Norbert F. Schaaf

Afghanistan Dragon


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      „Und deshalb raten sie euch, gegen die pakistanische Regierung zu kämpfen?“

      Banshef lächelte verlegen. Natürlich taten die Nordamerikaner genau das, was der Alte sagte. Doch was sollte ein junger Mann aus einem Panjshiri-Dorf heute wohl machen? Selbst die Großväter kämpften schon im Sold der Nordamerikaner. Wer sich geweigert hatte, war aus der Gemeinschaft ausgeschlossen worden. Kämpfte er mit, hatte er wenigstens die Aussicht, etwas zu verdienen und ein halbwegs angenehmes Leben zu führen. Bis ihn eine Kugel getroffen hat. Das Gesicht Banshefs verdüsterte sich. Er würde mit seinem Trupp südwärts ziehen, nachdem er die Lasten über die Grenze gebracht hatte. Und das Militär von Peschawar zog westwärts, hörte man. Es war eine Abstimmung über eine neue Regierung angekündigt worden und über ein Programm für die Entwicklung des Landes. Zu diesem Programm gehörte auch die Beseitigung der Bedrohung durch marodierende Banden, hieß es. Das sind wir. Wir werden ihnen entgegenziehen. Schöne Hinterhalte legen. Überfälle durchführen. Wir werden auch Tote haben, dachte er, doch das sagte er nicht. Er klopfte Jalaluddin auf die Schulter und riet ihm: „Mach dir keine Gedanken! Wir werden schon durchkommen.“

      „Aber wir nicht“, gab Jalaluddin zurück. „Wenn es noch lange so weitergeht, wird der Hunger in Karambar Einzug halten.“

      „Ist es so schlimm?“

      „Schlimm genug. Wenn die Ernte vorbei ist, schicken wir ein paar Männer in den dschangal am Fuß der Berge. Vielleicht treiben sie eine Bergziege auf oder ein paar Kaninchen.“

      Banshef schüttelte den Kopf. „Und was macht ihr mit dem Geld, das euch die Yankees für euer Opium bezahlen?“

      „Sie bezahlen kein Geld“, brummte Jalaluddin grimmig.

      Banshef erkannte, dass der Alte sich erregte. Er war das bei ihm nicht gewohnt, und er wunderte sich darüber. „Ich würde euch gern helfen“, sagte er betroffen. „Aber ich weiß nicht wie. Mir scheint, du hast Grund, unzufrieden zu sein.“

      „Jeder in diesem Dorf hätte Grund, sich von einem hohen Felsen in eine Schlucht zu stürzen“, sagte Jalaluddin erbittert. „Aber das ist nicht deine Sorge. Ich glaube, deine Leute sind fertig. Ich wünsche euch guten Weg. Bamone khoda. Möge Gott euch geleiten.“

      Er drehte sich um und ging. Banshef sah ihm ein paar Sekunden nach, mit den gemurmelten Worten: „Und auch mit dir sein“ und einem Ausdruck von Bedauern. Bald kamen seine Männer, und er gab ihnen das Kommando, die Packtiere anzutreiben und zu verschwinden.

      Jalaluddin vergewisserte sich, dass die Säcke mit dem Opium in der Maschine lagen und schloss das Schott hinter sich. Er ging zu Mir Khaibars Haus und warf einen Blick in den Erdkeller. Den Sack mit dem verdorbenen Opium hatten die dozds stehenlassen. Jalaluddin legte die aus Bambus gefertigte Klappe auf den Einstieg und machte sich auf zu den Piloten.

      Er hörte das Radio spielen, das sie mitgebracht hatten. Bevor er die Leiter emporkletterte, schaute er noch einmal zu seinem eigenen Haus hinüber. Dort war alles dunkel. Sanaubar hatte sich wohl mit Shanzai schlafen gelegt.

      10

      Stamp schaute zu, wie Parker aus seiner Segeltuchtasche das Waschzeug auspackte. In Schaumstoff eingewickelt, befand sich darin eine kleine Flasche mit einer wasserklaren Flüssigkeit.

      Parker hatte ein paar Trinkgefäße genommen, die an der Wand aufgehängt waren. Auf dem Tisch standen Bierbüchsen. Parker öffnete das Fläschchen und ließ einige Tropfen der Flüssigkeit in ein solches Trinkgefäß rinnen.

      „Und das wirkt auch todsicher?“ erkundigte sich Stamp.

      „Das machen sie für die Special Forces“, entgegnete Parker, „da kannst du sicher sein, dass es erstklassiger Stoff ist. Er wird davon vierundzwanzig Stunden schlafen wie ein Skunk.“

      Stamp grinste und sah auf die Uhr am Handgelenk. „So viel Zeit hat er gar nicht mehr, wir fliegen um sechs.“

      Unvermittelt hörten sie Jalaluddin kommen. Der Alte betrat den luftigen Wohnraum, nickte den beiden Nordamerikanern freundlich zu und sagte: „Es ist alles erledigt.“

      Parker ging ihm mit dem gefüllten Bierbecher entgegen und forderte ihn auf: „Sehr schön, Jalaluddin, und jetzt löschen wir erst einmal unseren Durst mit einer Büchse San Miguel.“

      Jalaluddin nahm den Becher und prostete den beiden Piloten zu, wie er das von ihnen gelernt hatte, denn fast immer, wenn sie hiergewesen waren, hatten sie Bier mitgebracht. Die beiden hoben ebenfalls ihre Becher, und Stamp sagte: „Also – auf die wohltätige Wirkung des kühlen Getränks!“

      Parker warf ihm einen warnenden Blick zu, doch Jalaluddin hatte keinen Verdacht geschöpft. Er trank gern Bier. Bevor die Piloten gekommen waren, hatte er nie welches gesehen. Er liebte dessen leicht berauschende Wirkung, die nicht so gefährlich war wie ein Rausch von sharab, dem Schnaps, den die Marodeure manchmal aus Pakistan mitbrachten. Damals, als Mr. Oates zum ersten Mal mit den Piloten in Karambar erschienen war, um das Geschäft mit dem Opium in Gang zu bringen, hatte er außer manch anderem, was die Bewohner der Siedlung nie zuvor kennengelernt hatten, auch Kartons mit Bierbüchsen mitgebracht.

      „Ich gieße etwas nach“, sagte Parker. Er ging mit einer geöffneten Bierbüchse zu Jalaluddin und füllte dessen halbgeleertes Trinkgefäß wieder. Dabei musterte er ihn aufmerksam. Die Augenlider des alten Mannes begannen zuzufallen, die halbmondförmigen Tränensäcke darunter wurden ausgeprägter. Parker schob ihm einen der im Haus herumstehenden Korbstühle hin. Jalaluddin bewegte den Kopf und merkte, dass ihm das schwerfiel. Was war das? Es gelang ihm kaum noch, die Augen offenzuhalten. Diese Müdigkeit war schrecklich! Habe ich eigentlich noch den Becher mit dem Bier in der Hand oder nicht?

      Stamp hob das Trinkgefäß auf. Es war dem alten Mann längst aus der Hand gefallen und auf den Boden gerollt.

      Parker beugte sich zu Jalaluddin herab, dessen Kopf auf die Brust gesunken war. Parker hob ihn an und rief: „He, Jalaluddin! Was ist?“

      Der Alte antwortete nicht mehr, er bewegte nicht einmal die Lippen. Parker zog ihm die Augenlider hoch und besah sich die Pupille. „Aus“, sagte er lakonisch.

      Stamp stand immer noch mit Jalaluddins Bierbecher in der Hand daneben, bis ihn Parker anfuhr: „Spül das Ding mit Bier aus und stell es hin. Nimm die Lampe und steig in den Keller.“

      „Hoffentlich hält der Plastiksack das aus“, merkte Stamp zweifelnd an, während er tat, was Parker ihm aufgetragen hatte.

      „Mach dir keine Sorgen, der Alte wiegt nicht viel mehr als einen Zentner, und das trägt so ein Sack.“

      „Sicher?“

      „Bist du Stümper denn nie für die Armee geflogen, bevor du zu uns kamst?“

      „Selbstverständlich!“

      „Und da weißt du nicht, dass in solchen Säcken getötete GIs transportiert werden?“

      Stamp schluckte nur, kletterte betreten die Leiter hinab.

      11

      Sanaubar und Shanzai hatten indes alles beobachtet, was vorgegangen war, nachdem die Piloten angekommen waren. An der Lehmwand von Jalaluddins Haus sitzend hatten sie durch einen Riss hinausgespäht. Sie hatten Banshefs Leute gesehen, wie sie die Kisten aus der Maschine geladen und später die zehn Säcke mit dem Opium aus dem Keller geschleppt hatten. Dabei hatte Sanaubar sogar so etwas wie Sympathie für die Männer empfunden, weil sie Jalaluddin diese Arbeit abgenommen hatten. Schließlich war Jalaluddin von dem Landeplatz zurückgekommen und zu den Piloten gegangen. Einen Augenblick hatte Sanaubar noch hinausgeblickt und überlegte, dass Jalaluddin sicher eine Weile bei den Piloten bleiben würde. Es würde Bier geben, ja. Und es wäre auch unhöflich gewesen, die beiden Fremden allein zu lassen. Schon wollten die beiden jungen Frauen sich auf die Schlafpritsche legen, weil sie müde waren, da stieg einer der Piloten die Stufen von Mir Khaibars Haus herab und kroch in den Erdkeller. Sanaubar wunderte sich, was er dort wohl wollte. Sie konnte sich auch nicht erklären, was es zu bedeuten hatte, dass der Mann einen der großen Plastiksäcke mit ins Haus hinaufnahm. Shanzai war