Jürgen Brandt

Ein Flüstern der Vergangenheit


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über die Tastatur. Spielt sie ihre merkwürdigen Onlinespiele nicht sonst primär mit der Maus? Julia, mein Töchterchen, hat mir schon mehrfach versucht nahezubringen, was sie da spielt. Zehnmal, hundertmal, keine Ahnung wie oft, aber es war immer wieder erfolglos. Ich sehe, wenn ich auf den Bildschirm blicke, nur ein paar merkwürdige, schrille Figuren, die hektisch über eine viel zu bunte Oberfläche wimmeln. Wie kann man sich damit stundenlang beschäftigen, ohne total meschugge zu werden?

      Automatisch muss ich dabei immer an meine ersten Perry- Rhodan-Romane denken. Ich habe diese Groschenromane während meiner Jugend regelrecht verschlungen. Die größte Science-Fiction-Serie der Welt. Seit 1961 werden die Heftchen regelmäßig verlegt. Und noch heute kommt pünktlich jede Woche ein neues Heft heraus. Seit nunmehr über fünfzig Jahren! Die Heftnummer zweitausend ist bereits vor Jahren erreicht worden und in naher Zukunft wird Band dreitausend angepeilt. In den ersten Heften dieser fiktiven Zukunft musste ein extraterrestrisches Raumschiff der Arkoniden auf dem Mond notlanden. Aber niemand der ehemals hochentwickelten Rasse konnte es reparieren. Denn nahezu die gesamte Besatzung war süchtig danach, stumpfsinnig in flimmernde Bildschirme zu glotzen. Und wie gesagt, stammen diese entsprechenden Romane von 1961. Lange bevor es PCs oder gar Handys in unseren Haushalten gab. Manchmal holt tatsächlich die Realität die Science-Fiction ein.

      „Ich arbeite!“, keift aber unsere Jo ungehalten zurück. So zickig habe ich sie lange nicht mehr erlebt.

      Arbeit? Wieso Arbeit? Es gibt keinen Fall für uns! Oder doch? Eher nicht, denn ich bin der Chef des Teams! Und ich müsste es wissen. Aber bei Jo weiß nie jemand irgendwas. Sie tickt irgendwie anders als alle anderen. Ihr Gehirn muss anders verdrahtet sein. Wobei es eigentlich perfekt arbeitet. Ohne Jo hätten wir bei manch einem der vergangenen Fälle härter zu knabbern gehabt. Ist sie vielleicht eine Außerirdische? Die Hitze und meine Erinnerungen an meine alten Science-Fiction-Romane setzen mir doch mehr zu als erwartet, wie käme ich sonst auf so absurde Ideen.

      „Wir haben keine Arbeit, Schnucki!“, giftet Georg gewohnt provokativ zurück.

      „Bin mir nicht sicher…“, ist ihre halbherzige Antwort.

      Und genau hier werde ich schlagartig wieder munter. Erstens: Wieso meint sie, an etwas arbeiten zu müssen, wenn wir keinen Fall haben? Zweitens: Was ist so merkwürdig, dass sie sogar Georg gegenüber zugibt, dass sie sich bei etwas nicht sicher ist. Und drittens: Wieso weiß ich mal wieder von nichts?

      „Stopp!“, schreite ich deshalb energischer als geplant ein. „Jo, was tust du und wenn ja, warum? Oder anders ausgedrückt: Warum tust du was? Ach, Mist, du weißt schon, was ich meine!“ Wie gesagt, mein Hirn scheint total ausgetrocknet zu sein. Der Hitze und der Langeweile sei Dank.

      „Eigentlich nichts….“, erwidert sie leise.

      Nun bin ich endgültig hellwach. „Wir sind ein Team und wir arbeiten zusammen!“, beginne ich entschlossen. „Außerdem bin ich noch immer dein Chef!“ Warum klingt das nicht so überzeugend, wie ich es gerne gehabt hätte?

      „Da gab es ein paar merkwürdige Einbrüche in der Region“, beginnt sie.

      „Habe ich auch gehört“, ergänzt Georg gelangweilt. „Da ist bereits ein anderes Team dran. Die Beute war bisher immer sehr überschaubar und die Versicherung zahlte in allen Fällen ohne Murren. Kein Fall für uns.“

      „Ja, aber…“, will Jo unterbrechen.

      „Das ist nach Aussage der Kollegen eine schlecht organisierte Diebesbande.“

      „Ja, aber…“, versucht Jo es erneut.

      „Das sind sicherlich ReWos. Reisende Wohnungseinbrecher. Vor der steigenden Anzahl solcher Banden warnt doch seit Jahren unser ehrenwerter Herr Innenminister. Allerdings ohne uns, der Polizei, mehr Gelder für die Vorbeugung und Aufklärung zu bewilligen. Viele Worte und keine Taten sind in der Politik anscheinend üblich und bleiben parteienübergreifend erhalten. Die Einbrecherbande wird hingegen sicherlich bald in die nächste Region weiterziehen. Wahrscheinlich bevor wir sie erwischen können. Wie fast immer in diesen Fällen.“

      „Ja, aber…“

      „Kein –aber-, Jo. Nochmal: Das ist kein Fall für uns. Mit so einem Kleinkram geben wir uns nicht ab. Außerdem sind, wie bereits erwähnt, Kollegen am Fall dran. Lehn´ dich zurück, entspann dich oder spiel dein komisches Spiel weiter. Aber klickere nicht so hektisch auf der Tastatur `rum und störe mich bitte nicht beim Denken.“

      „Ha! Denken ist gut. Du pennst doch einfach nur…“, Jo wird schon etwas energischer und somit auch lauter.

      „Stopp!“, schreite ich ein, bevor sich die beiden mit ihren gegenseitigen Sticheleien weiter aufschaukeln können. „Jo, simple Einbrüche sind nicht unser Ding!“

      Ehe ich weitersprechen kann, wird mein Gedankenfluss von einer intensiven Duftwolke irgendeines Parfums unterbrochen, die unerbittlich in meine Nase eindringt. Unsere Eiserne Lady ist da. Den Blicken meiner beiden Kollegen nach steht sie direkt hinter mir. Wo kommt unsere werte Chefin plötzlich her? Die hitzige Diskussion muss unsere Kommissariatsleiterin, Margarethe Thätmeyer, angelockt haben.

      „Hauptkommissar Steingraf, worum geht es bei dem Meinungsaustausch in Ihrem Team? Hat es unter Umständen etwas mit Ihrer Arbeit zu tun? Das wäre mal etwas Neues.“

      „Wir erörtern gerade, ob wir uns um die Serie einfacher Einbrüche kümmern sollen.“

      „Sind da nicht bereits ihre Kollegen dran?“

      „Sag´ ich doch!“, blafft Georg dazwischen, nur um sofort unter dem maßregelnden Blick unserer Chefin ein „Entschuldigung!“ nachzureichen.

      „Wieso sollte dies etwas für Ihr Team sein? Wie kommen Sie auf diese Idee?“, hakt sie sofort nach.

      Ich kann nur mit den Schultern zucken und schaue fragend zu Jo. Ich hoffe, das gewaltige Donnerwetter unserer Chefin, das in wenigen Sekunden unausweichlich Jo treffen wird, ist nicht allzu gewaltig. Unsere Eiserne Lady mag es überhaupt nicht, wenn ihre Anordnungen und Teamaufteilungen in Frage gestellt werden.

      „Ich habe da so eine Ahnung“, ist der einzige Kommentar seitens Jo. Etwas mager als Argument. Von unserer Jo hätte ich da wirklich mehr erwartet. Eine Ahnung ist eine wirklich sehr dünne Begründung. Unsere Chefin mag Ahnungen überhaupt nicht. Sie steht da mehr auf knallharte Fakten, verlässliche Hinweise und Beweise. Dies mussten wir alle in den letzten Jahren erleben und spüren.

      „OK. Die Ermittlung bezüglich der Wohnungseinbrüche wird nun von Ihrem Team geleitet. Hauptkommissar Steingraf, wie gehen Sie vor?“, verlautbart unsere Chefin schlicht.

      Ich benötige mehrere Sekunden, um wieder zu mir zu kommen. Ist dies die Aussage unserer Chefin? Und vielleicht sollte ich meinen Mund, der vor Überraschung offen steht, wieder schließen. Und meinen verpeilten Gesichtsausdruck sollte ich auch wieder ablegen. Sah ich etwa bis eben genauso dämlich aus wie mein Freund Georg? Dessen Kinnlade ist zumindest noch immer heruntergeklappt.

      „Äh, ja“, stammle ich los. „Reiß dich zusammen, Ede!“, flüstere ich mir selber zu, um wieder laut von mir zu geben: „Wir werden die Betroffenen bei Bedarf erneut befragen, potentielle Querverweise und Gemeinsamkeiten herausarbeiten und sicherlich einen Ansatz zur Dingfestmachung der Täter herausfinden!“ Was für einen Schwachsinn erzähle ich da? Und warum kommt mein Gedanke „Warum?“ mir laut über die Lippen?

      „Kommissarin Schmidt hat in den letzten Monaten mehrfach durch ihre Intuition zu der Lösung von Fällen beigetragen, oder, Herr Kommissar Steingraf?“

      Ich kann nur noch stupide nicken. Und natürlich hat sie mit ihrer Aussage auch noch Recht.

      „Folglich ermitteln Sie hier!“, und schon rauscht sie in ihrem viel zu bunten Rüschenkleid um die Ecke. Das Klimpern ihrer dutzenden Ketten ist aber noch länger zu hören. Die Duftwolke ihres Parfums wird aber sicherlich noch über eine Stunde in unserem Büro hängen.

      Ich benötige weitere drei Minuten, bis ich wieder vollständig zu mir komme. Und ich bin stolz darauf! Denn Georg bleibt noch