H. DERHANK

Der Zwilling


Скачать книгу

geschlafen hat. Vielleicht aber auch, weil du auf dem Rücken am unbeteiligtsten bist, was diesen Körper betrifft. Katholische Nachtruhe, Hände auf der Bettdecke usw., davon träumen, wieder Thomas zu sein und es sich manchmal zu wünschen und manchmal froh zu sein, dass du es nicht mehr bist.

      Ich denke an Sex, oft, und wie sich Leon bei Sex anfühlt, und ob es so sein wird, wie Legi ihr Bein fühlt. Ich stelle mir das taub vor, oder aber überreizt, schlecht kalibriert jedenfalls, immer wenn ich meinen Schwanz in die Hand nehme, hat mein Schwanz es nicht bemerkt. Dabei ist Schwanz, wenn auch nicht wirklich meiner, wenigstens ein echter. Wie erst wäre Sex in einem komplett technischen Körper? Ich stelle mir Manni vor, bei seiner nächsten Reinkarnation, erwacht als Hirn in einem Roboter - nein, selbst das Gehirn müssten sie gegen ein künstliches austauschen, von Manni will nichts weiterleben als nur sein Geist. Den es angeblich nicht gibt ohne Körper, aber solange alles Erdenkliche ein Körper sein kann, auch eine Maschine also, solange ist das egal, es wird auch dann Mannis Geist sein, wenn demnächst ein Stahlskelett über die Station stakst. Und wie sähe dann sein Penis aus? Wie eine Waschbeckenarmatur? Ein gebogener verchromter Wasserhahn mit rot und blau punktierten Drehreglerhoden aus Plexiglas? Oder wie ein echter Dildo? Und: Kann man sich das aussuchen? Quasi als Entschädigung für alles Durchgemachte? Wie lang und wie dick, ob mit oder ohne zusätzlichen Außenbordmotor? Und welche vibrations- bzw. umdrehungstechnischen (oder klitorisstimulierenden) Zusatzfunktionen hat so ein Kunstschwanz (ich stelle mir kleine Jungs vor, die gegeneinander Dildoquartett spielen: »Sechszylinderwechselgetriebe!« - »Acht!« - »Acht sticht!«). Du gehst ganz auf in Metastasen-Manni im neuen Gewand, sprich neuen Körper, sprich Kunstkörper. Doch obwohl die ersten Kunstmenschen so echt aussehen dürften, dass sie von biologischen kaum zu unterscheiden sein werden, so wie Legis Naturbeinimitat ihr echtes an Echtheit gar aussticht, ist in deiner Einbildung der neue Körper von Manni ein reines Edelstahlgerippe; mit Kugellagern und Scharnieren, Gelenkkapseln aus Plastik und hier und da kragen Kopfmuttern hervor, ansonsten innen hohl bzw. leer. Man kann bis zur Wirbelsäule durchgucken, die natürlich auch aus Edelstahl ist, mit Kabeln, hydraulischen Ölschläuchen und Gasdruckfedern behangen. Und sein Gesicht aus, sagen wir Kunststoff? Oder ein Styroporkopf, warum nicht gleich?, und das Elektronengehirn dahinter stellt sich vor, Sex mit Legi zu haben, zum Beispiel. Wobei er bzw. du dir Legi ebenfalls als Roboter vorstellst, ihr heute präsentiertes hautfarbenes Elastomerbein verbleibt dabei als einzig natürlich anmutendes Organ, der Rest von ihr ist Stahl wie bei Manni. Das geht so weit, dass aus ihrer Beinprothese unterhalb ihres Rocksaums ein stählerner Oberschenkel­ersatzknochen herauskragt, ein dünnes verchromtes Rohr ohne Fleisch, das mit einem ebenso fleischlosen Hüftgelenkscharnier verbunden ist, am Ende einer Querstange, die ihr Becken sein soll, an jedem Rohrende ein Hüftgelenk und ihr anderes Bein ist reines Metall. Und von der Mitte des Querrohrs geht eine weitere Stange senkrecht nach oben, das ist ihre Wirbelsäulenprothese, und darunter? Du revidierst das Bild, die Wirbelsäule geht nicht senkrecht nach oben weg, sondern in einem etwas 45-Grad-Winkel nach hinten und biegt sich erst dann nach oben. Das Querrohr selbst ist etwa sechs, sieben Zentimeter dick, und da, wo sich bei Manni der Armaturendildo und bei echten Frauen echte (echte?) Geschlechtsorgane befinden, hat sie nur eine kleine, rote Plexiglasdiode, die man durch Eindrücken zum Leuchten bringen kann. Du folgst den mit jedem Knopfdruck ausgelösten elektrischen Signalen, die verkabelt zum Kopf hin führen und sich dort dank einer wie auch immer gearteten Transformation in Computersex umwandeln. Zeitweilig bist du mehr sie als er, statt Mannis erforschst du ihr Elektronengehirn, das einzig dazu da ist, künstliche Erotik zu erzeugen, sie wahrzunehmen und zu echter zu machen. Energiewolken, elektromagnetische Wellenberge und -Täler, Spannung, Volt, Ampere oder auch ein flirrender Schwarm aus synchronisierten Entladungen, anstelle von Synapsen feuern unzählbar viele Nanotransistoren ihre Elektronen ab, im Takt, wie ein napoleonisches Schützenbataillon, was Lust erzeugt oder Lust ist, es lässt sie stöhnen, und es klingt wie der Singsang eines Synthesizers. Meine Aufmerksamkeit wandert also dahin, wo dieses elektrische Stöhnen herkommt, wo ihr Gesicht sein muss, aber ich erkenne nur eine blecherne Lamellenfläche ohne menschliche Züge (wozu auch?), die mich wieder wegschauen machen, nicht ohne mit dem Blick an ihren Brüsten hängen zu bleiben, die jede für sich aus rosafarbenem Plastik sind, mit dem Detaillierungsgrad ungefähr einer Schaufensterpuppe, Plastikbrüste, die auf den nackten, aus dünnem gebogenen Messingblech bestehenden Ersatzrippen nur lose aufliegen und allein über eine Art Strapse am oberen Ansatz mit dem, was wohl ihr Schlüsselbein sein soll, verbunden sind. Würde Legi sich bewegen, würden die Brüste wahrscheinlich herunterbaumeln.

      Doch Manni, the fucking robot, will nun zur Sache kommen, und darum erfindest du Schamlippen für sie (für ihn). Die sind aus Weichgummi undefinierbarer Farbe, du stellst dir Gummiwürmer vor, wie man sie als Scherzartikel bekommt, weich und knetbar, sie fühlen sich wider Willen gut an und in deiner Fantasie hat Manni schon angefangen, sie auf seine Art zu berühren, und nun fehlt nur noch etwas zum koitalen Hineinkommen in diese Frau, ein nach innen gestülpter Schlauch oder Kanal, aber dir fällt nichts ein, da sind nur die zwei Lippenwürmer, die sich aneinander und um die Metallstange schmiegen, an den Enden schmal und in der Mitte dick, fleischig, sie sind neben der Beinprothese das einzig Fleischige an ihr, doch erst, wenn man sie mit etwas Maschinenfett einreibt, das Manni von einem Kugellager irgendeiner Stelle seines eigenen Skeletts abstreift, erst wenn die Schamlippenwürmer ganz weich und ölig sind, kann er sie auseinanderdrücken, und dann öffnet sich doch etwas, ein Loch in der Stange, und das Allererste, woran du denkst, sind scharfkantige Schnittränder, an denen man sich den Penis aufschlitzt, aber nein, der Rand ist umlaufend gummiert, natürlich, mach dir die Vorstellung nicht kaputt, und tatsächlich befindet sich darin, dahinter ein Hohlraum, dessen Ende der ersatzweise für dich mit seinen Metallfingern in sie eindringende Manni nicht erfühlen kann; obwohl ihr Becken nur ein normales Rundrohr ist, finden sie keine Rohrinnenwand gegenüber, da ist tatsächlich nichts. Quantenphysik, so was ist sicher möglich, von außen mag das nur ein Rohr sein, aber innen ist die Möse eine Welt für sich, von der du nichts weißt. Weder, ob sie dir eng ist oder weit, noch physisch oder leer, oder auch: kalt oder heiß? Du bemerkst, dass du Manni virtuell verdrängt hast und selbst Hand anlegst, sowohl im Kopf wie im wirklichen Leben, du hast darüber eine Erektion bekommen, dir selbst geschenkt mit deiner Fantasie, die zugegeben ein bisschen neben der Spur ist, aber während du dir ausmalst, die Robotervulva zu erforschen, erforschst du in Wirklichkeit deinen neuen Penis.

      Vielleicht, um realistisch zu blieben, geht ihre Vulva statt in Quantenphysik doch lieber in die gegenüberliegende Wirbelsäule über? Deren Ansatz auf dem Rohr elastisch ist, also aus Kunststoff, was sie nach außen hin biegsamer macht und nach innen hin den Raum für echten Geschlechtsverkehr öffnet und zugleich begrenzt. Ein innerer fester Schlauch, so beschaffen, dass dieser neue Penis (nicht Mannis Dildo, sondern der in deiner Hand) passgenau hineingeführt werden könnte, dieser neue Penis, der es bislang so erfolgreich geschafft hat, sich dir zu entziehen. Einer mit Vorhaut, ich hatte keine, keine mehr, Thomas hatte seine irgendwann entfernen lassen, weil zu eng und aus dem reichlich bescheuerten Grund, damit Franka gefallen zu wollen, und im Übrigen gleich die Samenleiter mit abgeklemmt. Für Franka stand die Welt vor dem Aus, da hinterlässt man keine Kinder, hat sie gesagt, Franka, die eine Tochter hat und die an dir die Wiederholung dieses größten anzunehmenden menschlichen Fehlers verhindern wollte: Kinder in diese Welt zu setzen, und du bist ihr gefolgt, willig, warst eine Weile Ersatzpapa ihres Kindes und bist darüber kinderlos geblieben und nun aber hast du einen Sohn!

      Und eine Vorhaut. Und eine gewöhnungsbedürftige Gurkenform, etwas bauchig und insgesamt länger als früher - ach herrje, soll man sich darüber freuen? Ich halte die Erektion am Leben, trotz oder gerade wegen der abstrusen Vorstellung von intermaschinellem Sex, von einer Sexmaschine, zu der ich Legi gemacht habe, eine Maschine, in deren auf die wesentlichen technischen Funktionen reduziertem Gegenstück einer Möse ich mentale Befriedigung suche, erfolgreich, obwohl in meinem Hinterkopf meine innere Schwester bereits unruhig wird, mein personifiziertes Gendergewissen, das ich versuche zu ignorieren, ich bearbeite meinen Schwanz mit der gebotenen Konzentration, gleichmäßig, geschäftig, was tatsächlich einiges bewirkt in Leon, du bemerkst Selbstähnlichkeiten mit deinem früheren Thomaskörper, in der Elektrifikation, aber da sind auch andere Empfindungen, da ist was mit den Brustwarzen: Thomas hatte nie ein Gefühl in den Brustwarzen gehabt, nie, aber der hier?, dein neues Gehirn empfängt jedenfalls Brustwarzensignale.

      Und weil es Nacht ist, und