drehte sich auf Spießen. Im Lager roch es so gut, dass den Reisenden das Wasser im Mund zusammenlief. Man saß ab und machte es sich auf Feldstühlen bequem. Schalen mit Wasser wurden gebracht, damit sich die Herrschaften den Staub abwaschen konnten. Dann wurden Erfrischungen gereicht.
Der Edle Rankohr war dem König auf diesem Ritt nach Equan gefolgt, um eine persönliche Angelegenheit mit ihm zu besprechen. Sie betraf seinen Sohn und war für seine Familie von äußerster Wichtigkeit. Er hatte sich schon seit Tagen genau zu Recht gelegt, mit welchen Worten er seinem Herrn sein Anliegen vorbringen wollte und brannte darauf, endlich dessen Entscheidung zu hören. Die Gelegenheit schien ihm nun günstig. Schon wollte er sich in das offene Zelt des Königs begeben, als er sah, wie Graf Misselbeck an ihm vorbei zum Monarchen huschte. Der andere war ihm zuvorgekommen, nun musste Rankohr seinen Bittgang wieder verschieben.
Doch es dauerte nicht lange, und der Graf verließ das Zelt. Er sah sehr niedergeschlagen aus und war ganz rot im Gesicht. Man konnte deutlich sehen, dass er keinen Erfolg gehabt hatte und auf keinen gnädigen König gestoßen war. Seine Hände waren so zu Fäusten geballt, dass die Knöchel weiß hervortraten. Rankohr schlenderte zu ihm hinüber und fragte arglos, ob der König sehr erschöpft und ob Misselbecks Gespräch erfreulich verlaufen sei? Meliodas sei doch ein gütiger Monarch, dem man stets dankbar sein müsse.
Rankohr sah mit Freude, wie schwer es dem Grafen fiel sich zu beherrschen und zustimmend zu nicken. Deshalb konnte er nicht an sich halten und setzte noch die Frage obendrauf, welche Güte der Herrscher dem edlen Grafen denn diesmal erwiesen habe?
„Keine“, war die knappe Antwort.
Misselbeck ließ den scheinheiligen Rankohr stehen und ging mit langen Schritten davon. Dieser lächelte in sich hinein und nahm sich vor, es selber klüger anzustellen.
Nachdem sie gegessen und ein wenig geruht hatte, machte sich die Gesellschaft wieder auf den Weg. Sie kamen nun in ein Gebiet, in dem Rebellen hausen sollten. Doch befürchtete man keinerlei Überfälle oder andere Misshelligkeiten. Meliodas war als gerechter und weiser König bekannt, der im Reich keine Feinde hatte. Auch war die Garde schwer bewaffnet, so dass Angreifer keine Chancen gehabt hätten. Dennoch schickte der Führer der Leibwache zwei seiner Leute zur Sicherheit voraus. Aufgeregt kehrte einer der beiden nach wenigen Stunden zurück. Er berichtete, sie seien angegriffen worden und der Überfall habe seinem Kameraden das Leben gekostet.
Hauptmann Kuri unterrichtete seinen König. Er fragte ihn, was zu tun sei und empfahl ihm seinerseits umzukehren. Doch davon wollte Meliodas nichts wissen. Vor ein paar Rebellen würde er nicht kneifen, er hatte schon ganz andere Gegner in seinem langen Leben besiegt. Er fasste nach dem Schwert an seiner Seite und lockerte es in der Scheide.
Die Wache sicherte nun in alle Richtungen. Vorsichtig ritt man weiter. Kurz vor Dunkelheit wurde der Zug mit Pfeilen beschossen doch niemand getroffen. Weil sie keinen sicheren Lagerplatz fanden, ließ der Hauptmann der Garde trotz der Dämmerung nicht Halt machen. Auch eilten nun die Diener nicht voraus, um alles vorzubereiten.
Meliodas Lippen wurden immer schmäler und sein Kinn kantiger. Er umfasste den Knauf seines Schwertes mit starker Hand. Man sah, dass ihm ein Kampf nicht unwillkommen gewesen wäre. Für ihn waren diese Angriffe aus dem Hinterhalt eine persönliche Beleidigung. Er sah in ihnen sogar eine Schmähung der Königswürde. Hätten sich die Schurken zum Kampf gestellt, so hätte er ihnen gezeigt, dass noch die alte Kraft in ihm war. Aber sie blieben unsichtbar, wie um ihm zu zeigen, wie sehr sie die Macht des Königs missachteten.
In seinem Reich seien die Straßen sicher, sagte er immer wieder beteuernd zu Wisbad, dem Gesandten aus Muriel, dessen Pferd schon seit geraumer Zeit neben dem seinen lief. Dennoch müsse man immer wieder mit Wahnsinnigen, Verbrechern und Wichtigtuern rechnen, die den Frieden störten. Diese Ausnahmen bestätigten nur die Regel.
Die Sicherheit auf den Straßen Muriels, sei der Grund, der ihn an den Hof Seiner Majestät geführt habe, entgegnete Wisbad. Die Sicherheit sei nämlich im Osten des Reiches, dort wo er herkomme, nicht mehr gewährleistet, deshalb bitte man den König um Hilfe.
Unwirsch erkundigte sich der Herrscher, ob der Gesandte damit andeuten wolle, sein königlicher Schutz reiche nicht mehr bis Muriel? Ob er tatsächlich behaupten wolle, sein Reich Centratur, das er von seinen Vorvätern übernommen und gegen alle Feinde verteidigt habe, zerfalle?
„Ja, Majestät“, kam die Antwort.
Alles, was der Gesandte noch hörte, bevor sein Herr davon preschte, waren wüste Beschimpfungen ob seiner Dreistigkeit.
Endlich wurde ein Lagerplatz am Ufer des Tessenfluss, der aus dem Tessenwald in die Ebene floss, gefunden. Man stellte Zelte und Wachen auf, und die Herrschaften begaben sich zur Ruhe. Meliodas blieb noch lange wach. Wie sehnte er sich nach seinem früheren Leben in der Natur zurück. Damals war er wirklich frei und nur sich selbst verantwortlich gewesen. Niemand hatte ständig etwas von ihm gewollt.
Die Nacht verging ohne Zwischenfälle. Am nächsten Morgen äußerte Meliodas den Wunsch nach einem Bad. Sein Diener war entsetzt und wies auf das treibende Eis im Wasser hin. Der Herr werde sich erkälten, er könne sich sogar den Tod holen. Dieser ließ ihn mit einer Handbewegung verstummen. Die Absicht des Königs sprach sich rasch herum, und der Hauptmann eilte herbei. Der Fluss sei zu unsicher. Man könne den Herrscher nicht genügend schützen. Wenn er an dieser Stelle bade, sei er den Pfeilen vom anderen Ufer hilflos ausgeliefert.
Doch Meliodas entgegnete: „Ich lasse mein Leben nicht von den Absichten einiger Verbrecher bestimmen. Niemals werde ich mich den Plänen der Feinde unterwerfen und meine eigene Freiheit von diesen Elementen einschränken lassen. Dies werde ich jetzt mit einem Bad demonstrieren.“
„Dann kann ich die Verantwortung für Euer Leben nicht länger übernehmen“, bekannte der Mann von der Wache.
„Diese Verantwortung hast du nie getragen“, entgegnete ihm sein König bitter. „Sie ist für dich auch viel zu schwer. Der einzige, der die Verantwortung für mich tragen kann, bin ich selbst. Du kannst gehen. Für diesmal sei dir deine Unbotmäßigkeit noch verziehen.“
Mit diesen Worten warf er sich einen weiten Mantel über den nackten Körper und ging langsam auf den Fluss zu. Lunete war aus dem Nachbarzelt herausgekommen und stellte sich ihm in den Weg. Der Fluss sei reißend und gefährlich. Es wäre unklug, sich seinen Fluten jetzt anzuvertrauen. Er antwortete ihr nicht, sondern ging einfach eilenden Schritts um sie herum. Lunete sah ihm kopfschüttelnd nach. Dann wandte sie sich abseits in die Büsche. Die beiden Gesandten hatten das Lager bereits verlassen. Auch von den Edlen Rankohr und Misselbeck war nichts zu sehen. Der Hauptmann folgte seinem König zum Fluss. Er schlenderte dabei betont gemächlich.
Am Ufer legte Meliodas den Umhang ab und stieg in die Fluten. Das Wasser war sehr kalt und tief. Es schauderte ihn, aber er konnte nun nicht mehr zurück und musste ein paar Stöße schwimmen, um sein Gesicht nicht zu verlieren. Nur sein Kopf war noch zwischen den Wellen sichtbar, obwohl er sich kaum vier Fuß vom Ufer entfernt hatte. Ein großer Baumstamm, dessen Äste traurig in die Luft ragten, trieb genau auf ihn zu. Der König sah ihn kommen und versuchte noch ihm auszuweichen, doch da färbte sich das Wasser an der Stelle, wo eben noch sein Kopf gewesen war, bereits rot. Meliodas, Hochkönig von Centratur, Herrscher von Whyten, der letzte Spross aus dem Geschlecht der großen Könige, wurde nicht mehr lebend gesehen. Er starb in den Fluten des Tessenfluss. Seine Leiche konnte in den braunen Wassern erst viele Meilen flussab geborgen werden. Sie war vom Eis, dem Treibholz, den Baumstämmen, und dem was das Hochwasser des Frühlings sonst noch mit sich führte, so entstellt, dass man die Todesursache nicht mehr erkennen konnte. Die edlen Züge waren zerstört. Nicht einmal Lunete erkannte ihren Mann.
Der Körper wurde zum Regierungssitz nach Cantrel zurückgebracht und dort aufgebahrt. Dann eilten Boten durch das ganze Land und verkündeten überall das schreckliche Unglück. Die Edlen aus allen Ländern reisten nach Whyten, um an den Beerdigungsfeierlichkeiten teilzunehmen. Große Trauer herrschte überall. Man fürchtete das Schlimmste für das Reich. Einige Weise aber raunten, der König sei für diesen Tod glücklich zu preisen. Ihm sei es erspart geblieben, den Untergang seines Reiches mitzuerleben.
Die Flasche