Norbert F. Schaaf

Afghanistan Dragon


Скачать книгу

sich zur Rast in der Schlucht nieder. Doch die Ruhe dauerte nicht lange, denn schon nach einigen Minuten meldete der Posten am östlichen Zugang das Nahen eines Mannes.

      Banshef kletterte auf einen Felsen und hob sein Fernglas an die Augen. Bald konnte er die Gestalt erkennen, die sich durch das fast mannshohe Buschwerk näherte. Es war Jalaluddin. Der Anführer ging ihm entgegen. Als er nahe genug heran war, rief er ihn an: „He, Jalaluddin!“

      Der Alte blieb erschrocken stehen. Schließlich erkannte er Banshef und sagte vorwurfsvoll: „Du bist das! Warum lauerst du mir auf?“

      Der Anführer grinste vergnügt. „Wir sind eben angekommen. Hatten noch keine Zeit, einen Mann ins Dorf zu schicken.“

      „Was wollt Ihr?“

      „Austausch“, antwortete Banshef knapp, aber mit einem Blick, der eine gewisse Entschlossenheit in Dingen des eigenen Vorteils erkennen ließ.

      Jalaluddin gab einen mürrischen Laut von sich. Wie immer, dachte er. Sie kommen hierher, und wir wissen nichts. Dann kommt eine Maschine, und wir haben die Arbeit. Sie machen das mit den Nordamerikanern über ihre Funkgeräte ab, und wir spielen die Handlanger. Wir decken sie. Was für ein widerliches Spiel das geworden ist! „Ich will auf die Felder“, sagte Jalaluddin.

      Der Anführer entgegnete: „Dann geh nur. Wir machen das mit Mir Khaibar ab.“

      Als er hörte, dass Mir Khaibar nicht da war, zuckte er die Schultern.

      Jalaluddin erzählte ihm nichts von Mir Khaibars Schicksal. Er sagte nur brummig: „Ich werde zurückgehen. Es ist sonst weiter niemand im Dorf.“

      „Auch nicht euer einbeiniger, armloser Dschinn?“ erkundigte sich Banshef.

      „Nein, nein“, beeilte sich Jalaluddin zu schwindeln, „heute nicht. Ist heute unten im Tal.“

      Banshef grunzte zufrieden, griff in die Brusttasche seiner Tarnfleckjacke und zog ein Päckchen US-amerikanischer Zigaretten heraus. Als Geste der Friedfertigkeit hielt er Jalaluddin die Packung hin, der sich einen Stängel nahm und ihn anrauchte. Er war gewohnt, starken, grobgeschnittenen Landtabak in einer aus Bambus gefertigten Pfeife zu rauchen, doch er schätzte den Duft, der aus diesen amerikanischen Zigaretten aufstieg. Manchmal hatten die Piloten ihm ein paar Päckchen zugesteckt. Die dozds von jenseits der Grenze trugen stets einen großen Vorrat davon bei sich. Jalaluddin wusste, dass die Banditen sie meist dazu benutzten, schnell einen Zug Opium zu machen.

      Auch jetzt tat der Anführer das. Er nahm aus der anderen Tasche eine kleine Dose, die mit einem schmutzigweißen Pulver gefüllt war, tupfte das Ende seiner Zigarette in dieses Pulver und brannte sie mit seinem tchaqmaq, dem im Hochgebirge als wertvollsten Besitz geltenden Flintstein, an. Er machte einen tiefen Zug und lächelte. Bei dem Pulver handelte es sich um minderwertiges Heroin, das die Panjshiri in primitiven Laboratorien herstellten. Obwohl sie von chinesischen Chemikern dazu angelernt worden waren, gelang ihnen das Endprodukt nicht vollkommen. Es war nicht mit dem hochwertigen Heroin zu vergleichen, das in den großen Zentren der Opiumverarbeitung hergestellt wurde, und es diente den dozds nur zum eigenen Gebrauch.

      „Du jagst den Drachen am helllichten Tag?“ fragte Jalaluddin mit gerunzelter Stirn. Für gewöhnlich rauchten die Leute den chandu, das Rauchopium, nur am Abend, jedenfalls hier in den Bergen, und sofern sie es überhaupt taten.

      „Ein bisschen“, erwiderte Banshef. „Ein Zug jetzt, ein Zug in ein paar Stunden. Es erleichtert den Marsch über die Berge.“

      Jalaluddin bezweifelte das, denn obgleich die Droge imstande war, das körperliche Befinden für kurze Zeit zu heben, ließ sie doch die Leistung schon bald erheblich absinken. Doch Jalaluddin sagte nichts. Er erkundigte sich nur: „Du sagst, ihr wollt austauschen. Habt ihr etwas mit?“

      „Zehn Säcke.“

      „Ihr könnt sie jetzt gleich ins Dorf tragen“, schlug Jalaluddin vor. „Mir Khaibars Keller ist leer.“

      Es wiederholte sich jedes Mal das gleiche. Die Piloten hatten von ihrem Boss in Kabul die strenge Anweisung, mit den Panjshiri-Leuten nicht in Kontakt zu kommen. Das war vor langer Zeit so vereinbart worden, und jeder hielt sich daran. Sie brachten mit dem Hubschrauber ihre Fracht, die Panjshiri-Leute deponierten zuvor ihr Opium in dem Keller unter Mir Khaibars Haus. Wenn die Piloten sich überzeugt hatten, dass das Opium in dem Erdkeller bereitstand, zogen sie sich zurück. Den Rest erledigte Mir Khaibar mit den Panjshiri-Leuten. Er schaffte das Opium zum Helikopter, und die Panjshiri-Leute luden die mitgebrachte Ladung selbst aus.

      Mr. Oates, der vor Jahren mit Mir Khaibar diese Art des Austausches vereinbart hatte, wusste wohl, weshalb er so verfahren ließ. Niemand sollte je behaupten können, dass die Piloten der Air America mit den Panjshiri-Rebellen handelten. Das tat Mir Khaibar. Keiner der Panjshiri-Rebellen würde jemals, falls er gefangengenommen und verhört würde, beweisen können, er habe einen amerikanischen Piloten auch nur gesehen. Und keiner der Piloten würde seinerseits einen der Banditen beschreiben können, mit denen Mr. Oates Handel trieb. Selbst wenn man einen der Piloten zu einer Aussage über seine Tätigkeit brächte, würde er nur erklären können, er habe Kisten mit unterschiedlichem Inhalt in eines der notleidenden Dörfer in den Bergen des Nordens geflogen und sie dort an den Dorfvorsteher übergeben. Das war klug ausgedacht. Nichts war zu beweisen. Wenn man Mr. Oates nach dem Inhalt der Kisten fragte, würde er sogar behaupten können, es habe sich dabei um Hilfsgüter gehandelt.

      Jalaluddin rauchte die Zigarette zu Ende, während Banshef zehn Leute bestimmte, die die Säcke zum Dorf tragen sollten. Als sie damit abzogen, folgte Jalaluddin ihnen. Banshef blieb zurück. Er sah auf seine Uhr und entschloss sich, noch ein wenig zu schlafen, bis die Maschine kam.

      Die Panjshiri-Leute hielten sich nicht lange im Dorf auf. Sie luden die Säcke mit dem Opium ab und machten sich wieder davon. Es dämmerte und die Berge schienen ins Unermessliche zu wachsen, während alles andere zusammenschrumpfte. Jalaluddin blickte Banshefs Trupp nach. Menschen und Tiere drängten sich immer kleiner werdend an die Flanke des Berges, bis sie außer Sicht gerieten. „Die Berge sind so hoch“, bedachte Jalaluddin das hiesige Sprichwort, „dass sogar die Vögel ihren Gipfel nur zu Fuß überwinden können.“

      Jalaluddin begann indes die Säcke zurechtzustellen. Der Keller war leer, bis auf einen nicht ganz vollen Sack Rohopium, der in einer Ecke stand. Man hatte ihn zurückbehalten, weil der Stoff minderwertig war. Er stammte noch von der letzten Ernte, damals hatte ein unerwartet auftretender Sturm in der Nacht zwischen dem Anritzen der Kapseln und dem Abschatten des ausgetretenen Saftes eine Menge Schmutz und Laubreste über ein Feld geweht. Als die Frauen am Morgen mit dem Abkratzen begonnen hatten, hatte es sich gezeigt, dass so viele Fremdkörper an dem ausgetretenen Seim haftengeblieben waren, dass der Stoff für den Handel unbrauchbar war. Man hatte das Feld trotzdem abgeerntet, doch seitdem stand der Sack mit dem Rohopium in Mir Khaibars Keller. Jalaluddin rückte ihn beiseite, so dass er später nicht etwa aus Versehen mit verladen werde, und legte auch noch ein paar herumliegende leere Plastiksäcke ordentlich zusammen. Als er wieder hinaufstieg, begann die Sonnenscheibe gerade hinter den Bergkämmen im Westen zu versinken. Violettes Grau überzog bereits die Osthänge.

      Jalaluddin horchte in den Himmel, doch noch war kein Flugzeuggeräusch zu vernehmen. Dafür erschien auf der Ebene, auf der sich der Landeplatz befand, Sanaubar. Sie hatte sich beeilt und den Weg von der Poststation in Shari-i-Buzurg ohne längere Rast zurückgelegt. Nun schlenderte sie mit lächelnden Augen auf Jalaluddin zu, und der Alte nahm wahr, dass sie vergnügt war wie immer, wenn sie einen Ausflug dieser Art gemacht hatte.

      „Ich bin leichtsinnig gewesen“, sagte sie lachend. „Ich hatte noch ein paar Afghani. Dafür habe ich eine bunte Postkarte gekauft, mit einem Bild vom Buzkashi-Feld in der Neustadt und dem letzten Hammelziehen in Faïzabad. Ich habe sie an Khaled geschickt.“

      „Soso, an Khaled“, sagte Jalaluddin. „Was hast du ihm geschrieben?“

      „Dass wir auf ihn warten – und dass er bald kommen soll.“

      Jalaluddin hörte die Flugmaschine, lange bevor Sanaubar sie wahrnahm. Düster brummte er: „Das wäre sehr gut. Wir werden den Jungen brauchen.“

      Sanaubar