Norbert F. Schaaf

Afghanistan Dragon


Скачать книгу

Risiko hundertfünfundzwanzigtausend Dollar einzustreichen? Das Leben war kurz und der Dollar rund. Und ein Pilot, der nach zehn Jahren Dienst in Übersee in die Vereinigten Staaten zurückkam, stand genauso am Ende der Schlange von Arbeitslosen wie alle anderen, wenn er nicht selbst zusah, dass er seine Milch in den Eimer kriegte.

      „Okay“, sagte Stamp, „du kannst auf mich rechnen, Steve.“

      Der nickte zufrieden. Mit einer Kopfbewegung zur Funkanlage forderte er: „Nun sieh erst mal zu, dass du Rasuls Trupp bekommst. Wir machen es gleich, bevor Banshef seinen Coup mit der Salzkarawane landet. Sag Rasul Bescheid, dass wir unterwegs sind, Austausch heute nach Einbruch der Dunkelheit.“

      Während Stamp die Kopfhörer anlegte und das Gerät einstellte, zog Parker die Maschine höher. Vor ihnen türmten sich die himmelhohen Berge. Der UH-1 flog gegen die Sonne. Auf den Kämmen der Felsriffe lag helles Licht. Die Täler waren graue Schlünde. Schluchten zeichneten sich in tiefem Schwarz ab. Von der Höhe aus, in der die Maschine flog, wirkte die Halbwüste zwischen den Höhenzügen wie ein graubraunes Tuch, unterbrochen vereinzelt vom Blitzen eines Wasserlaufes. Dort, auf den Südhängen, wo sich nicht das grünbräunlich gefleckte Grau des djangals, dieser Einöde mit den gelbbräunlichen Grasbüscheln und den raren Dornensträuchern, zeigte, lagen die Felder mit dem Mohn. Man konnte sie gut erkennen. Vom Flugzeug aus ebenso wie vom Satellit. Doch Parker wusste, es spielte keine Rolle. Und die Ernte war in vollem Gange. Parker griente zufrieden, denn das hieß, seine Rechnung würde aufgehen.

      8

      Die Schlucht lag einen Kilometer westlich von Karambar. Der Trampelpfad, der von der Siedlung zu ihr führte, zweigte kurz vor den ersten Felsen nach Norden ab und verlief dann über langsam ansteigendes Gelände in die Gegend, in der die Bewohner ihre Mohnfelder angelegt hatten. In der Schlucht war es kühl, und es herrschte selbst am hellen Tag ein dämmeriges Licht, weil die Sonne von den flachen ausladenden Kronen der niedrigen Büsche abgefangen wurde, die oberhalb der Felsen wuchsen. Es war einer jener Schluchten, deren safranfarbige, rötlich und violett schimmernde Felsmassen sich fast berührten und nur einen schmalen Spalt knallblauen Himmels freigaben. In der schwindelerregenden Höhe drohten mächtige Steinklötze, als warteten sie nur darauf, von irgendwelchen Unholden auf fremde Eindringlinge hinabgeschleudert zu werden. Ging man durch die Schlucht weiter, einige hundert Meter, gelangte man wieder in offenes Gelände, das stetig anstieg, bis dorthin, wo die Grenze zu Pakistan zum Greifen nahe schien. Es war kein weiter Weg dorthin, kaum eine halbe Stunde musste man gehen, doch die Leute aus Karambar konnten nicht sagen, wo genau die Grenzlinie verlief. Sie war nicht markiert, und wenn sie einmal markiert gewesen sein sollte, so hatte der dschangal diese Markierungen längst überwuchert. Ein breiter werdender Pfad verlief in südlicher Richtung, in das Gebiet, von dem die Leute aus Karambar wussten, dass dort ein oder zwei Tagesmärsche entfernt die ersten Siedlungen der Nuristani lagen. Kleine Dörfer, verlassen wirkend, in tiefem Gehölz versteckt, fast ohne jede Verbindung mit der Umwelt.

      Auch die Lage dieser Dörfer war nur ungenau zu bestimmen, denn die Nuristani verfuhren ebenso wie die Paschai, die weiter im Norden lebenden Gujar und andere bei der Anlage ihrer kleinen Felder, auf denen sie lebensnotwendige Nahrungsmittel zogen, immer noch nach der alten Methode der Brandrodung. Sie zündeten in der trockenen Jahreszeit ein Stück Dornenbuschland an, ließen es abbrennen, arbeiteten die Asche in die Erde ein und bebauten dann später diesen Boden. Sie ackerten den Boden nicht um, und sie düngten ihn auch nicht. Nach spätestens zwei oder drei Jahren gaben die Felder keine nennenswerten Ernten mehr her. Dann pflegten die Nuristani einfach ein weiteres Stück Buschwald abzubrennen und darauf neue Felder anzulegen. Einen geeigneten Platz fanden sie oft erst mehrere Kilometer von der alten Ansiedlung entfernt; daraus hatte sich die Sitte entwickelt, die alte Siedlung einfach zu verlassen und in der Nähe der neuen Felder eine neue Siedlung anzulegen. Da sie stets mit dem Namen der verlassenen bezeichnet wurde, verschob sich so im Verlaufe von Jahren die Lage eines einmal auf der Landkarte festgehaltenen Dorfes ganz erheblich, und es war von Leuten, die sich nach der Landkarte orientierten, einfach nicht mehr zu finden. Selbst in Karambar ließe sich derzeit über die Lage der nächsten Siedlung auf pakistanischer Seite nur sehr ungenaue Angaben machen. Im Grunde interessierte das auch niemanden. Die nomadischen Nuristani waren eigen. Ihre Sprache war anders. Ihre Sitten unterschieden sich von den anderen. Handel mit ihnen zu treiben lohnte kaum. Man hatte keine Feindschaft mit ihnen, denn es gab für eine Feindschaft keinen Grund. Sie waren Grenzgänger zwischen Afghanistan und Pakistan. Erst in den letzten Jahren war man wieder darauf aufmerksam geworden, dass es jenseits der Grenze Vorgänge gab, die sich auf die Siedlungen diesseits der Grenze auswirkten.

      Das Dutzend Männer, das am Nachmittag, von Pakistan kommend, in die Schlucht zog, die zwischen Karambar und der pakistanischen Grenze lag, führte Kamele mit, die in Plastiksäcke verpacktes Rohopium trugen. Der Anführer, ein kleiner, säbelbeiniger Mann von einem Stamm der Panjshiri, war mit einem M-16-Gewehr bewaffnet, die übrigen trugen Maschinenpistolen. Sie waren in Uniformen gekleidet, wie sie von den US-amerikanischen Soldaten im Irakkrieg getragen wurden. Nur Abzeichen wiesen sie nicht auf. Die Kameltreiber, die ihre Kopfbedeckungen über Stirn und Ohren gezogen und die Gesichter in den Pelzkragen vergraben hatten, wechselten kein Wort miteinander, als müssten sie ihre Kräfte sparen, um gegen die Kälte der Höhe und der Freveltat zu bestehen.

      Der Anführer öffnete einen Sack und streute eine Wegspur über die ihren Pfad kreuzende Gletscherzunge, die so glatt war, dass die Kamele sich sonst nicht darauf wagen konnten. Der Berg war äußerst steil. Die Tragtiere mit ihren schaukelnden vorderen Höckern sträubten sich, und die Kameltreiber mussten sie anfeuern. Die Karawane hielt alle fünfzig Meter an, um Atem zu schöpfen. Urplötzlich stürzte das letzte Kamel am Rand des Abgrundes, wälzte sich jedoch instinktiv zur Seite und einen Meter zurück. Unter Einsatz ihres Lebens befreiten die Kameltreiber das Tier von seiner Last, damit es wieder aufstehen konnte. Am östlichen Ausgang der Schlucht hob der Anführer die Hand und ließ den Trupp halten. Er blickte sich in der Gegend um und vergewisserte sich, dass keine Menschen in der Nähe waren.

      Banshef Mehdoor war ein vorsichtiger Mann, obwohl er noch jung war, vielleicht neunundzwanzig Jahre. Das Dorf, aus dem er stammte, lag mehr als hundert Kilometer von dieser Schlucht in Afghanistan entfernt. Banshefs Vater Hamud, ein gesuchter Autobusräuber, hatte schon den US-Amerikanern als Pfadfinder ihrer Kommandotrupps gedient, damals, als die Russen Afghanistan besetzten. Mittlerweile führte sein Sohn einen Trupp Bewaffnete, wiederum im Dienst der US-Amerikaner. Er zog mit seinen Leuten nicht planlos durch die Berge. Zu Hause, in Irshad, lebte Kaplan Gabriel. Sein Name war für die Einheimischen irreführend. Er arbeitete als Heilpraktiker und Entwicklungshelfer, war aber tatsächlich ein Pater und lehrte die Paschai ebenso heimlich wie gesetzwidrig das Evangelium, worauf der Koran beruht, seit mehr als zwanzig Jahren. Wer ihn allerdings näher kannte, der wusste, dass in Kaplan Gabriels Lehmhaus ein kleines, leistungsfähiges Fernsprechgerät stand, mit dem er täglich Verbindung zu einer US-amerikanischen Dienststelle in Kabul hatte. Diese Dienststelle war es, die den Trupps der Panjshiri die Waffen lieferte und die Munition, zuweilen auch Reis oder andere Lebensmittel, Tabak und jenes Getränk, das zwar sowohl schneller berauschte als die einheimische vergorene Stutenmilch, freilich auch besser schmeckte, den Whisky.

      Kaplan Gabriel besaß genaue Karten von Nordpakistan, auf denen jede Straße, jeder Brückensteg und selbst die kleinste Siedlung verzeichnet waren. Er empfing mit seinem Satellitentelefon regelmäßig Nachrichten aus Peschawar und auch aus Eshkashem am Eingang des Wakhan-Korridors zu China, und immer wenn von irgendeinem Stützpunkt Soldaten ausrückten, um gegen die Marodeure und Schmuggler in den Bergen eingesetzt zu werden, erfuhr Kaplan Gabriel das einige Tage vorher. Von Zeit zu Zeit wählte Kaplan Gabriel aus den jungen Burschen, die zu den Banditentrupps gehörten, die intelligentesten aus und brachte ihnen das Alef-beh bei, wobei er ihnen gleichzeitig die Fähigkeit vermittelte, sich in der Sprache ihrer Ausbilder einigermaßen zu verständigen. War das getan, verschwanden diese jungen Burschen für etliche Monate. Durch Afghanistan wurden sie nach Usbekistan gebracht, wo sie auf US-amerikanischen Truppenübungsplätzen militärisches Training absolvierten. Wenn sie heimkehrten, übernahmen sie die Führung weiterer Trupps von bewaffneten dozds.

      Auch Banshef war in Usbekistan ausgebildet worden, was ihm unter seinen Männern unbegrenzte Autorität eingebracht hatte. Als er ihnen jetzt befahl, die Tiere im Schutz der Schlucht