Detlef Wolf

Geschwisterliebe


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besser“, meinte er und machte sich daran, die wunden Stellen sorgsam einzucremen. „Tut’s denn noch weh?“

      „Kaum noch“, antwortete Kevin. „Nur wenn ich zum Klo muß.“

      „Naja, lange wird’s hoffentlich nicht mehr dauern.“ Er gab dem Jungen einen zarten Klaps auf den Po. „Kannst Dich wieder gerade hinstellen.“ Vorsichtig cremte er die Striemen auf Kevins Rücken und auf seiner Brust ein. „Ob das besser geworden ist, kann ich gar nicht sagen.“

      „Es tut auf jeden Fall nicht weh“, versicherte der Junge.

      „Na schön. Dann zieh Dir mal was an und komm runter in die Küche“, forderte Stephan ihn auf. „Oder möchtest Du Dich lieber wieder hinlegen? Dann bring ich Dir was nach oben.“

      „Ich glaub, ich leg mich besser wieder hin. Mir ist ein bißchen schwindelig.“

      Stephan faßte ihn am Arm. „Dann komm. Ich bring Dich.“

      Kevin wehrte sich ein wenig. „Also, das kann ich schon noch alleine.“

      „Besser ist besser“, entgegnete Stephan. „Nicht, daß Du mir noch umkippst.“

      „Du machst Dir viel zu viel Sorgen.“ Kevin lächelte Stephan an, während er sich auf die Bettkante setzte.

      „Ja, ja, schon gut“, sagte Stephan. „Und jetzt leg Dich schön hin.“ Er wartete, bis der Junge sich im Bett ausgestreckt hatte und deckte ihn anschließend zu. „Alles bequem?“

      Kevin nickte. „Alles bestens.“

      Stephan strich ihm sanft über den Kopf. „Dann geh ich Dir mal was zu essen holen.“

      „Warum machst Du das?“ fragte Kevin, als Stephan zehn Minuten später mit einem Teller voller verschieden belegter Brote und einem großen Glas Milch wiederkam.

      „Weil Du noch nicht gefrühstückt hast und nicht aufstehen sollst“, antwortete Stephan.

      „Das mein ich doch nicht.“

      „Na gut. Sagen wir, weil Du so ein großartiger Kerl bist und weil Du Dich immer so lieb um Deine Schwester kümmerst. Und jetzt brauchst Du eben auch mal jemanden, der sich um Dich kümmert. Deswegen.“

      „Aber das mußte ich doch. Sie hat doch sonst niemanden. Und sie haben ihr immer so furchtbar weh getan.“

      Er brach in Tränen aus. Stephan setzte sich zu ihm aufs Bett und zog ihn an sich. Wortlos hielt er ihn im Arm. Der Junge schluchzte still vor sich hin. Stephan ließ ihn sich ausweinen. Das hatte der Junge ganz offensichtlich bitter nötig. Bislang mußte er immer der Starke sein. Und er hatte seine Rolle sehr gut gespielt. Aber natürlich war das auf die Dauer zu viel für einen Dreizehnjährigen. Jetzt kam der Zusammenbruch. Stephan war froh darüber. So war der Junge nicht allein, und er konnte ihm helfen. Zumindest konnte er ihm ein gewisses Gefühl der Geborgenheit geben.

      Behutsam bettete Stephan ihn wieder auf die Kissen. „Na, geht’s wieder?“

      Kevin wollte etwas sagen, aber Stephan legte ihm den Finger auf die Lippen.

      „Psst, nichts sagen. Du brauchst Dich nicht zu verteidigen, Kevin. Es ist schon gut so. Es war richtig, daß Du Dich mal ausgeweint hast. Ich glaube, das hast Du schon lange mal gebraucht. Und mach Dir bitte keine Sorgen. Ihr seid jetzt bei mir, und ich seh zu, daß Ihr beide wieder in Ordnung kommt. Dann sehen wir weiter. Am liebsten wär’s mir ja, wenn Ihr bei mir bleiben würdet. Aber das müßt Ihr entscheiden, wenn’s soweit ist. Bis dahin sollt Ihr Euch hier wohlfühlen.“ Er griff nach Kevins Hand. „Und wenn Du wieder das Gefühl hast, Du kannst nicht mehr, dann kommst Du zu mir und weinst Dich aus. So wie eben. Du brauchst Dich wirklich nicht zu schämen dafür, und ich verspreche Dir, Dich niemals dafür auszulachen. Ich glaube, sowas brauchst Du jetzt einfach mal. Hörst Du, Großer, Du sollst immer zu mir kommen, wenn’s Dir nicht gutgeht. Jederzeit, Tag und Nacht. Es geht gar nicht, daß Du immer so unter Strom stehst.“

      Kevin sah Stephan dankbar an. „Wirst Du Nicci davon erzählen?“

      Stephan schüttelte den Kopf. „Nein. Wenn sie’s wissen soll, dann mußt Du’s ihr sagen. Von mir wird sie das nicht erfahren.“

      Kevin drückte Stephans Hand. „Danke.“

      Lächelnd strubbelte Stephan ihm durch die dunkelbraunen Locken. „Geht schon klar, mein Junge. Ich laß Dich nicht hängen. Ganz bestimmt nicht.“ Er stand auf. „So, und jetzt iß mal schön Dein Frühstück auf, sonst gibt’s bald schon wieder Mittagessen.“

      Stephan zwinkerte ihm noch einmal zu und ließ ihn dann allein. Es wurde Zeit, daß er an seine Arbeit kam. Doch nicht lange, und er wurde schon wieder gestört, als Frau Batitsch hereinkam und das Arbeitszimmer saubermachen wollte. Klaglos räumte er das Feld und verzog sich mit seinen Zeitungen ins Wohnzimmer.

      „Soll ich das Mittagessen machen?“ fragte die Putzfrau eine Weile später.

      „Nee, lassen Sie mal, Frau Batitsch. Ich mach das schon. Nicole wird ziemlich spät aus der Schule kommen, und ich möchte nicht, daß sie was Aufgewärmtes kriegt. Sind Sie denn schon fertig?“

      „Hier im Haus ja, aber ich wollte noch das Schwimmbad saubermachen. Da hab ich schon länger nicht mehr.“

      „Gute Idee, Frau Batitsch. Machen Sie mal. Dann können Sie nachher mit uns mittagessen und Nicole auch gleich kennenlernen.“

      „Wann kommt die Kleine denn?“

      Stephan lachte. „Die Kleine ist gut. Sagen Sie das bloß nicht zu ihr. Nicole ist fünfzehn und fast schon eine junge Dame.“ Er sah auf seine Armbanduhr. „In einer guten Stunde, schätz ich mal.“

      „Na, bis dahin bin ich ja locker fertig mit dem Schwimmbad.“

      Tatsächlich tauchte Nicole schon eine halbe Stunde später in Stephans Küche auf. Sie schien bester Laune zu sein und strahlte ihn an.

      „Hallo Stephan“, begrüßte sie ihn und stellte ihre Schultasche auf einen der Küchenstühle.

      Stephan kam es so vor, als warte sie darauf, daß er sie in den Arm nahm. Er tat ihr den Gefallen und drückte sie kurz. „Na, mein Mäuschen, Du bist ja schon früh dran. Das Essen ist noch gar nicht fertig.“

      „Macht ja nix. Ich bin ja auch viel zu früh. Die letzte Stunde ist ausgefallen, und da hab ich den Bus früher gekriegt. Wie geht’s Kevin? Soll ich Dir helfen?“

      Er ließ sie wieder los und stupste sie lachend auf die Nasenspitze. „Kevin geht’s besser, aber Du solltest mal nach ihm sehen. Und ja, dann kannst Du mir helfen.“

      Sie schnappte ihre Schultasche und lief hinaus. Eine Minute später war sie wieder da.

      „Kevin schläft. Was kann ich denn machen?“

      „Kartoffeln schälen und eine Zwiebel klein schneiden. Ich mach derweil das andere.“

      „Was gibt’s denn?“

      „Forellen, Kartoffeln und Spinat.“

      „Aha. Haben wir noch nie gegessen.“

      „Na, hoffentlich schmeckt‘s Euch.“

      Sie zuckte die Achseln. „Wird schon. Kevin ißt sowieso alles, und ich bin mal gespannt.“

      „Also dann mal los.“

      Neugierig sah sie ihm zu, wie er die Forellen in der heißen Butter briet.

      „Soviel Butter nimmst Du?“

      „Fische müssen schwimmen, Mäuschen. Hast Du das noch nicht gewußt?“

      Sie kicherte. Dann sah sie entsetzt zu, wie er den Spinat ebenfalls in eine gebutterte Pfanne warf. „Was machst Du denn mit dem Gemüse? Das wird ja ganz gammelig!“

      „Wird es nicht, mein Schatz. Dafür schmeckt’s besonders gut, wenn Du es ein bißchen anbrätst. Deckst Du mal den Tisch? Wir sind zu viert. Frau Batitsch ißt auch mit.“