Detlef Wolf

Geschwisterliebe


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er.

      „Na, dann mal los. Sucht Euch was zu lesen aus, und dann raus mit Euch. Und wenn Ihr das nächstemal was trinken wollt, dann geht Ihr in die Küche und nehmt Euch was. Klar? Ihr braucht doch nicht wegen jedem Glas Saft um Erlaubnis zu fragen. Wo gibt’s denn sowas?“

      Lachend zwinkerte er ihnen zu. Sie machten sich daran, die Bücher in den Regalen anzusehen. Es gab eine ungeheure Menge davon, und die Auswahl fiel ihnen nicht leicht. Schließlich fanden sie aber doch etwas nach ihrem Geschmack. Wortlos gingen sie hinaus. Stephan hatte sich schon wieder in seine Arbeit vertieft und achtete nicht auf sie.

      Im Wohnzimmer stöberten sie durch seine umfangreiche CD-Sammlung. Mit Musik kannten sie sich überhaupt nicht aus. Eine eigene Musikanlage hatten sie nie besessen und demzufolge natürlich auch keine Musik. Ratlos standen sie vor einer offenen von zahlreichen Schubladen, von denen jede Dutzende von CDs enthielt, schön übersichtlich aufgereiht.

      „Hast Du eine Idee, was das alles ist?“ fragte Nicole verzweifelt.

      Kevin schüttelte den Kopf. „Nee. Genausowenig wie Du.“

      „Und jetzt?“

      „Keine Ahnung. Wir könnten Stephan fragen, aber den möchte ich jetzt nicht schon wieder stören. Außerdem wüßte ich auch gar nicht, wie man das alles hier bedienen muß.“

      Er zeigte auf die vielen Geräte, die sich in der Schrankwand verbargen.

      „Fragen wir ihn heute Abend.“

      Kevin nickte. Sie setzten sich in zwei der bequemen Drehsessel und vertieften sich in ihre Bücher. Dort saßen sie noch immer und lasen, als Stephan am frühen Abend zu ihnen hereinkam. Er setzte sich zu ihnen.

      „Na, Ihr beiden Süßen, wie geht’s Euch?“

      „Prima“, antwortete Nicole. „Endlich dürfen wir mal irgendwo sitzen und lesen. Zu Hause durften wir ja keine Bücher haben. Und wo hätten wir auch sitzen sollen?“

      „Also hier dürft Ihr sitzen und lesen soviel Ihr wollt. Und wenn Euch die Bücher ausgehen, dann sagt rechtzeitig Bescheid, damit wir neue kaufen können. Musik wolltet Ihr keine hören?“

      Kevin bekam einen roten Kopf. „Eigentlich schon“, gab er zu. „Aber wir wußten gar nicht, was das alles ist. Und wie man das abspielen kann schon gar nicht. Wir haben doch sowas noch nie gehabt.“

      „Hm“, machte Stephan und strich dem Jungen über den Kopf. „Entschuldige. Daran hab ich gar nicht gedacht.“ Er überlegte einen Moment. „Paßt auf. Nach dem Abendessen, da hab ich Zeit für Euch. Dann erklär ich Euch alles. Einverstanden?“

      Beide strahlten ihn an und nickten.

      „Aber jetzt hab ich eine Bitte“, fuhr er fort. „Mäuschen, könntest Du Dich um das Abendessen kümmern? Ich müßte noch ein bißchen was machen, aber dann bin ich fertig.“

      Sofort sprang Nicole auf. „Ja sicher. Was soll ich denn machen?“

      Stephan blies die Backen auf. „Laß Dir was einfallen. Im Kühlschrank ist genug Auswahl. Da findest Du bestimmt was.“ Er sah Kevin an. „Und Du legst Dich am besten solange hin, mein Junge. Du bist jetzt schon ziemlich lange auf. Das ist bestimmt nicht so gut. Hm?“

      Kevin lächelte Stephan an. Es gefiel ihm, wenn Stephan ‚mein Junge’ zu ihm sagte und es gefiel ihm auch, daß er so besorgt war. So etwas hatte er bis dahin nicht kennengelernt.

      „Mach ich“, antwortete er, stand auf und ging hinaus. Auch Stephan ging zurück in sein Arbeitszimmer. Nicole blieb allein zurück. Seufzend klappte sie ihr Buch zu und legte es zur Seite. Das war ihr auch noch nicht passiert. Das Essen hatte sie schon oft genug zubereitet, für Kevin und sich selbst. Das war kein Problem. Aber da hatte sie immer gleich gewußt, was sie machen sollte. Sie mußte mit dem zurechtkommen, was sie hatte. Es gab ja keine Auswahl. Aber jetzt war das etwas anderes. Der ganze Kühlschrank war voll. Und eine Speisekammer gab es auch noch, mit allen möglichen Vorräten darin. Und Stephan war bestimmt anspruchsvoll. Obwohl, Bratkartoffeln hatte er auch gegessen.

      Sie stand auf und ging hinüber in die Küche. Als sie sich den Inhalt des Kühlschranks ansah, wurde es nicht besser. Viele Sachen darin kannte sie nicht einmal. Verzweifelt klappte sie die Tür wieder zu. Dann fiel ihr Blick auf das Regal mit den Kochbüchern. Sie zog eines davon heraus, setzte sich an den Küchentisch und fing an zu blättern.

      Wenige Minuten später war sie eifrig bei der Arbeit. Eine gemischte, kalte Platte für jeden wollte sie machen. Dazu noch Käse, von dem es eine ziemliche Auswahl gab und den sie auf einem Brett anrichtete und einen Obstsalat. Eine geschlagene Stunde lang werkelte sie in aller Ruhe. Dann kam Kevin herein.

      „Du, Nicci, sag mal, wann gibt’s denn jetzt was zu essen? So langsam krieg ich Hunger.“

      Sie lachte ihn an. „Ist doch prima. Du kommst gerade richtig, Kevin. Ich bin sofort fertig. Vielleicht kannst Du Stephan schon mal Bescheid sagen.“

      Der Junge nickte und ging hinüber in Stephans Arbeitszimmer. Lachend kamen die beiden kurz darauf in die Küche. Stephan hatte den Arm um Kevins Schultern gelegt und der Junge schien sehr glücklich darüber zu sein.

      „Sorgt Ihr bitte für die Getränke?“ bat Nicole, die dabei war, den Tisch zu decken. „Ich würde gerne Apfelschorle trinken, wenn’s geht.“

      Stephan warf einen kurzen Blick auf den Tisch. „Ich glaub, ich geh mir ’ne Flasche Wein holen“, sagte er und verschwand.

      Kevin machte für sich und seine Schwester ein Glas Apfelschorle zurecht.

      „Das sieht aber gut aus“, sagte er, als er die Gläser auf den Tisch stellte. „Nur was das alles ist, weiß ich nicht.“

      „Macht nix. Ich sag’s Euch gleich“, beruhigte sie ihn.

      „Mäuschen, Du bist ein Genie“, lobte Stephan sie nach dem Essen. Alle Teller waren leer, es war nichts übrig geblieben. „Aus Dir könnte man einen fabelhaften Garde Manger machen.“

      Sie sah ihn verständnislos an. „Garde Manger? Was ist das denn?“

      „Das ist in der Küche der Chef für die kalten Sachen. Ein ziemlich wichtiger Posten“, erklärte Stephan. „Und was Du da gemacht hast, war einfach fabelhaft.“

      Nicole wurde puterrot im Gesicht. „Sag doch nicht sowas“, wehrte sie ab.

      „Wieso? Stimmt doch“, sagte Kevin. „Stephan hat doch recht. Es hat einfach super geschmeckt. Das meiste kannte ich zwar nicht, aber toll war’s trotzdem.“

      „Ich kannte das auch nicht“, gab Nicole zu. „Aber das stand alles so im Buch, und die Sachen waren da, und da hab ich das einfach mal so gemacht.“

      „Und woher hast Du gewußt, daß uns das schmecken würde?“ erkundigte sich Kevin.

      Nicole zuckte die Achseln. „Das wußte ich gar nicht. Aber auf den Bildern hat’s so gut ausgesehen, da hab ich’s einfach nachgemacht.“

      „Jedenfalls ist Dir das hundertprozentig gelungen, Mäuschen“, lobte Stephan sie noch einmal. „Wenn Du so weitermachst, ernenne ich Dich demnächst zum Chef de Cuisine in diesem Haus.“

      „Du sollst mich nicht so veräppeln, Stephan.“

      „Nee, nee, mein Schatz. Ich veräppel Dich nicht. Ich mein das richtig ernst. Deine Carbonarasauce gestern, die war einfach überirdisch. Ich hab zwar nichts gesagt, aber so eine gute hab ich noch nie gegessen. Und glaub mir, ich hab schon ’ne Menge Spaghetti Carbonara gegessen. Also, wenn’s Dir Spaß macht, kannst Du meinetwegen öfter kochen. Ich wär mal gespannt, was Du noch alles zaubern würdest.“

      „Na, wenn man alles zur Verfügung hat, ist das ja auch nicht besonders schwer.“

      „Da würdest Du Dich aber wundern“, gab Stephan zurück. „Und jetzt hör bloß auf, Deine Leistung kleinzureden. Das hast Du ganz wunderbar gemacht, das kannst Du Dir ruhig an den Hut stecken.“