Jürgen Brandt

Ein Flüstern der Vergangenheit


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in unglaublich warmen Gelb- und Rottönen erstrahlen. Gaya ist sprachlos beim Anblick dieses unbeschreiblich wertvollen Geschenkes. Aber trotzdem ist es ein noch größeres Geschenk der Götter, dass ihr Mann erneut gesund und unversehrt von seinen Reisen zurückgekehrt ist.

      „Man nennt es Bernstein. Sie sind sehr selten und kosten ein kleines Vermögen. Aber für dich, meine geliebte Göttin auf Erden, ist nichts zu teuer!“

      „Danke, mein Liebster.“

      „Man findet sie angeblich am Strand des Weltenrandes. Einige Verrückte meinen, es seien überhaupt keine Steine, sondern irgendetwas anderes aus einer Zeit vor unserer Zeit. Kannst du dir das vorstellen?“

      „Ist doch egal! Sie sind herrlich und du bist bei mir! Was kann es Schöneres auf der Welt geben?“

      Glücklich fällt sie ihrem Mann in die Arme und würde ihn am liebsten nie mehr loslassen. Soviel Monde musste sie auf ihren Mann verzichten. Aber selbst jetzt, nach seiner Ankunft, hat sie ihn noch nicht ganz für sich alleine.

      Denn Jachon meldet sich beim Dorfältesten zurück und berichtet ihm von der langen Reise und den vielen Waren, die er eingetauscht und mit zurück ins Dorf gebracht hat. Gemeinsam beraten sie, wie die Güter am besten zu verteilen oder einzutauschen sind. Garuum ist ein gütiger und gerechter Ältester und Hüter des Dorfes.

      „Jetzt geh hin und tu deine Arbeit. Dann kümmere dich angemessen um deine Familie. Alles andere kann warten“, empfiehlt Garuum bereits nach kurzer Zeit.

      Aber es ist tatsächlich noch eine Menge Arbeit zu erledigen. Der aufs Äußerste beladene Wagen muss entladen werden. Hunderte von unterschiedlichen Waren müssen verteilt und ordentlich verstaut oder gelagert werden. Exotische Früchte werden in Lehmtöpfe verfrachtet, damit sie sich länger halten. Stoffe mit den buntesten Mustern werden so gelagert, dass sie nicht nass werden oder gar von Mäusen oder Ratten angenagt werden können. Kupfer und Zinn erhält der Schmied, damit er auch in Zukunft Rohstoffe für die Fertigung von Arbeitsutensilien zur Verfügung hat. Des Weiteren hat Jachon kleine Mengen Goldklumpen zur Schmuckherstellung im Gepäck. Hinzu kommen Salz und andere hier vollkommen unbekannte, fantastische Gewürze. All dies sind absolut wertvolle und seltene Güter.

      Viele andere Mitbringsel, wie zum Beispiel filigran verarbeiteter Schmuck, tauscht er bei den anderen Dorfbewohnern direkt gegen Nahrung ein. Auch weitere lebensnotwendige Dinge für sich und seine Familie werden im Tauschhandel erstanden. Alles in allem war es erneut eine äußerst erfolgreiche und auch sehr ertragreiche Handelstour gewesen.

      Abends wird ein gewaltiges Fest für das gesamte Dorf ausgerichtet. Ein Frischling wird erlegt und am Spieß über einem hell lodernden Feuer in der Mitte des Dorfplatzes gegrillt. Alle Menschen aus der näheren Umgebung erscheinen zu dieser rauschenden Feier.

      Die Trommeln und Rasseln geben den Rhythmus vor, während Tierhörner als Blasinstrumente genutzt werden. Und viele Menschen beginnen umgehend, verzückt zu tanzen.

      Hierzu wird Met, ein süßer, wohlschmeckender Honigwein, gereicht. Die Stimmung lockert sich stetig weiter auf und der Abend wird für alle unvergesslich. Noch Monde später wird begeistert über diesen denkwürdigen Abend gesprochen.

      5. Tatort

      Wir fahren gemeinsam in einem Dienstwagen zum Tatort. Warum müssen in letzter Zeit nur so viele Menschen in meinem geliebten Heimatdorf umkommen. Oder um präziser zu sein, ermordet werden? Obwohl ich nur zugezogen bin, empfinde ich dies hier inzwischen als meine neue Heimat: Stets friedlich und vielleicht auch etwas verschlafen, aber mitten im Herzen von Deutschland. Auch sind alle lebensnotwendigen Dinge und Geschäfte vorhanden, beginnend bei den Ärzten und Zahnärzten, über eine Apotheke, bis hin zum gut sortierten EDEKA-Markt, der seit einigen Jahren von Gaby und Jürgen Werner gemanagt wird.

      Der Tatort des schrecklichen Verbrechens befindet sich in der Fahrenbachstraße, ganz in der Nähe der ehemaligen Obermühle. Der Antrieb der Mühle war bis etwa 1887 ein großes Wasserrad. Das notwendige Wasser hierfür wurde durch den Fahrenbach und den Rodebach gespeist. Beide Bäche mussten damals extra hierfür entsprechend gestaut werden. Leider ist von dem Wehr und allen anderen damals notwendigen Anlagen heutzutage nichts mehr vorhanden. Eigentlich schade.

      Aber jetzt müssen wir uns auf den neuen Fall konzentrieren. Die Spurensicherung ist nahezu fertig und der Gerichtsmediziner, Dr Truber, bereits vor Ort. Gut, dass er es ist. Er ist der fähigste Gerichtsmediziner, den ich in all meinen Dienstjahren kennenlernen durfte. Außerdem ist er seit langen Jahren mein Freund. Dank seiner tiefgreifenden Kenntnisse, nicht nur in medizinischen Dingen, haben wir bereits viele Fälle lösen können.

      „Keine Einbruchspuren, keine Tatwaffe, absolutes Chaos. Bericht folgt in Kürze“, werde ich extrem knapp von unserer Spurensicherung in Kenntnis gesetzt. Anscheinend gibt es nichts Weiteres zu sagen und auch Rückfragen meinerseits werden offensichtlich nicht erwartet. Keine Minute später ist das gesamte Team auch schon verschwunden. Das nenne ich mal kurz und bündig. Ich hoffe nur, dass ich tatsächlich irgendwann einen etwas ausführlicheren Bericht erhalte. Denn diese knappen Ansagen nutzen mir fast nichts.

      „Wie sieht es aus, Heinz?“, frage ich unseren Gerichtsmediziner. „Bereits etwas Aufschlussreiches entdeckt?“

      „Der Name des Toten lautet Peters, Hans Peters, oder um noch genauer zu sein, Dr. Hans Peters. Vermutlich wurde der Einbrecher, oder vielleicht auch die Einbrecher, von unserem Opfer überrascht. Und dies ist womöglich die Folge.“

      Die Worte vermutlich und womöglich sind untypische Floskeln im Wortschatz meines Freundes. Fragend schaue ich ihn an. Jahrelange Zusammenarbeit entbindet zum Glück oft von ausschweifenden Wortwechseln. Zumindest bei Männern.

      „OK“, beginnt er auch sogleich. „Es ist alles sehr untypisch. Wie du selber gehört hast, gibt es keine Einbruchsspuren. Wurde der Täter etwa hereingelassen? Dann wäre es kein Einbruch. Oder standen die Türen und Fenster vielleicht offen? War unser Mordopfer etwa zu Hause? Ich habe noch nie von so verblödeten Einbrechern gehört, die tagsüber eindringen, wenn tatsächlich jemand zu Hause ist.“

      Ich erkenne, dass dies noch nicht alles ist, was mein ehrenwerter Herr Kollege zu sagen hat. Mein fragender Blick bleibt also weiterhin bestehen.

      „OK. Falls wider Erwarten der Einbrecher also auf den Hausherren trifft, kenne ich zwei Szenarien. Der Einbrecher würde entweder sofort Hals über Kopf fliehen, oder aber den Zeugen so schnell wie möglich ausschalten.“

      „Und hier?“, bohre ich genervt weiter.

      „Ich muss die Autopsie erst noch durchführen“, versucht er sich herauszuwinden.

      „Muss ich tatsächlich noch einmal fragen?“ Langsam werde ich ungeduldig.

      „Sprich sofort oder schweig für immer! Herr Doktor Heinz Truber!“, schreit Jo urplötzlich lauthals und fürchterlich genervt los. Wir zucken alle erschrocken zusammen. Was ist nur mit unserer kleinen Jo los? Ihre bisherige Lethargie scheint einer alles umfassenden Wut zu weichen.

      Heinz schaut etwas ängstlich drein und wird drei Nuancen blasser. So hat er meine Kollegin noch nicht kennengelernt.

      „Das Opfer wurde erschlagen, würde ich vermuten. Seht Ihr die recht tiefe Kopfwunde? Aber auf den ersten Blick würde ich sagen, er wurde vorher einige Zeit brutal misshandelt, bis er letztendlich starb. Es muss etliche Minuten gedauert haben. Eine Viertelstunde oder länger. Aber nach der Autopsie weiß ich mehr.“

      Mit einem vorsichtigen Blick auf Jo verschwindet er, so schnell es geht.

      „Das war definitiv kein normaler Einbruch“, verkündet Georg stolz seine Erkenntnis.

      „Sag nur!“, kontern Jo und ich simultan.

      „Man kann vieles unbewusst wissen, indem man es nur fühlt, aber nicht weiß“, entgegnet mein Partner.

      Jo und ich schauen uns nur ratlos an. Irgendwie wird er von Jahr zu Jahr immer sonderbarer und seine überflüssigen Zitate immer zusammenhangsloser. Aber so kennen und so lieben wir ihn. Zumindest manchmal. Eher selten. Für seine Zitate fast