H. DERHANK

Der Zwilling


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gelingt es dir, dich darin zu entspannen in Bekanntem und Neuem. Du drückst in deiner Fantasie immer wieder und in immer engerer Folge Legis kleinen roten Knopf und versuchst einen Zusammenhang herzustellen zwischen seinem pulsierenden Leuchten, ihrem Transistorenstöhnen und den Stromstößen in dem Ding in deiner eigenen Hand. Du versuchst dich und deine halbwegs natürliche Lust mit der imaginär künstlichen zu verbinden.

      Und dann fragst du dich plötzlich und ohne Not, wie es denn sein kann, dass du in diesem fremden Hirn einen Hinterkopf hast: Einen metaphorischen, und ob und warum überhaupt ich meine innere Schwester mitgebracht habe, die Schwester, die ich nie hatte, die eine ältere Schwester ist, fast wie eine Mutter, komischerweise kann ich mir keine innere Mutter vorstellen, da ist eine Sperre, also Schwester, Anstandsdamenschwester, die ihren Bruder zu einem anständigen Menschen erziehen will, immer noch, seit über 50 Jahren ohne Erfolg, die eigentlich ein bisschen froh sein könnte, dass ihr Bruder nun eine Familie hat (und es für sie vielleicht auch ist), also eine Frau hat, und er sich doch Sex mit ihr vorstellen könnte, wenn er nur wollte, und wenn schon das nicht - schließlich ist Sylvie für Thomas nur (nur? - oder noch?) so etwas wie eine Vernunftehe -, wenn schon das nicht geht, nicht übers Knie gebrochen werden kann, also wenn es schon eine andere sein muss, z.B. besagte Frau Legi, dann doch bitte in Gänze, als menschliches Wesen und nicht künstlich, weder als Verletzung noch als Möse, und du machst obendrein eine Maschine draus, aus ihr, eine Klitorisprothese, was man Objektreduktion von Subjekten nennt und von Infantilie oder Oralfixiertheit zeugt, und der Leonschwanz ist längst wieder erschlafft über diese Auseinandersetzung, noch lang, aber blutleer, ein leerer, faltiger Schlauch mit einem Kugelkopfende, das von Daumen und Zeigefinger hochgehalten wird, eine Art Ballon, der an schlaffen Häuten mit dem Körper verbunden ist, und der aber nicht wegfliegen würde, dieser fremde Penis ist bereits ohnmächtig, aber du hältst ihn fest, seinen Cockpitkopf, dessen Autopilot noch Signale sendet ans Hirn, wie ein Mantra »Mayday! Mayday!«, schwache, lustlose Luststöße von deinen Prankenfingern übertragen und sozusagen im Kreis geführt, Penis - Hirn - Daumen - Penis - Hirn - Daumen, aber die Signale werden schwächer, die Blackbox stirbt, und würdest du ihn loslassen, würde er hinabfallen, aufs Schambein plumpsen und dort liegen bleiben wie ein fauler Apfel an einem verwelkten Wurm.

      Und so bemühst du dich nun halbherzig, dir Legi obenrum vorzustellen, du suchst ihr Gesicht, aber du erinnerst dich nicht. Wie war bloß ihr wahres Gesicht? Dabei kennst du sie seit Wochen, du weißt, wie es aussieht, wie sie über die Station humpelt, und nicht zum ersten Mal hat sie heute neben dir gesessen! So bist du, hast immer nur auf ihre nackten Schenkel gestarrt und kein einziges Mal in ihre Augen, und mit Franka wäre das nicht passiert.

      Traum(a)

      Ich atme diesen Körper nicht.

      Nein, ich atme diesen Körper nicht.

      Wie haben eigentlich Seelen Sex, fragst du dich?

      Es graut bereits der sommerliche Morgen, als ich wieder die Bachkiesel höre. Wieder die milde Brise spüre. Mich wiederfinde auf der Waldlichtung. Ich habe die Augen geschlossen. Will einschlafen, oder - nicht wach werden.

      Ich atme diesen Körper nicht,

      diesen Körper atm' ich nicht ...

      Ich atme diesen Körper nicht ...

      Insekten, die mir nichts anhaben können, Bienen, Hummeln, Schmetterlinge; und Vögel und die Baumharze und Blüten duften.

      ... diesen Körper atm' ich nicht ...

      Ich vergesse, wer ich bin. Nur an den Wald erinnere ich mich, und an den Bach, an den Sommer, Frühling, vielleicht auch Spätsommer, das ist alles.

      Ist Krieg? Und ich bin darin gefangen? Im Krieg? Bin Folteropfer? Opfer von Gewalt? Oder bin ich oder war ich Täter?

      Bin ich?

      Bin ich nicht von einem Jungen, während seine Komplizen mich festgehalten haben, gefoltert worden? In einem weiß gefliesten Raum, vielleicht einem ehemaligen Badezimmer, wo die Armaturen herausgebrochen und die Wasserabläufe mit Lappen zugestopft waren? Ein schmutziges, kaltes leeres Haus, da, wo meine Schreie niemand hört?

      Bin ich?

      Ich atme ...

      Haben sie sich Zeit gelassen dabei?

      Ich räche diesen Körper nicht ...

      Plötzliches implodierendes Gefühl von Enge. Ich träume von Fesseln, ich spüre, ich bin das Opfer, doch da ist Wut, meine Wut, gefesselte Wut, fürchterliche Wut mit platzenden Äderchen, Zittern und sprühendem Speichel, immer wütender wütender wütender werden, die Fesseln zersprengen und sich rächen. Endlich.

      ... diesen Körper räch' ich nicht ...

      Und als sich - wie bei einem aggressiven, grell aufblitzenden Filmschnitt - das Bild wandelt, liegt plötzlich der Junge, der eben noch vor mir stand und der sich Aljoscha nennt, liegt plötzlich vor mir, vor mir, und ich bin es, der ihm ... habe ich nicht ihm - ich ihm! - bei vollem Bewusstsein, mit einer Kneifzange den rechten kleinen Zeh abgetrennt?

      Ich räche diesen Körper nicht!!!

      Oder war es mit einer Rosenschere? Zeh um Zeh, Glied um Glied, und die Wunden mit Salz eingerieben? Habe ich ihn nicht angekettet und in seine Trainingsanzughose scheißen lassen? Erst urinieren, und dann, irgendwann, auch scheißen? Oder auch nicht irgendwann, vielleicht sofort, weil ihm seine Angst von Anfang an seine Würde genommen hat? Haben wir uns angesehen dabei? Er und ich? Hatten wir gerötete Gesichter, war da so etwas wie Faszination in unseren Augen? Augen, die vor Scham zusammengeschrumpft sind wie kleine schwarze Käfer? War das Lachen, unser Lachen, nicht auch von Herzen? Von bösem Herzen, das weiß, dass da kein Gott ist, der uns straft? Oder haben wir ihn uns heimlich gewünscht? Gott? Haben wir uns gewünscht, bestraft zu werden? Haben wir Angst gehabt? Hat unser raues Lachen Angst überspielt? Hatten wir voreinander Angst? Angst, beim ersten Anzeichen von Schwäche die Rollen zu tauschen? Haben wir nicht gerade die Rollen getauscht? Haben wir Mitleid miteinander gehabt? Oder habe ich ihn weiter malträtiert? Mit einer Rose? Mit einem blatt- und blütenlosen, getrockneten Rosen­strunk voller zentimeterdicker Dornen? Habe ich ihm nicht den schrecklichen Turnanzug heruntergerissen? Ist das nicht meiner? Mein Trainingsanzug? Habe ich mich darin eingeschissen? Oder er? Habe ich ihm nicht überall, besonders aber am Hals, auf der Brust, unter den Armen und auf den Handinnenflächen Risse in die Haut gezogen? Habe ich ihn nicht singen lassen? Habe ich nicht auf diesem Jungen gespielt, wie man auf einer Geige spielt? War nicht jeder Streich ein neuer Klang? Habe ich nicht herausgefunden, welche Körperstellen welche Art von Schmerz und damit welche Art von Gesang erzeugten? Habe ich das Lied nicht wie ein Crescendo gespielt, eine sich immer mehr steigernde Replica intensiver Empfindungstöne? Forte, fortissimo, furioso? Und habe ich ihm dann, als er über und über gezeichnet war und der Gesang dolendo morendo versiegte, habe ich ihm nicht, als schließlich kein Ton mehr aus ihm herauszuholen war, habe ich ihm nicht dann den Strunk so fest und tief in den gespreizten Anus gesteckt, dass die Dornen sich in ihm wie Widerhaken festkrallten? Womit mir ein finaler Ton aus ihm herauszuspielen gelang, smorzando con dolore?

      Ich räche diesen Körper nicht ...

      Und habe ich ihm nicht noch im Ausklingen einen Zahn aus dem offenen Mund herausgebrochen? Die vorderen oberen Schneidezähne vielleicht? Mit derselben Schere, mit der ich ihm schon ein paar Zehen abgetrennt hatte? Vielleicht nicht sehr präzise, die Klingen einer Rosenschere finden nur schwer Halt in einem Mund; ging es nicht nur gerade so, dass ich etwas vom Gebiss zu fassen bekam? Oder war es die Zunge? War das, was dann erklang, nicht wie eine murmelnde Quelle? Eine Quelle roten Wassers, die aus ihm sprudelte? Herausfloss, wie auch in ihn hineinfloss, und war es nicht allmählich sehr schwer zu verhindern, dass er das Bewusstsein verlor?

      Murmelnder, glucksender Bach, ganz nah, neben der Hütte, Bächlein im Walde ...

      Ich atme diesen Körper nicht,

      diesen Körper atm' ich nicht!

      Und habe ich ihm nicht deswegen einen Hoden abgeknipst?