übersetzt wird. Eine solche Übertragung habe ich mit dem geheimnisvollen Manuskript versucht. Es ist ein Text entstanden, wie man ihn auch am Ausgang des zweiten Jahrtausends nach Christus hätte schreiben können.
An anderem Ort werde ich über meine Forschungen Rechenschaft ablegen. Dort werde ich mich auch dafür rechtfertigen, wie ich mit dem Text umgegangen bin, warum ich Teile aus dem Original herausgenommen habe, und die philologischen Probleme schildern, die es zu bewältigen galt. Immerhin handelt es sich um eine Übersetzung aus einer gänzlich unbekannten Sprache.
Diese Veröffentlichung ist keine historisch-kritische Textwiedergabe. Ich habe den zum Teil wirren Urtext geglättet und manchmal nach bestem Wissen und Gewissen chronologische Zusammenhänge geschaffen. Dabei, so hoffe ich, habe ich mich nicht allzu sehr geirrt! Die Autoren haben die Chronik der Ereignisse so genau wie möglich wiedergegeben. Sie hatten das Bestreben, die komplexen Verhältnisse ihrer Zeit zu überliefern. Die Niederschrift mag daher für heutige Leser manchmal recht verwirrend sein. Um den Überblick zu erleichtern, habe ich vor die einzelnen Kapitel jeweils kurze erläuternde Einleitungen eingefügt. Derartige Eingriffe in ein fremdes Werk durch den Übersetzer sind ungewöhnlich. Da der Text dadurch aber an Übersichtlichkeit gewinnt, betrachte ich diese Eigenmächtigkeit als Dienst am Original. Wie schon erwähnt, habe ich auch einige Geschichten, die den Fortgang der Handlung behindern, aus ihrem Zusammenhang genommen. Einige wurden gar nicht veröffentlicht, andere finden sich in einem Anhang wieder. Auch für diesen weitgehenden Eingriff, für die Schaffung von ‚Apokryphen’, bitte ich um Nachsicht.
Natürlich habe ich mir inzwischen auch Hypothesen über die Entstehungszeit des Blauen Buches gebildet und meine Quelle im Geist in die archäologische Forschung eingefügt. Auch dem gebührt eine eigene Publikation. Meine Überlegungen müssen von einer fachkundigen Öffentlichkeit kritisch geprüft, ergänzt oder gar verworfen werden. Vielleicht will der Text auch keine geschichtlichen Ereignisse wiedergeben, sondern hatte schon zu seiner Zeit rein fiktionalen Charakter. Ich kann es nicht entscheiden, aber oft sind Romane der Wahrheit näher als Geschichtsbücher.
Ich bin dankbar, dass mir durch ein glückliches Geschick diese Kunde aus einer anderen Zeit in die Hände gefallen ist und übergebe dieses Vermächtnis, das mich auch persönlich sehr berührt, mit allen übersetzerischen Schwächen einer breiten Öffentlichkeit. Vorerst ist ein Erstes Buch fertig gestellt. An der Übersetzung des restlichen Manuskripts arbeite ich noch. Dort wird beantwortet werden, ob es Ormor gelingt, seine Kräfte aufs Neue zu sammeln und Centratur doch noch zu unterwerfen. Werden Akandra und Marc Rutan erreichen und den König befreien? Welche Zustände treffen Aramar und seine Begleiter in Cantrel an? Wie entwickeln sich die Verhältnisse im Heimland? Natürlich habe ich das Blaue Buch bereits weitergelesen und weiß, was bevorsteht. Es ist atemberaubend und aufregend. Aber solange der Text nicht fertig übersetzt ist, werde ich nichts verraten.
Möge der Mut, mit dem die Menschen damals ihre Sorgen und Nöte meisterten, uns in unseren schwierigen Zeiten ein Wegweiser sein. Sie haben sich selbst in ausweglosen Situationen behauptet, obwohl sie Gefahren begegneten, die uns erspart bleiben mögen. Ihre Entschiedenheit, den bösen Kräften zu widerstehen, könnte uns heute Vorbild sein.
Wie mir scheint, bedürfen wir dringend einer Ermutigung.
H.N. anno 1996 p.Chr.n.
Vorgeschichten
Centratur ist ein Kontinent der Welt. Er wird regiert von Königen und ihren Vasallen. Die eigentliche Herrschaft aber üben Zauberer aus, von denen die einen gute, spirituelle und die anderen eigennützige, machtgierige Ziele verfolgen. Besonders ein skrupelloser Zauberer hat Centratur im Lauf der Geschichte bedroht: Ormor, der Zauberkönig.
Um die absolute Macht zu erringen und die Erde zu unterjochen, war ihm jedes Mittel recht. Deshalb hat er die Welt in schreckliche Kriege gestürzt.
Der letzte Krieg, der den Beinamen der „Große Krieg“ bekam, begann vor sechzig Jahren. Wieder einmal schien der Usurpator, der rücksichtslos seine Ziele verfolgte, zu siegen. Wieder einmal wurde die Welt in entsetzliches Leid und Elend gestürzt. Aber wieder konnten die vereinten, freiheitsliebenden Völker von Centratur Ormor schließlich doch niederringen und mitsamt seinem Heer in einen Berg bannen.
Nach Ormors Niederlage übernahm Meliodas, der Nachfahre der alten Hochkönige, die Herrschaft über Centratur. Er wurde ein gerechter König, der den Frieden sicherte und seine Völker schützte.
Der Zauberer Aramar hatte seit Generationen die Geschicke der Menschen aus dem Verborgenen gelenkt. Er war der eigentliche Widerpart Ormors im Großen Krieg gewesen. Dieser Zauberer, der die Menschen und besonders die Erits liebt, war der Meinung, die Bewohner von Centratur sollten nun für sich selbst verantwortlich sein und ihr Geschick allein bestimmen. Die Zeit der Zauberer sei vorbei. Deshalb zog er sich auf eine Insel zurück. Dies war sein großer Irrtum.
Die Geschichte, die nun erzählt werden soll, beginnt mit einer folgenschweren Befreiung und dem Tod des Hochkönigs. Die Folge ist ein grausamer Mord. Doch dann wird die Idylle des Heimlands geschildert, einem Gebiet weit im Westen der bekannten Welt. Dort leben in Abgeschiedenheit Erits, deren größte Sorgen ihre Ernte und das Wetter sind. Sie haben es sich gemütlich gerichtet und ahnen nicht, was in der übrigen Welt vor sich geht. Bis sich die Ereignisse überschlagen.
Sechs Kämpfer
Die sechs Reiter, die auf der Lichtung ihre Pferde festbanden, waren die besten ihrer Art. Jeder von ihnen hatte eine hervorstechende Eigenschaft, war auf seine Art geschickt, schnell und klug. Es gab, soweit man wusste, niemanden auf der Welt, der sie darin übertroffen hätte. Eines aber war ihnen allen gemeinsam: Sie schreckten vor keiner Gefahr zurück und sie hatten keine Hemmungen zu töten.
Ihre bisherigen Aufträge hatten sie ohne fremde Hilfe erledigt, denn jedem von ihnen war es zur Gewohnheit geworden, sich nur auf sich selbst zu verlassen. Sie brauchten in der Tat keine Unterstützung, denn jeder der Sechs war so gefährlich wie Dutzende der besten Kämpfer, und keiner scheute ganze Heere als Gegner. Wer immer ihnen begegnete, fürchtete ihre Feindschaft und suchte ihre Freundschaft. Aber sie hatten keine Freunde, und sie hatten keine Feinde. Man bezahlte sie, sie erledigten ihre Arbeit und ritten weiter. Niemand sah sie gern, und dennoch waren sie sehr begehrt.
Die Agenten hatten diese Sechs auf der ganzen Welt gesucht. Es hatte Jahre gedauert, bis alle Kämpfer aufgespürt worden waren. Über die Entlohnung musste nicht lange gefeilscht werden, denn die Agenten waren bereit, jeden Preis zu zahlen. Nur die Auflage, den Auftrag zusammen mit anderen auszuführen, war von keinem der Sechs zunächst akzeptiert worden. An dieser Bedingung wäre das Unternehmen beinahe gescheitert. Es bedurfte viel Zeit und großer Überredungskunst der Agenten, bis schließlich doch alle eingewilligt hatten. Endlich war es vollbracht und das große Werk konnte beginnen.
Die sechs Männer hatten sich in der großen Ebene getroffen und auf den Weg zum Berg gemacht. Sie ritten sorglos und stellten in der Nacht keine Wachen auf, wussten sie doch um ihre Macht. Kein Wegelagerer und kein Herrscher dieser Welt hätte es gewagt, sie anzugreifen.
Nach einigen Wochen erreichten sie die Lichtung am Fluss und wurden sogleich vorsichtiger. Die Gegend um den Berg wurde nämlich bewacht. Die einen sammelten Holz, die anderen holten Wasser. Später tranken sie wohlschmeckenden Tee und aßen von ihren Vorräten. Der Wald und die Lichtung lagen ruhig in der untergehenden Sonne, und die Männer genossen den Frieden. Sie sprachen wenig und bereiteten sich in Gedanken auf ihren Auftrag vor. Nicht, dass sie Angst gehabt hätten. Keiner von ihnen hatte je einen Kampf verloren. Aber sie waren siegreich geblieben, weil Vorsicht zu jeder Zeit ihr Tun bestimmte und sie gut auf ihre Aufgaben eingestellt waren.
Die Bohnen mit Speck, die sie sich später zubereiteten, schmeckten köstlich. Danach lagen sie satt und zufrieden mit den Köpfen auf ihren Sätteln und sprachen noch einmal alles durch. Jeder wiederholte die ihm zugewiesene Rolle. Endlich schliefen sie einen tiefen Schlaf und natürlich hatten sie Wachen eingeteilt.
Am nächsten Tag erhoben sie sich beim ersten Morgengrauen. Sie kochten Tee und frühstückten in aller Ruhe. Dann löschten sie das Feuer und traten auch noch die letzten Funken aus. Sie vergruben ihre Abfälle und