Horst Neisser

Centratur I


Скачать книгу

      Gehässig fuhr er fort: „Wenn ich das schon höre: Heldentum! Helden sind entweder Dummköpfe oder Wichtigtuer. In der Regel wird das Heldentum von denen da oben nur gepriesen, um uns klein zu halten und uns für ihre Kämpfe gefügig zu machen. Und dann immer dieses Gerede von den Abenteuern. Abenteuer sind Geschichten aus Büchern. Wir geben sie unseren Kindern zum Lesen, solange sie vom wirklichen Leben noch nichts verstehen. Das Abenteuer von uns großen Leuten ist die tägliche Arbeit. Unsere Gefahren sind zu viel Regen für unser Getreide und zu viel Sonne für unsere Rüben.

      Ich möchte diesen Kinderkram von Grenzen-Bewachen und Kämpfe-Ausfechten nicht noch abends in meinem Wirtshaus hören. Dort will ich mich nach einem Tag voll harter Arbeit entspannen. Ich muss für mein tägliches Brot ganz schön schwitzen. Nur wenn man keine Sorgen im Alltag hat, kann man sich leisten, von Gefahren und Abenteuern zu träumen und anderen Leuten damit auf die Nerven zu gehen."

      Das war starker Tobak, und Mog saß mit bleichem Gesicht auf seiner Bank. Am liebsten wäre er diesem unverschämten Kerl an die Gurgel gesprungen. Aber er beherrschte sich.

      „Du redest so, weil du es nicht besser weißt", antwortete er zähneknirschend. „Es würde mich interessieren, ob du den Markgrafen unseres Landes und den Grafen von Waldmar auch so unverschämt anreden würdest? Die können nämlich alles bestätigen, was ich je erzählt habe."

      „Das habe ich mir beinahe gedacht, dass du jetzt mit deiner noblen Bekanntschaft auftrumpfst. Aber die Herren sind nicht hier, sondern irgendwo in der Welt. Es steht auch gar nicht fest, ob sie dein Geschwätz auch beglaubigen würden. Ist es nicht seltsam, dass diese hohen Herrschaften so wenig von dir wissen wollen, obgleich du dich ihnen angebiedert und sogar deine Kinder nach ihnen genannt hast? Wann hast du sie denn das letzte Mal gesehen, hä?"

      Bei so viel gemeinem Spott blieb Mog nichts übrig als aufzustehen, eine Münze auf den Tisch zu werfen und wortlos zu gehen. Als er die Tür hinter sich zugeschlagen hatte, hörte er wie in der Wirtsstube auf einmal alle durcheinanderredeten. Verdrossen machte er sich auf den Heimweg.

      Bauer Pflugmann hatte einen wunden Punkt in Mogs Leben angesprochen. Dieser war Mogs Beziehung zu seinen ehemaligen Gefährten, Marc und Pet. Zusammen hatten sie große Abenteuer und Gefahren bestanden und waren weit in der Welt herumgekommen. Im Großen Krieg hatten sie das ihre zum Sieg der guten Sache beigetragen. Gemeinsam waren sie schließlich zurückgekehrt. Mog hatte zwei seiner Kinder nach ihnen benannt, und sie waren bereit gewesen, die Gevatternschaft zu übernehmen. Aber, und das wurde Mog nun schmerzlich bewusst, die ehemaligen Weggenossen wollten nichts mehr mit ihm zu tun haben.

      Pflugmann hatte mit seinem Spott recht gehabt, so wie auch in vielem von dem, was er sonst noch gesagt hatte, ein Körnchen Wahrheit lag.

      Marrham, den man nur Marc nannte, und Pet von Hagen, die beiden fröhlichen Freunde, mit denen Mog in der Vergangenheit so viele Abenteuer erlebt hatte, waren nicht nur in Whyten und Equan, sondern auch im Heimland angesehene Männer geworden.

      Marc, der heutige Graf von Waldmar, über dessen Späße selbst König Meliodas gelacht hatte, war braungebrannt und selbstbewusst aus dem Krieg in die Heimat zurückgekehrt. Seine große Familie wählte ihn, der nun berühmt war, zum neuen Oberhaupt. Von nun an nannte er sich nicht mehr Marc, sondern Marrham. Er wurde ernster und gesetzter. Bald machte er sich daran und baute das Alte Schloss, den Stammsitz seiner Familie, weiter aus. Waldmar lag jenseits des großen Flusses und war ein kleines, aber selbstständiges Land. Es war vom Heimland durch den Erfstrom getrennt. Schon vor vielen Generationen hatten Marrhams Vorfahren Teile des Wilden Waldes gerodet. Es mussten mutige und abenteuerliche Leute gewesen sein, die es gewagt hatten, das sichere Heimland zu verlassen.

      Marrham war ein Ritter Equans im Großen Krieg geworden, und irgendwann verlieh ihm der ferne König, zu dem Marc weiterhin gute Verbindungen unterhielt, auch den Titel eines Grafen. Waldmar gedieh unter seiner Führung und blühte noch mehr auf, als schon unter seinen Vorfahren. Die Leute in Waldmar waren stolz auf die Entwicklung, die ihr Land genommen hatte. Sie begannen, ‘ihren’ Grafen zu verehren.

      Graf Marrham residierte im Schloss und richtete sich in einem Jagdhaus, das er Waldlust nannte, noch einen zweiten Wohnsitz ein. Dorthin zog er sich zurück, wenn er sich von seinen Herrscherpflichten ausruhen wollte. Im fünften Jahr seiner Erhebung zum Grafen hatte Marrham geheiratet. Er nahm die Tochter einer angesehenen Familie aus Nadelholz zur Frau. Sie hieß Rosana, war eine gute Partie, sehr schön und sehr vornehm. Nach zwei Jahren wurde eine Tochter geboren, der sie den Namen Akandra gaben. Sie liebten und hüteten sie sehr.

      Der zweite Sohn von Mog trug den Vornamen des Grafen und hatte ihn zum Gevatter. Jedes Jahr im Sommer wurde er für vierzehn Tage auf Waldlust empfangen. Der Herr fragte ihn dann nach dem Stand seiner Ausbildung und gab ihm ein kleines Geschenk. Die Gabe fiel nie üppig aus, denn sie sollte dem Patensohn nicht zu Kopfe steigen und ihn nicht über seinen Stand hinaus erhöhen. Aber zusätzlich erhielt Mogs Sohn viele gute Ratschläge, die in den Augen des Grafen Marrham das Wertvollste waren, was er geben konnte.

      Akandra von Waldmar war eine schöne junge Dame. Sie hatte zierliche Füße, weiches, seidiges Haar und eine entzückende Stupsnase. Dazu war sie klug und von gewinnendem Wesen. Die Augen ihres Vaters ruhten mit Wohlgefallen auf ihr. Sie kannte ihre Vorzüge und ihre gesellschaftliche Stellung und wusste, dass sie sich von gemeinen Menschen fernzuhalten hatte. Der alljährliche Besuch des Gärtnersohns, der sogar mit ihnen zusammen am großen Tisch im Schloss speisen durfte, war ihr ein Dorn im Auge. Wenn Marc in seinen besten Sonntagskleidern erschien, hatte Akandra stets nur einen geringschätzigen Blick für ihn übrig. Auch wenn ihn seine Eltern noch so sehr herausputzten, er blieb ein Gärtnersohn. Vielleicht, so dachte sie sich, wenn er sich ordentlich verhielte und noch ein paar Manieren lernte, würde er ihr einmal den Garten pflegen dürfen.

      Marc fühlte sich bei seinem hochherrschaftlichen Paten nicht wohl und kam Jahr um Jahr seiner Besucherpflicht mit größerem Widerwillen nach. Akandra hielt er für geziert und albern, ihr Gehabe amüsierte ihn. Er war ein hübscher Junge, der sich am Abend mit den Mädchen des Dorfes am alten Brunnen traf. Dort wurde viel gelacht und gesungen. In Waldlust hörte er niemals Singen. Wenn ihm sein Vater erzählte, was für ein fröhlicher Geselle sein Namenspatron doch früher gewesen war, so konnte er es kaum glauben.

      Auch der Sohn Pet hatte einen im Heimland äußerst angesehenen Namenspatron. Pet von Hagen war der zweite noble Herr, mit dem Mog aus dem Großen Krieg zurückgekehrt war. Beiden Begleitern galt im ganzen Land der höchste Respekt. Im Zusammenhang mit dem Großen Krieg fiel auch manchmal der Name von Mog. Dann wurde gerätselt, weshalb die beiden Helden, Pet und Marrham, damals so einfache Leute wie Mog und Til auf ihre Abenteuerfahrt mitgenommen hatten.

      Pet, aus der Familie der Hagen, so sagte man, soll sogar die rechte Hand des großen Königs gewesen sein. Dieses Gerücht schien der Wahrheit zu entsprechen, denn Pet wurde bald nach seiner Rückkehr der Titel eines Markgrafen und das ganze Heimland vom König als Lehen verliehen. Wie wäre sonst diese große Auszeichnung zu erklären? Alle Heimländer waren von da an seine Untertanen, und sie waren stolz, dass sie einen Ritter zum Herrn hatten. Der Markgraf legte sich ein Wappen zu. Es zeigte ein Einhorn zwischen drei Bäumen, umgeben von einem Kranz von Sternen.

      Mog wusste natürlich, dass Pet im Großen Krieg nur eine unbedeutende Rolle gespielt hatte. Aber er war mit den Mächtigen zusammen gewesen, und die hatten den freundlichen und stets fröhlichen Erit liebgewonnen. In wirkliche Kämpfe war Pet nie verwickelt worden. Als es später darum ging, im Heimland eine ordentliche Verwaltung aufzubauen und eine dem Königshaus verpflichtete Autorität einzusetzen, erinnerte man sich an den netten Gesellen aus alten Tagen. Der König schlug Pet zum Ritter und machte ihn zum Markgrafen über das kleine, abgelegene Land.

      Der frisch gebackene Markgraf heiratete eine vornehme Frau mit Namen Ludmilla. Sie bekam vier Kinder, drei Mädchen und einen Jungen, der als Stammhalter besonders gefeiert wurde.

      Der Markgraf war ein nobler und ein guter Herr. Niemand musste sich über ihn beklagen. Nur seine Töchter fanden keine Ehemänner, weil unter den Erits des Landes keiner standesgemäß genug für eine Heirat war. Sie blieben deshalb, obgleich sie längst das heiratsfähige Alter überschritten hatten, in dem