Norbert F. Schaaf

Afghanistan Dragon


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und seinen Freund Karzai ins Spiel gebracht. Die sogenannte Wiederwahl Karsais sei eine neuerliche Farce, die vor brutalen Repressalien zum Leidwesen des Wahlvolkes und massivem, dummdreisten Wahlbetrug nicht zurückschrecke.

      Hodler überflog einen Artikel, herauskopiert aus dem deutschen Polit-Magazin „Spiegel“, worin der US-amerikanische Verteidigungsminister Donald Rumsfeld – noch einer, dachte Hodler, der sein Land am Hindukusch verteidigt – Afghanistan „eine ziemliche Erfolgsgeschichte“, nannte, die jedoch „leider weitgehend unbemerkt bliebe“. Auch von mir, dachte Hodler mit Blick aus dem Fenster. In den nächsten Kreisverkehr fuhren US-Panzer mit gekreuzten Sternenbannern und ließen das Geschützrohr in alle Richtungen kreisen.

      Eine weitere Kopie enthielt Äußerungen Hekmatyars: Der Kommandeur des Hezb-e-Islami verglich die Aktion der USA mit dem Fehlschlag des sowjetischen Expansionsstrebens und sogar mit der gescheiterten Eroberungspolitik Hitlers. „Ich bin davon überzeugt“, so erklärte er wörtlich, „dass der begonnene Widerstand gegen die US-Truppen von Tag zu Tag intensiver wird. Die Bush-Administration war bemüht, Informationen über die ablehnende Haltung der Afghanen gegenüber der amerikanischen Präsenz, über den Zustand des Krieges, über die Höhe der eigenen Verluste und über die ständige Zunahme der Angriffe auf ihre militärischen Basen der eigenen Öffentlichkeit vorzuenthalten. Auf Dauer konnte diese Täuschung jedoch nicht von Erfolg sein. Der Druck der amerikanischen Bevölkerung auf die Bush-Administration wird zunehmen und sie zwingen, ihre Soldaten aus Afghanistan abzuziehen.“

      Über die Taliban äußerte sich Hekmatyar nuanciert. Die „Koranschüler“ hätten selbst in abgelegenen Regionen für eine Sicherheit gesorgt, die heute nicht einmal im Zentrum der Hauptstadt Kabul vorhanden sei. Sie seien auch – im Gegensatz zu den heutigen Behörden – energisch gegen die Opiumproduktion vorgegangen. Aber diese Bewegung habe eine völlig unzureichende Kenntnis des Islam besessen und sich durch ihr rücksichtsloses, grobes Auftreten unbeliebt gemacht.

      Das Hochkommen von al-Qaida betrachtete er als eine zwangsläufige Folge der US-amerikanischen Bevormundung der arabischen Länder und der verfehlten Palästinapolitik Washingtons. „Die Auflehnung gegen die US-Hegemonie“, so führte Hekmatyar aus, „benötigte eine Führung, um sich in eine lebendige Organisation umzuwandeln.“

      Für die in Kabul stationierten deutschen Soldaten der ISAF-Brigade war folgende Aussage von Bedeutung: „Während die Truppen der USA und ihre Verbündeten gegen das afghanische Volk einen ungerechten Krieg führen und täglich Dutzende wehrloser Afghanen ihr Leben verlieren, spielt die sogenannte `International Security Assistance Force´ die Rolle einer schmerzlindernden Tablette. ISAF legitimiert die verbrecherischen Ziele amerikanischer Kriegführung. Die amerikanischen Einheiten bezeichnen sich ebenfalls als Friedenstruppe. Die Afghanen sind zu dem Ergebnis gekommen, dass die Präsenz ausländischer Soldaten in ihrem Land keinerlei Garantie für Frieden und Sicherheit bietet, sondern dass sie Unfrieden und Unsicherheit stiftet. Die Funktion von ISAF dient der Konsolidierung einer verräterischen Räuberbande, die ihre Willkürherrschaft über das afghanische Volk ausübt.“ Erst nach Ausschaltung sämtlicher ausländischer Einflüsse, so meinte der Verantwortliche der zur Zeit stärksten Widerstandsbewegung am Hindukusch, seien die Probleme Afghanistans auf dem Wege dauerhafter Verständigung und Versöhnung zu lösen.

      5

      Etwa um diese Zeit fand der junge Mann in Livree, der Hodler im Hotel empfangen hatte, Gelegenheit, unbeobachtet zu telefonieren. Er verlangte Mister Wright persönlich zu sprechen und sagte nach einer kleinen Weile gedämpft in die Muschel: „Mister Wright, dies ist ein Hinweis für Sie vom Empfangschef des Hotels Oriental. Ein Professor Beat Hodler, Schweizer, aus den Vereinigten Staaten kommend, hat nach Ihnen gefragt. Es wird Sie interessieren, dass er sich außerdem erkundigte, wie er zum Büro für industrielle Kooperation kommen kann.“

      Er lächelte und deutete sogar eine leichte Verbeugung an, während er sagte: „Oh, keine Ursache, das war eine Selbstverständlichkeit, Mister Wright!“ Alles sprach er in seiner Landessprache Pashto.

      Hodler hatte indessen ein Taxi bestiegen, sie passierten Militärposten, der Chauffeur zeigte auf das Ministerium für Grenzen und Stammesangelegenheiten. Der Schweizer war ein wenig enttäuscht, denn das Taxi fuhr schon nach kurzer Zeit dicht an den linken Straßenrand und hielt. Hier, inmitten eines modernen Viertels, lag das Büro für industrielle Kooperation. Das Gebäude, in dem es untergebracht war, unterschied sich kaum von den anderen sandfarbenen Betonklötzen, die mit ihm in einer Reihe standen. Kabul hatte wohl in den letzten Jahren keine Gelegenheit versäumt, sein äußeres Bild jenem anzugleichen, das man von den Großstädten Nordamerikas gewöhnt war.

      Hodler hatte andere mittelasiatische Städte besucht, und er erinnerte sich gern an das bunte Durcheinander, das dort herrschte, an die Straßenhändler und die Rikschas, die spielenden Kinder am Straßenrand, und die Eselskarren und die Lastenträger, an die Düfte um die Straßenküchen herum, das Geschrei der Handwerker und das Menschengewimmel auf den Bürgersteigen. Kabul war anders, zumindest das Zentrum der Stadt. Der Professor war sich nicht klar darüber, ob er es moderner nennen sollte. Die mondäne Oberfläche wirkte aufgetragen, sie ließ erkennen, dass sie dünn war, künstlich. Wenn man die Schriftzeichen unter den Pepsi-Cola-Plakaten und Füllhalterreklamen, den Tafeln mit riesigen Zahncremetuben oder Taschenlampen gegen lateinische Beschriftungen austauschte, könnte das hier auch Florida sein oder Kalifornien. Der Unterschied war gering, denn selbst die Erzeugnisse, die sie anpriesen, waren die gleichen wie in den Vereinigten Staaten.

      Beat Hodler entsann sich der Feststellungen eines seiner Kollegen, der längere Zeit in diesem Lande verbracht hatte und nach dessen Urteil Afghanistan unter dem Einfluss der Vereinigten Staaten im Begriff war, immer mehr von seinen nationalen Eigenarten zu verlieren. Zweifellos hatte dieser Prozess in der Hauptstadt begonnen und schon ein großes Ausmaß angenommen, darüber konnten die gepflegten Moscheen nicht hinwegtäuschen, die zwischen den Hochhäusern standen. Hätten diese Leute, die da auf den Bürgersteigen gingen, nicht orientalische Gesichter, dachte Hodler, könnten sie ebenso gut aus Palm Beach stammen oder Santa Monica. Die jungen Männer trugen Anzüge im gleichen Schnitt wie die dort, und die Kleider der Mädchen in den Shopping-Centern und Diskos unterschieden sich kaum von denen, die man in Los Angeles sah oder in Miami. Wer hatte einmal von den mystischen Schatten geschrieben, die der Halbmond in die lampenlosen Gässchen warf, auf die bizarren Konturen der Häuser mit ihren Dächern, wo Wäschestücke in allen nur erdenklichen, im Halbdunkel mitunter erschreckenden Formen vom leisen Wind gehoben und wieder fallen gelassen wurden? Von der Klangromantik eines aus einem anderen Stadtteil herüberklingenden Flötenlieds? Und der Duftromantik der Wohlgerüche des Orients, die sich im Bazar der Stoffhändler aus dem Odeur von Kattun und Pferdemist zusammensetzten? Kabul konnte er kaum damit gemeint hatten. Oder aber seine Feststellung beschränkte sich auf einzelne Orte wie jene Parkanlage, dem Shar-e-Nau, wo sich Kinder gegenseitig auf Schaukeln stießen oder Volleybälle über zerrissene Netze schlugen, die zwischen Mispel- und Persimonenbäume gespannt waren, und wo kleine und große Jungen Drachen steigen ließen. Oder die Hochzeitshallen, wo auch in düstersten Jahren kostspielige Vermählungen gefeiert wurden von afghanischen Familien, die sich nicht selten dafür lebenslang verschuldeten.

      Ich werde umdenken müssen, begriff Hodler. Vieles vergessen und einiges hinzulernen. Dies war das Asien, wie es die Vereinigten Staaten ausprägten, wenn ihrem Einfluss freie Bahn gelassen wurde. Sollte man es bewundern? Oder sollte man nicht vielmehr betrauern, was da verlorenging?

      Die Zufahrt zu dem modernen Bau war mit wuchtigen Betonklötzen und soliden Schranken gesichert und wurde von einem halben Dutzend bewaffneter Männer bewacht. Um das ganze Gelände zog sich eine hohe Mauer. Hodler betrat das Gebäude, nachdem er einer gründlichen Leibesvisitation unterzogen worden war, und blickte sich in der geräumigen Halle um. An einem Empfangstisch saß eine junge Afghanin in einem hautengen Kleid aus gelbem Kattun. Als Hodler auf sie zu ging, schlug sie die Beine übereinander; dabei war zu sehen, dass ihre Unterwäsche die gleiche Farbe hatte wie ihr geschlitztes Kleid. Sie trug eine Sonnenbrille, Hodler konnte ihre Augen nicht erkennen. Er nickte ihr zu und erklärte, er wolle zu Mr. Oates. Das Mädchen lud ihn höflich ein, Platz zu nehmen in einem Stahlrohrsessel. Während sie zum Telefon griff, dachte Hodler darüber nach, wie wohl das Leben eines solchen Mädchens aussehen