Norbert F. Schaaf

Afghanistan Dragon


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Man vermutet, dass ein nicht unbeträchtlicher Teil über die unübersichtlichen Grenzen im Nordosten des Landes einsickert und nur von Afghanistan aus weitervertrieben wird.“

      „Auch in dieser Hinsicht würde ich vorsichtig sein. Natürlich gibt es im Nordosten diesen kleinen Handel über die kaum kontrollierten Grenzen. Doch nach allem, was ich weiß, kommt dabei die von Ihnen genannte Menge nicht im Entferntesten zusammen. Bedenken Sie bitte, dass die Ausfuhr aus Afghanistan nicht gerade leicht ist. Die Zollbestimmungen sind in dieser Beziehung sehr streng.“

      „Und Sie glauben nicht, dass sie umgangen werden?“

      Oates wog den Kopf. Während Hodler zu sprechen begonnen hatte, war er an seinen Schreibtisch gegangen und hatte die Zigarre angebrannt, die er sich zurechtgelegt hatte. Nun blies er Rauchringe in die Luft und meinte nachdenklich: „Umgangen schon. Aber nicht in der von Ihnen angedeuteten Ausdehnung.“

      Hodler lächelte. „Es wird für Sie interessant sein, dass wir in der Kommission ähnliche Überlegungen angestellt haben. Wir kamen zu dem Schluss, dass selbst in diesem Land Zollbestimmungen nicht in einem solchen Ausmaß umgangen werden können. Da sind wir also einer Meinung mit Ihnen. Nur haben wir den Verdacht, dass es gewissen Personen hierzulande möglich sein muss, größere Mengen Rohopium außer Landes zu bringen, entweder auf Grund ihrer Stellung, ihres Einflusses oder mit Hilfe von Bestechungsmanipulationen. Wir bekamen Hinweise, dass sich sehr hohe Militärs, Beamte, ja sogar Diplomaten mit diesem Geschäft befassen sollen, ähnlich wie das vormals in Südvietnam der Fall war.“

      Oates wurde ernst, er riet: „Ich würde mich an Ihrer Stelle auf solche Vermutungen nicht verlassen. Verdächtigungen dieser Art gab es oft. Doch soweit ich weiß, sind sie nicht nachzuweisen.“

      Hodler überlegte einen Augenblick, ehe er fragte: „Wenn ich Sie richtig verstehe, Mister Oates, halten Sie es nicht für wahrscheinlich, dass Rohopium in der von der Kommission bezifferten Menge aus Afghanistan ausgeführt wird? Wovon übrigens lediglich sechs Tonnen von den Grenzbehörden abgefangen werden.“

      Oates nickte bedächtig. „Das wollte ich sagen, ja.“

      „Sie halten es auch nicht für möglich, dass diese Mengen hier erzeugt werden? Oder über die Grenzen einsickern?“

      Er ist hartnäckiger, als ich dachte, stellte Oates für sich fest.

      Er lehnte sich zurück und setzte zu einer Erklärung an, die er sich zuvor für diesen Fall zurechtgelegt hatte. „Sehen Sie, Mister Hodler, bei der Untersuchung dieser Angelegenheit muss man viele Faktoren berücksichtigen. Ich will Ihnen das ein wenig erläutern, weil Sie sicher nicht gerade viel über dieses Land wissen. Da ist zunächst der Umstand, dass große Landstriche, insbesondere der Nordosten, im gewissen Sinne unsichere Gebiete sind. Dort oben gibt es beispielsweise tadschikische Stämme, die seit einiger Zeit islamistischen Einflüssen unterliegen. Es hat etliche Rebellionen gegeben. Die Regierung ist eingeschritten, aber sie hat keine Möglichkeit, dieses Gebiet völlig zu kontrollieren. Wenn ich sage, man hat es sozusagen durch einen `cordon sanitaire´ abgeriegelt, dann ist das sicher zu hoch gegriffen. Doch allein die Tatsache, dass man es dort oben mit staatsgefährdenden Einflüssen zu tun hat, bewirkt natürlich eine ständige Kontrolle alles dessen, was von da kommt oder dorthin geht. Können Sie sich vorstellen, wie schwer es ist, unter diesen Bedingungen Tonnen von Rohopium aus solch einem Gebiet herauszubringen?“

      Hodler hatte ihm aufmerksam zugehört. Er bestätigte: „In der Tat sollte es sehr schwer sein.“

      „Ist es auch“, betonte Oates. „Zum anderen müssen Sie berücksichtigen, dass die Leute in den Bergen natürlich Opium anbauen. Doch nach meinem Wissen verbrauchen sie es im Wesentlichen für sich selbst. Das hängt damit zusammen, dass ihre Ernährung schlecht ist und auch die medizinische Betreuung. In den Bergen gibt es kaum einen Bewohner, der nicht von jung auf Opium in irgendeiner Form zu sich nimmt, regelmäßig oder sporadisch. Vermutlich orientiert sich Ihre Kommission an diesem Sachverhalt. Das müssen Sie berücksichtigen.“

      „Sie meinen also, dreißigtausend Tonnen jährlich können nicht aus den Mohnanbaugebieten Afghanistans kommen?“

      „Ich halte das auf jeden Fall für sehr unwahrscheinlich.“

      „Und woher kommen sie dann?“

      Oates hatte auf diese Frage gewartet. Er antwortete bedächtig: „Mister Hodler, wenn Ihnen an einem Tipp gelegen ist, dann würde ich Ihnen raten, einmal das östliche Nachbarland etwas genauer unter die Lupe zu nehmen.“

      „Pakistan?“

      Oates nickte. „Hierzulande weiß man, dass in den nordwestlichen Bezirken Pakistans ganz erhebliche Mengen Opium angebaut werden. Besonders in den Grenzgebieten zu Afghanistan, in denen solche Stämme leben wie die Paschai, die Nuristani und die Gujar. Es wird Ihnen nicht entgangen sein, dass die pakistanische Regierung ihr Land ziemlich isoliert hat. Ein pakistanisches Einreisevisum ist heute mehr wert als eine Aktie bei Ford. Warum ist das so? Man will sich nicht hinter die Kulissen schauen lassen. So etwas hat immer seinen Grund. Und denken Sie auch an die verschiedenen Parteien des Kaschmirkonflikts und ihren Finanzierungsbedarf. Wenn Sie mich fragen – ich bin nicht der einzige, der annimmt, dass die Quelle, die Sie in Afghanistan vermuten, sich in Pakistan befindet.“

      Warum belügt mich dieser Mann, fragte sich Hodler unvermittelt. Er hörte Oates weiter mit interessierter Miene zu, doch er überlegte, was seinen Gesprächspartner veranlassen könnte, ihn von dem abzulenken, was er untersuchen wollte. Pakistan! Hodler war versucht, den Kopf zu schütteln. Offenbar denkt er, dass ich schlecht informiert bin. Soll er es ruhig weiter glauben! Wer sich auch nur im entferntesten mit den Verhältnissen in diesem Teil Asiens beschäftigt, der weiß längst, dass Stämme wie die Pamiri oder die Nuristani seit Jahren in Auseinandersetzungen mit der Zentralregierung Pakistans leben, mit dem Ziel der Abtrennung ihrer Stammesgebiete von Pakistan. Aus welchem Grund sollten die Rebellen in Pakistans Nordwestgebieten ausgerechnet der Zentralregierung, die sie bekämpfen, ihr Opium zum Weiterverkauf anbieten? Eine absurde Idee. Tauglich nur, um Leute irrezuführen, die überhaupt nichts von dem begriffen haben, was heute in Mittelasien vor sich geht. Warum also will dieser Mr. Oates mir ausreden, was eine Kommission von gut informierten Leuten in jahrelanger intensiver Kleinarbeit zusammengetragen hat? Deckt er jemanden? Und wenn ja, wen? Oder deckt er sich selbst? Doch warum? Er ist der Leiter dieser offiziellen US-amerikanischen Dienststelle!

      Schließlich äußerte der Professor: „Sie haben mich da auf einen interessanten Aspekt hingewiesen, Mister Oates. Ich werde das zu überlegen haben.“ Er hob in einer hilflosen Gebärde die Hände. „So ist das manchmal! Man hat seine Theorien, und man hat seine Voreingenommenheiten, aber sobald man sie an der Realität erproben will, erweisen sie sich als falsch.“

      Oates lächelte. Er goss sich ungeniert einen weiteren Bourbon ein, blies ein paar Rauchkringel in die Luft und sagte obenhin: „Nun ja, das ist verständlich. Wir, die wir hier leben, haben doch einen besseren Einblick in die Dinge.“

      „Sie sind schon lange hier?“

      „Jahre. Wissen Sie, wir haben die Aufgabe, industrielle Kooperationsvorhaben zu koordinieren. Das ist eine langfristige Sache. Kein aufregender Betrieb wie in einer Tageszeitung. Und es zahlt sich aus, wenn man das nicht nur kurze Zeit macht, sondern eben über viele Jahre, weil man dann erst das richtige Fingerspitzengefühl bekommt.“

      „Fingerspitzengefühl brauchen Sie dafür sicher“, meinte Hodler. Er gab sich Mühe, es nicht ironisch klingen zu lassen.

      Was war das für ein Mensch? fragte sich der Schweizer. Ich weiß nicht mehr von ihm als das, was mir der Sekretär der Kommission gesagt hat: ein Mann, der im Regierungsauftrag in Kabul ist. Ein Mann mit viel Einfluss und mit guten Kenntnissen über Land und Leute, genauen Kenntnissen, und mit Verbindungen, besten Verbindungen. Aus dem Mund des Sekretärs hatte es so geklungen, als gebe er Hodler nicht einfach den Rat, sich an Oates zu wenden, sondern als erwarte er, dass der Professor das tue. Hodler hatte durch eine Zwischenfrage erfahren, dass der Sekretär diesen Mr. Oates nie im Leben gesehen hatte. Wer also hatte ihn angewiesen, einen Mann, der im Auftrag der Kommission nach Kabul reiste, bei diesem Mr. Oates anlaufen zu lassen? Man