenn sie mehr als fünf Buchstaben haben.«

      Incompositas Exo Creaturus steckte mit Dracon den Kopf zusammen. Er, oder es blubberte, der Drachenmensch nickte und antwortete mit starkem Akzent.

      »Wir nennen ihn Silent Blobb, oder Bob. Das darfst du auch, ist okay für ihn.«

      War wirklich mächtig nett von ihm, dem, oder das Bob.

      »Okay, ich nenne dich erst mal Bob, wenn du nichts dagegen hast.Und warum seid ihr hier?«

      Sie guckten sich an und kicherten, nur Bob nicht, der blubberte. Barbiel, der wohl so eine Art Wortführer für die anderen war, antwortete.

      »Unter welchem Stein bist du denn hervorgekrochen? Weißt du nicht was diese Gruppe bedeutet? Sie sagen zwar Rehabilitation dazu, es ist aber im Grunde eine Umerziehungsmaßnahme. Die anderen nennen uns spöttisch "Die Knackies". Dracon lief mitten in Paris mit einem Flammenwerfer Amok, und rief: ›Isch bin ein Drache!‹, er kann nämlich kein Feuer spucken und Flügel hat er auch keine. Silent Blobb wurde von der Umweltbehörde entdeckt, weil er sich als Luftmatratze getarnt hatte … An einem FKK- Strand. Nein? Das sagt dir nichts, gut, das ist ein Nackt-Badestrand.«

      Der Engel hüstelte amüsiert. »Na und ich...«, er zeigte auf sich, »habe damals mit Luzifer, gegen den Boss rebelliert.«

      Jetzt war es an mir, mich zu erklären. Eigentlich wusste ich nicht, warum ich hier war. Also antworte ich lakonisch: