Detlef Wolf

Geschwisterliebe


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schüttelte den Kopf.

      „Na gut, dann erklär ich Dir jetzt, was passiert. Du mußt die Beine hier auf die Stützen legen, damit ich Dich richtig untersuchen kann. Das ist ein wenig unangenehm, aber normalerweise tut es nicht weh. Auf jeden Fall sag ich Dir immer, was ich mache. Meinst Du, Du schaffst das?“

      „Stephan“, sagte Nicole flehend.

      Stephan stellte sich neben den Stuhl, so daß er ihr ins Gesicht sah. Vorsichtig nahm er ihre Hand, so wie die Ärztin es gesagt hatte. Sie ließ es geschehen. Mit angstgeweiteten Augen sah sie Stephan an.

      Die Ärztin legte Nicoles Beine in die gepolsterten Stützen. Sie erschrak, als sie das Mädchen ansah. „Das sieht nicht so gut aus“, sagte sie, während sie sich die dünnen Latexhandschuhe überstreifte, die sie immer bei Untersuchungen trug. „Wenn ich Dich jetzt untersuche, kann es doch sein, daß es wehtut. Du bist ziemlich schlimm verletzt. Aber ich versuche, ganz vorsichtig zu sein.“

      Nicole zuckte zusammen, als sie die Hände der Ärztin zwischen ihren Beinen spürte. Stephan strich ihr beruhigend über die Stirn. „Ganz ruhig, Mäuschen. Sie tut Dir nichts. Sie will Dir nur helfen.“

      Nicole schossen die Tränen in die Augen.

      „Tut’s so weh?“ fragte Stephan.

      Sie schüttelte den Kopf. „Nicht mehr als sonst. Es tut ja immer weh.“

      „Das kann ich mir vorstellen“, sagte die Ärztin. „Du hast sicher auch Schmerzen, wenn Du zur Toilette gehst, stimmt’s?“

      „Es ist auszuhalten“, antwortete Nicole. „Aber es tut schon ziemlich weh.“

      „Kein Wunder. Hier ist ja alles total wund. Teilweise sogar aufgeplatzt. Es sieht schlimm aus. Was haben sie bloß mit Dir gemacht?“

      Sie sah Stephan an. „Ich muß das dokumentieren“, sagte sie.

      „Ja bitte“, stimmte Stephan zu. „Ich denke auch, daß das wichtig ist.“

      Die Ärztin nahm einen Photoapparat aus der Schreibtischschublade. Sorgfältig photographierte sie Nicoles Verletzungen.

      „Eigentlich müßte ich auch nachsehen, wie’s innen in ihrem Körper aussieht. Aber das wird ihr wohl ziemliche Schmerzen bereiten. Am besten ist es, wenn ich sie lokal betäube.“

      Stephan nickte. Er beugte sich über Nicole und streichelte ihr Gesicht. Er stellte sich so, daß sie nicht sehen konnte, wie die Ärztin eine Spritze aufzog.

      „Nicole, es wird jetzt ein paarmal ein wenig piksen“, erklärte die Ärztin. „Aber das muß sein.“

      Sie atmete scharf ein, als sie den ersten Stich spürte. Stephan hielt ihr Gesicht in beiden Händen, bis es vorbei war. Die Ärztin entsorgte die leere Spritze und wandte sich dann wieder an das Mädchen.

      „So, jetzt müssen wir einen Moment warten, bis die Betäubung wirkt. Dann wirst Du nichts mehr spüren.“

      Sie gab Stephan ein Papiertaschentuch. Er wischte Nicole damit die Tränen ab.

      „Tapferes Mäuschen“, sagte er.

      Sie versuchte ein Lächeln.

      „Sie mögen sie sehr“, stellte die Ärztin fest.

      Stephan sah sie an. „Das auch. Und sie tut mir furchtbar leid. Ihren Bruder haben sie, Gott sei Dank, schon im Krankenhaus gut versorgt. Wahrscheinlich sieht er genauso schlimm aus. Und eine Gehirnerschütterung hat er auch. Jetzt liegt er bei mir zu Hause im Bett. Hoffe ich wenigstens. Zumindest lag er drin, als wir wegfuhren.“

      „Er hat mir immer geholfen“, sagte Nicole. „Manchmal hatten wir so ’ne Salbe, die er mir draufgeschmiert hat, wenn’s ganz schlimm war. Aber viel genützt hat die auch nicht.“

      Die Ärztin schüttelte den Kopf. „Armes Kind.“ Dann stellte sie sich wieder zwischen Nicoles Beine. „So, ich glaube, jetzt können wir. Spürst Du noch was?“ Sie zwickte Nicole in den Unterleib.

      Das Mädchen schüttelte den Kopf. Stephan nahm wieder Nicoles Hand. Die Ärztin fuhr mit ihrer Untersuchung fort.

      „Wie ich vermutet hatte“, sagte sie danach. „In ihrer Scheide sieht es genauso schlimm aus. Es wird eine Weile dauern, bis das abgeheilt ist. Viel kann man da nicht machen. Ich werde Dir eine Salbe aufschreiben, die Du regelmäßig auftragen solltest. Am besten rasierst Du Dir erstmal alle Haare weg, damit die Salbe auch richtig auf die Haut draufkommt. Und baden solltest Du auch. In der Apotheke gibt es Badezusätze mit Kamille, die solltest Du nehmen. Aber achte darauf, daß kein Parfüm darin ist. Du solltest es machen, sobald Du nach Hause kommst und die Betäubung noch wirkt. Vor allem mit der Rasiererei. Und wasch Dich bitte sehr sorgfältig. Nicht bloß so oberflächlich, sondern wirklich überall. Und danach solltest Du ein Sitzbad machen, jedesmal wenn Du auf der Toilette warst, damit Dein Po und Deine Scheide immer schön sauber sind. Das ist ganz wichtig. Die Haut ist nämlich ziemlich entzündet. Aber das ist ja auch kein Wunder, wenn die Verletzungen nicht ausheilen können. Am besten auch, Du ziehst Dir nur Unterhosen aus reiner Baumwolle an, die man kochen kann, also ganz ohne Kunstfasern. Und mindestens einmal am Tag eine frische. Wenn’s geht, ziehst Du zu Hause möglichst Röcke an und läßt die Unterhose sogar ganz weg, damit Du zwischen den Beinen nicht schwitzt. Das tut nämlich auch weh. In etwa zwei Wochen kommst Du dann wieder her. Dann werde ich mir die Sache nochmal ansehen.“

      Nicole nickte. Sie hatte aufmerksam zugehört. Die Ärztin half ihr von dem Untersuchungsstuhl herunter. „Das war’s dann erstmal“, sagte sie.

      „Könnten Sie sich Nicole vielleicht auch nochmal ganz ansehen?“ bat Stephan. „Sie sieht nämlich nicht nur untenrum schlimm aus.“ Er nickte Nicole zu.

      Gehorsam zog sie ihr T-Shirt aus. Die Ärztin erschrak, als sie den nackten Oberkörper des Mädchens sah. Die Striemen auf Brust und Rücken waren noch immer deutlich zu sehen. Einige Stellen waren rot und hatten sich sogar entzündet. Die Ärztin griff wieder nach dem Photoapparat. „Hier gilt das gleiche“, sagte sie, während sie die Photos machte. „Gut sauberhalten und einreiben. Am besten weit geschnittene Baumwoll-T-Shirts anziehen. Es schadet nicht, wenn die eine Nummer zu groß sind. Das sieht zwar nicht besonders schick aus, aber für Deine Wunden ist es besser so. Und zieh keinen BH an.“

      Stephan hatte sich hinter Nicole gestellt. Sie sollte nicht das Gefühl haben, daß er sie anstarrte. Die Ärztin bemerkte es zufrieden. „Achten Sie bitte darauf, daß Nicole sorgfältig mit sich umgeht. Sie ist ziemlich schlimm dran.“

      „Sie können sich darauf verlassen“, sagte Stephan.

      Sie wandte sich an Nicole. „Du kannst Dich jetzt wieder anziehen, mein Kind.“

      Nicole nahm ihr T-Shirt und verschwand in der Umkleidekabine.

      „Die Betäubung hält noch etwa zwei bis drei Stunden“, sagte die Ärztin. Sorgen Sie bitte dafür, daß sie bis dahin gebadet und sich rasiert hat. Schaffen Sie das?“

      „Natürlich“, antwortete Stephan. „Wir gehen nur kurz in der Apotheke vorbei und kaufen ein paar Sachen. Baumwolle, wie Sie gesagt haben. Ich nehme an, für ihren Bruder gilt das gleiche?“

      Die Ärztin nickte. „Davon gehe ich aus.“

      „Dann kaufen wir auch gleich ein paar Sachen für ihn. Und dann fahren wir sofort nach Hause. Vielen Dank jedenfalls, daß Sie sich so gut um sie gekümmert haben. Ich nehme an, Sie müssen die Verletzungen auch melden?“

      „Ja, das sollte ich.“

      „Können Sie mir einen Gefallen tun? Melden Sie es auf jeden Fall. Aber bitte warten Sie damit, bis die Kinder wieder in Ordnung sind. Wenn sie wieder zu sich nach Hause zurückmüssen, möchte ich auf jeden Fall, daß sie dann wenigstens ganz gesund sind. So lange würde ich sie gerne bei mir behalten.“

      „Das dürfte sich machen lassen. Wenn Sie gestatten, würde ich auch gerne mal bei Ihnen vorbeikommen und nach dem Mädchen sehen.“

      „Selbstverständlich.