Horst Neisser

Centratur I


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Stapel Brennholz, den er unter einem kleinen Dach neben seinem Haus, das er Gutruh nannte, aufgestapelt hatte. Mog war Gärtner und hatte es mit seiner Frau Ev zu bescheidenem Wohlstand gebracht. Sie hatten vier Kinder, von denen inzwischen die Älteste, Almira, einem braven Erit ihre Hand gegeben hatte und nach Weststadt gezogen war. Til, der älteste Sohn, war seit zwei Jahren außer Haus. Man hatte ihn nach Nordhausen verdingt, damit er dort das ehrbare Schmiedehandwerk erlerne. Der junge Erit hatte starke Muskeln, und seine Eltern waren stolz auf ihn. Er liebte die Mutter über alles, deshalb war ihm der Abschied vom Elternhaus sehr schwer gefallen. Aber der Vater hatte auf der Abreise bestanden. Er wollte den Sohn von den Rockschößen der Mutter lösen. Der Wind der weiten Welt sollte ihm ein wenig um die Nase wehen. Außerdem galt der Schmied in Nordhausen als der beste im ganzen Heimland. Es war eine Ehre von Meister Schwarzfuß ausgebildet zu werden. Noch immer schrieb Til regelmäßig jede Woche drei Briefe an die Mutter, die jedoch immer kürzer wurden, seit er ein Mädchen namens Kirschlocke kennen gelernt hatte.

      Marc und Pet wohnten noch daheim. Marc war unstet und streifte oft tagelang durchs Heimland, aber Mog mochte seinen Sohn und ließ ihn gewähren.

      Pet, der Jüngste, war in die Fußstapfen seines Vaters getreten und erlernte die Gärtnerei. Er war ein lustiger Bursche, aber häufig krank.

      Der Sommer und die Ernte waren im Heimland gut gewesen. Das konnte man von den Nachrichten, die von außen ins Land kamen, nicht behaupten. Im fernen Whyten war der König gestorben. Überall in Centratur und an den Grenzen war Aufruhr ausgebrochen. Es hieß, längst vergessene Gestalten, die man bereits ins Reich der Fabel verwiesen hatte, seien wieder aufgetaucht. Sogar von Orokòr war die Rede. Noch war im Heimland wenig davon zu merken, und so behandelte man die Gerüchte als spannende, wenn auch etwas gruselige Abwechslung im gleichförmigen Alltag. Aber die Alten, die sich noch an die schlimmen Zeiten des Großen Krieges erinnerten, hoben mahnend ihre Finger.

      Im ‚Hirsch’, der alten Gaststätte an der Mühlendorfer Straße, wurde wie an jedem Abend heiß debattiert. Da schlugen die Gäste mit den Fäusten auf die Tische, dass das Bier überschwappte, und riefen, die Strolche sollten nur kommen, denen werde man es schon zeigen. Man habe keine Angst vor den großen Leuten. Im Heimland gebe es schließlich noch Männer. Andere beklagten sich, dass sich alles zum Schlechten verändere; früher sei alles viel besser gewesen. Nun sei man im Heimland seines Lebens nicht mehr sicher. Dagegen müsse etwas unternommen werden. An allem trüge, sagten Dritte, nur die Fremden Schuld, die man jetzt aller Orten antreffe. Besonders die Flüchtlinge sollten besser schon an der Grenze abgefangen und zurückgeschickt werden. Die Behörden müssten sofort und härter durchgreifen. Furcht vor irgendwelchen Feinden, darin waren sich alle einig, habe man natürlich nicht. Die Eritmänner hätten in aller Welt einen so abschreckenden Ruf, dass sich Schurken nicht über die Grenzen des Heimlands wagen würden.

      Mog saß nachdenklich in der Ecke neben dem Kamin, trank sein Bier und schüttelte hin und wieder unwillig den Kopf über das wirre Gerede. Ihn störten nicht die Widersprüche und auch nicht die Angebereien, aber er wusste aus eigener Erfahrung um die Gefahren, die jenseits der Grenzen lauerten. Dort gab es Wesen, die so mächtig waren, dass es sich diese Zecher nicht einmal vorstellen konnten.

      Zu allem Unglück war das Heimland in diesen unsicheren Zeiten ohne Schutz. Die beiden vom König eingesetzten Herren waren zu den Beerdigungsfeierlichkeiten ins ferne Whyten gezogen. Sie hatten das Heimland ohne Sorgen verlassen, denn es war abgelegen und schien ihnen deshalb sicher. Im Vertrauen darauf hatten sie Vorsorge für unnötig gehalten und niemanden ausdrücklich mit der Verteidigung des Landes beauftragt. So waren die Grenzen unbewacht. Die zurückgebliebenen Soldaten der Grafen, die besten hatten sie mit auf die Reise nach Whyten genommen, waren ohne Führung kaum zu gebrauchen. Die Bürger des Landes blieben auf sich selbst gestellt.

      Mog war froh, dass er handfeste Söhne hatte, auf die er sich verlassen konnte. Zudem gab es noch den alten Schmalried, der in Blumendorf wohnte. Er war ein Freund und hatte das Herz auf dem rechten Fleck. Hin und wieder besuchte ihn dieser auf Gutruh. Dann saßen die beiden in dem kleinen Zimmer mit dem großen Kamin. Sie schauten durch das Fenster in den Garten, der noch immer der schönste im ganzen Heimland war, und erzählten von alten Zeiten. Wenn die Rede auf seine alten Freunde Til und Aramar kam, traten Mog regelmäßig die Tränen in die Augen. Er sehnte sich nach den Gefährten früherer Jahre. Bei Sonnenuntergang holte Mog in der Regel einen Krug Wein aus dem Keller, den sie genüsslich tranken. Spät in der Nacht setzte sich Schmalried dann auf seinen Wagen und kutschierte über einen dunklen Hohlweg nach Hause. Das Pferd musste dabei den Weg alleine finden.

      Auf Schmalried konnte man zwar zählen, dachte sich Mog, aber er war vom Alter gezeichnet. Er würde nicht mehr zu Knüppel und Lanze greifen, selbst wenn Not am Mann war.

      Der Bauer Pflugmann, der werktags wie sonntags in seiner alten Arbeitshose und mit lehmigen Schuhen herumlief, ergriff das Wort. Sein Hof lag östlich von Gutruh in der Nähe der Mühle. Gewöhnlich erzählte er jedem, wie schlecht die Zeiten und die Ernten waren, und dass ein armer Bauer einfach kein Auskommen mehr hatte, mochte er auch noch so viel arbeiten. Seltsamerweise widersprach ihm niemand, obwohl alle wussten, dass diese Klage nicht wahr sein konnte. Pflugmann kaufte Jahr für Jahr ein Stück Land nach dem anderen zu seinem Besitz dazu.

      Heute erhob er nicht die Stimme, um zu jammern, sondern sagte aufgebracht: „Was kümmert es uns, dass der König tot ist? Hat er sich denn je um uns gekümmert? Keiner der hohen Herren hat mir meinen Acker gepflügt oder mein Korn gedroschen. Nur Abgaben und Steuern wollen sie haben. Die können mir gestohlen bleiben mit ihrem Schutz, von dem immer die Rede ist.

      Der König ist tot, na und? Was Besseres, das sage ich euch, kommt nicht nach. Also lasst mich in Ruhe mit eurem Lamentieren. Wenn man seine Arbeit macht, niemandem etwas wegnimmt und niemandem etwas tut, dann hat man keine Feinde und muss sich nicht fürchten. Dann braucht man auch keinen Schutz und keinen König und keine Herren. Die ziehen einen doch nur in ihre Streitereien mit hinein. Wir müssen den Kopf hinhalten und die Suppe auslöffeln, auch dann noch, wenn die da oben sich längst wieder vertragen."

      Bei diesen Worten musste Mog an den König von Whyten denken, den er gut gekannt hatte, und Trauer erfüllte sein Herz. Er stellte seinen Krug mit einem lauten Knall auf den Tisch und sagte langsam: „Ohne den König Meliodas könntest du nicht hier sitzen, Bauer Pflugmann. Du redest so, weil du es nicht besser weißt. Hast du nichts von den Kämpfen gehört, die er gegen Ormor und seine wilden Horden gefochten hat, und die uns allen erst die Freiheit gebracht haben? Möchtest du von Ormor versklavt sein? Das wärst du nämlich, wenn es diesen König nicht gegeben hätte.

      Wer hat all die Jahre die Grenzen des Heimlandes in schlimmen wie in guten Zeiten geschützt? Was glaubst du denn, wem du den Frieden verdankst, in dem du ein Feld nach dem anderen aufkaufen kannst? Du solltest deine Zunge etwas hüten!"

      Da sich der alte Mog selten in die Gespräche einmischte, hatten alle in der Stube aufgehört zu reden und aufmerksam zugehört. Nun war einen Moment lang betretenes und erstauntes Schweigen. Auch der Bauer Pflugmann war kurze Zeit sprachlos. Dann aber nahm er einen tüchtigen Schluck Bier und wandte sich der Kaminecke zu, wo der unerwartete Widersacher saß.

      „Ich weiß nicht, was du mit diesem Ormor hast, Mog? Immer erzählst du von ihm und seinem Land Darken, wie machthungrig er gewesen war und was für einen heldenhaften Kampf ihr damals gefochten habt. Aber keiner von uns weiß, ob das alles nicht nur pure Angeberei ist. Ob du dich vielleicht nur selbst zum Helden machst? Von deinem viel beschworenen Krieg haben wir alle hier recht wenig mitbekommen. Sicher, es mag zu Kämpfen gekommen sein, aber ihr Alten übertreibt doch immer. Wer sagt uns denn, dass es diese Orokòr, von denen immer die Rede ist, überhaupt gibt? Ich habe sie noch nicht gesehen und kenne auch keinen, der sie mir wirklich beschreiben könnte. Vielleicht existieren sie nur in Geschichten, die den Kindern Angst machen sollen? Vielleicht bist du nie weiter als nach Weiler gekommen. Vielleicht haben deine Abenteuer nur in deinem Kopf stattgefunden, nachdem du zu viel Bier im ‘Blauen Krug’ getrunken hast?"

      Diese Worte waren eine offensichtliche Gemeinheit. Jedermann war bekannt, dass sich Mog im Großen Krieg große Verdienste erworben hatte. Sein Name stand auf der Ehrenliste, in der alle Helden aufgeführt waren. Ja, sein beherztes Eingreifen soll