Detlef Wolf

Geschwisterliebe


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und halt es gegen Deine Nase“, forderte er ihn auf.

      Der Junge nahm ihm die Taschentücher aus der Hand. Sofort legte Stephan die nun freigewordene Hand auf den Hinterkopf, damit er mit der anderen Hand das Taschentuch kräftiger auf die Wunde drücken konnte, die noch immer stark blutete.

      „Sie haben Dir ganz schön zugesetzt“, sagte er.

      Der Junge nickte.

      „Nicht!“ forderte Stephan ihn auf. „Halt still, Mensch, Du tust Dir doch nur weh.“

      Mit einer Sanftheit, die der Junge ihm kaum zugetraut hatte, hielt Stephan ihm den Kopf fest. Langsam begann er, sich zu entspannen.

      „So ist gut“, sagte Stephan. „Ganz ruhig. Der Krankenwagen sollte gleich da sein. Die helfen Dir dann richtig. Wahrscheinlich nehmen sie Dich mit, damit sie feststellen können, was Dir sonst noch fehlt. Gebrochen scheint nichts zu sein, sonst hättest Du nicht stehen können. Eine Gehirnerschütterung dürftest Du aber schon haben, schätz’ ich mal. Naja, das werden sie im Krankenhaus schon feststellen.“

      Er merkte, wie der Junge wieder erstarrte.

      „Keine Angst, Junge, die tun Dir nun wirklich nichts. Notfalls bin ich ja dabei.“

      Ein Mädchen kam langsam über die Straße auf sie zu. Es machte einen ängstlichen Eindruck und sah immer wieder zu den drei Burschen, die sich in Schmerzen auf dem Boden wanden. Drei Schritte von ihnen entfernt blieb es stehen.

      „Wer ist das denn?“ fragte Stephan. „Kennst Du die?“

      „Das ist meine Schwester. Auf die hatten sie’s eigentlich abgesehen.“

      Weil er keine Hand frei hatte, winkte er sie mit dem Kopf heran. Zögernd kam das Mädchen näher, immer noch die drei auf dem Boden im Blick.

      „Komm ruhig her“, sagte Stephan. „Von den Dreien hast Du vorerst mal gar nichts zu befürchten. Wie heißt Du denn?“

      „Nicole Zervatzky“, antwortete das Mädchen. „Das ist mein Bruder Kevin.“

      Stephan dachte sich seinen Teil, als er die Namen hörte, sagte aber nichts, sondern nickte nur. „Ich hab die Polizei gerufen und einen Krankenwagen“, informierte er sie. „Die müssen jeden Moment hier sein.“

      Er merkte, wie das Mädchen erschrak, als er die Polizei erwähnte. „Polizei?“ sagte sie leise. „Die wollen sicher unsere Namen wissen.“

      „Na klar“, antwortete Stephan leichthin. „Warum auch nicht, Ihr habt ja nichts gemacht. Hast Du Angst?“

      Sie nickte. Panik stieg in ihr auf. Im Hintergrund war die Sirene eines Polizeiautos zu hören. Der Lärm kam schnell näher.

      „Verdrück Dich“, rief Stephan ihr zu. „Aber lauf nicht zu weit weg, damit ich Dich später wiederfinden kann.“

      Das Mädchen rannte davon. Stephan sah ihr nach.

      Das Polizeiauto kam auf den Platz gefahren und stoppte unmittelbar vor Stephan und dem Jungen. Zwei Beamte stiegen aus.

      „Gut, daß Sie kommen“, begrüßte Stephan sie. Er deutete mit dem Kopf in Richtung der drei anderen, die sich immer noch stöhnend auf dem Boden wälzten. „Die drei da haben den hier so zugerichtet. Ich hab ihm ein bißchen aus der Bredouille geholfen.“

      Er hielt immer noch den Kopf des Jungen zwischen seinen Händen. Das Papiertaschentuch, das er nach wie vor auf die Platzwunde auf seiner Stirn preßte, war inzwischen blutdurchtränkt. Einer der Beamten warf einen flüchtigen Blick darauf, bevor er sich wieder abwandte.

      „Der Krankenwagen müßte gleich hier sein.“

      Eine weitere Sirene war zu hören. Ein Rettungswagen und ein Notarztwagen rasten auf den Platz und hielten mit quietschenden Reifen. Der Arzt sprang aus dem Auto heraus und wollte sich gleich um die drei am Boden liegenden Schlägertypen kümmern.

      „Nehmen Sie den hier zuerst“, rief Stephan ihm zu. „den anderen fehlt nicht viel. Der eine hat ein gebrochenes Bein, der andere einen gebrochenen Arm und der dritte ist nicht mehr ganz fit im Schritt.“

      Der Arzt sah ihn überrascht an. „Woher wissen Sie das?“

      „Ganz einfach, ich hab ihnen die Knochen gebrochen, nachdem sie den hier so zugerichtet haben.“

      „Lassen Sie mal sehen.“

      Stephan ließ den Kopf des Jungen los, so daß der Arzt sich um ihn kümmern konnte. Er stand auf und wandte sich an die Polizisten.

      „So, meine Herren. Sie haben sicherlich ein paar Fragen. Also, die Sache war so. Ich kam gerade aus dem Bahnhof, da sah ich, wie die drei da gemeinsam auf den Jungen einschlugen. Ich bin hin und hab sie auseinandergebracht. Der Junge lag schon am Boden als ich hinkam. Der da trat ihm mit voller Wucht an den Kopf. Dafür hab ich ihm hier mit voller Wucht in die Eier getreten. Die beiden anderen hab ich weggeschubst. Einer von ihnen zog ein Messer und ging auf mich los. Da hab ich ihm den Arm gebrochen. Er hat das Messer fallen lassen. Der andere nahm es auf und warf es nach mir. Allerdings hat er mich nicht getroffen. Da hinten liegt das Ding. Damit er’s nicht wieder aufsammeln konnte, hab ich ihm das Bein gebrochen. Dann hab ich sie angerufen und mich um den hier gekümmert. Der hat ja geblutet wie ein Schwein.“ Er zog sein Portemonnaie aus der Tasche und zog daraus den Personalausweis. „Bevor Sie fragen“, sagte er und reichte ihn dem Beamten.

      Der bedankte sich und fing an, Stephans Daten zu notieren. Währenddessen fragte der andere: „Und der Junge, wie heißt der?“

      „Keine Ahnung“, antwortete Stephan. „Ich kenne den nicht.“

      „Na, dann werden wir ihn mal fragen“, meinte der Polizist und machte einen Schritt auf den Jungen zu, den die Sanitäter inzwischen auf die Trage des Krankenwagens gelegt hatten. Der Arzt, der neben der Trage kniete und dabei war, die Kopfwunde des Jungen zu verbinden, sah auf.

      „Den fragen Sie erst mal gar nichts. Der hat ’ne saftige Gehirnerschütterung, der ist gar nicht ganz klar.“

      „Aber seinen Namen wird er doch wohl noch wissen“, protestierte der Beamte.

      „Mag sein, aber Sie werden ihn jetzt nicht danach fragen“, antwortete der Arzt scharf. „Haben Sie das verstanden?“

      Mißmutig wandte sich der Polizist ab und ging zu den drei anderen Jugendlichen hinüber. Stephan folgte ihm.

      „Warum hilft uns denn keiner?“ jammerte der mit dem gebrochenen Bein. „Wir liegen hier schwer verletzt und keine Sau kümmert sich um uns, verdammte Scheiße!“

      „Paß auf, was Du sagst, Du Pfeife.“ Stephan stieß mit seinem Fuß gegen das gebrochene Bein. Er schrie vor Schmerzen laut auf. Der Arzt, der gerade dabei war, dem auf der Trage liegenden Jungen eine Infusion anzulegen, schnalzte mißbilligend mit der Zunge. Aber er grinste dabei.

      Ein zweiter Krankenwagen fuhr auf den Platz. Er war ohne Blaulicht und ohne Sirene gekommen. Anscheinend hatte der Arzt irgendwie Entwarnung gegeben. So dringend war es nicht mehr. Während Kevin in den Krankenwagen verfrachtet wurde, machte sich der Arzt daran, die drei anderen zu untersuchen. Er ging nicht gerade sanft dabei vor. Schmerzensschreie hallten über den Platz.

      „Die zwei nehmen wir mit“, sagte er danach, „der andere kann seine geprellten Eier zu Hause auskurieren.“

      „Wohin bringen Sie den Jungen?“ fragte Stephan und wies auf den Rettungswagen, der gerade davonfuhr.

      „Ins Elisabethkrankenhaus. Aber geben Sie uns zwei Stunden, bevor Sie da aufkreuzen. Ich nehme an, das wollen Sie?“

      Stephan nickte.

      „Wir müssen den Jungen zuerst untersuchen, röntgen und ordentlich zusammenflicken. Er wird Ihnen nicht weglaufen. Heute lassen wir ihn bestimmt noch nicht wieder gehen. Was ist denn mit den Eltern?“

      „Ich kümmer mich drum“, sagte Stephan.

      Der Arzt nickte. „Ich nehme an, der Junge hat