Annah Fehlauer

Worte wie wir


Скачать книгу

warn wa immerzu uff Achse

       jetzt stehste da

       und fragst mir stumm

       wann dit allet war

       ick seh dir an

       und frag mir stumm

       ob dit schon allet war

      ...1...

      „Worte wie weiche Watte.“

      „Worte warm wie Wollhandschuhe.“

      „Wärmende Worte wie wollige Wolkenschafe.“

      „Wolkenschafe, das gefällt mir“, Marie kicherte und verzog die Lippen zu einem Lächeln. „Wolkenschafe und Wolken­drachen. Gestern habe ich sogar einen Wolkenwal gesehen und vor­gestern einen Wolkenbären, die sind selten.“

      Catharina sah das Mädchen von der Seite an und war, wie so oft, tief berührt von der außergewöhnlichen Ausstrahlung des Kindes. Marie war vielleicht nicht schön im herkömmlichen Sinn, doch mit ihren großen wachen Augen strahlte sie eine Erns­thaftigkeit und zugleich Lebendigkeit und Neugier aus, die die ältere Frau als wunderschön empfand.

      „Das stimmt, Wolkenbären bekommt man eher selten zu sehen. Zumindest hierzulande.“ Marie sah kurz auf und zog die Augen­brauen in die Höhe.

      „Na, du weißt doch“, fuhr Catharina fort, „der Himmel sieht über­all unterschiedlich aus. Und ich war schon in Ländern, da sind Wolken­bären durchaus öfter zu sehen.“

      Marie beugte sich wieder leicht vornüber, um den Apfel zu schälen und wirkte zufrieden. „Wummelige Würstchen wollen wir wieder.“

      Catharina schmunzelte.

      „Wummelig, sehr schön. Kann ich mir das so vorstellen wie Wiener Würstchen, die schon einmal erhitzt wurden, wieder ab­gekühlt sind und dann so faltig aussehen?“

      „Ja, genau so. Wummelig eben“, Marie schaute aufmerksam zu ihr hinüber. Catharina nickte anerkennend und schälte auch ihren Apfel mit ruhigen Bewegungen weiter. Eine recht lange Apfel­scha­len­schlange hing bereits herunter. Mit ein wenig Kon­zen­tra­tion gelang es fast immer, den Apfel so zu schälen, dass die Schale eine einzige lange Schlange bildete. Ihre Mutter hatte die Äpfel meist so geschält, und sie hatte es sich eben­falls an­gewöhnt. Das war, abgesehen von ihrem Namen, viel­leicht das einzige, was sie von ihrer Mutter übernommen hatte. Marie war ganz versessen darauf, es ebenso zu tun. Doch die Natur des Mädchens machte es ihm manchmal schwer, die nötige Geduld dafür aufzubringen. Oft war sie zu un­geduldig und schälte zu hastig. Dann biss sie sich auf die Lippen, wenn die Schale abriss, um zu verhindern, dass ihr ein Fluch entwischte. Denn sie wusste, dass Catharina das nicht mochte. Bei ihrer Mama passte sie nicht so sehr auf, was ihr über die Lippen kam. Mama war es nicht so wichtig, wie sie redete. Aber mit Mama spielte sie auch keine Worte­finde­spiele.

      Dieses Mal war es ihr mühelos gelungen, den Apfel bereits zu zwei Dritteln zu schälen. Vielleicht war es eben die Kon­zen­tration auf das Wortefindespiel, die sie zu einer ge­wissen Ruhe ver­leitete. Mit ungewöhnlich ruhigen Be­we­gun­gen schälte sie weiter.

      Catharina mochte diese Tage sehr, an denen Marie nach der Schule für ein oder zwei Stunden bei ihr vorbeischaute. Für Maries Mutter waren diese Tage eine große Erleichterung. Sie arbeitete an diesen Tagen länger und musste sich keine Gedanken darüber machen, ob ihre Tochter mit ihren neun Jahren wirklich alt genug war, um den Mittag und Nachmittag alleine zuhause zu verbringen.

      Und Marie? Marie liebte diese Tage. Catharina schien sich jedes Mal aufrichtig zu freuen, wenn sie ihr die Tür öffnete. Anders als Mama, die oft müde war, wenn sie von der Arbeit kam. Was Marie verstehen konnte, denn Mamas Arbeit schien an­strengend zu sein. Dennoch genoss sie es, von Catharinas freund­lichem Gesicht begrüßt zu werden.

      Catharina ließ ihr Ruhe. Wenn sie wollte, konnte sie ihr aus der Schule erzählen. Von der blöden Deutschlehrerin, Frau Dr. Otter­pohl, oder von ihrer Freundin Lou. Aber wenn sie keine Lust dazu hatte, beließ es Catharina dabei. Sie stellte dann nicht immer weiter Fragen, so wie Mama es oft tat. Sie sagte ihr auch nicht, wann sie ihre Hausaufgaben zu erledigen habe. Sie fragte auch selten direkt nach ihnen. Meist erklärte sie ledig­lich nach ein oder zwei Stunden, dass sie selbst nun dies oder jenes zu tun hätte und dass Marie ja möglicherweise auch noch etwas zu tun hätte.

      „Warum klingt das eigentlich schöner, wenn die Worte alle mit dem gleichen Buchstaben anfangen, als jedes mit seinem eigenen? „Worte wie bunte Papierflieger“ klingt nicht so schön wie „Worte wie wollige Wolken“.“ Die typischen kleinen Grübel­fältchen kräuselten Maries Stirn, wie immer, wenn sie angestrengt über etwas nachdachte.

      „Ich bin mir gar nicht so sicher, dass das unbedingt immer schöner klingt. Aber ich kann mir vorstellen, dass unser Ohr sich freut, wenn es die Klänge wiedererkennt, so ähnlich wie ein Echo. Möglicherweise ist das ein Grund dafür, dass dir – und vielen anderen Menschen – Worte wie wollige Wolken gut gefallen.“

      Marie nickte bestätigend.

      „Es gibt aber auch viele Menschen, denen es besonders gefällt, wenn sie etwas Ungewöhnliches hören, die also nicht un­bedingt das Vertraute mögen, sondern das andere, weniger Vertraute.“

      „Du meinst also, es gibt auch Menschen, die „Worte wie bunte Papierflieger“ schöner finden?“, hakte Marie nach.

      „Ja, so in der Art. Vielleicht sogar noch Ungewöhnlicheres, wie etwa „Worte wie zerstaubte Papierflieger“.“

      Marie sah Catharina etwas skeptisch an.

      „Zerstaubte Papierflieger“? Was soll denn das sein? Gibt es das Wort „zerstaubt“ überhaupt?“

      Catharina schmunzelte: „Naja, wenn du mich als ehemalige Deutsch­lehrerin fragst: In einem Aufsatz hätte ich das Wort „zer­staubt“ wohl angestrichen, leider, möchte ich fast sagen. In einem Gedicht hätte ich mich darüber gefreut. Im Wörter­buch würde man es vergeblich suchen.“

      Nach einer kurzen Pause fuhr sie fort: „Aber findest du nicht, dass man sich trotzdem etwas darunter vorstellen kann?“

      „Hmm. Doch, schon. Ich stelle mir so einen ganz kaputten Papierflieger vor, einen, der schon lange nicht mehr fliegen kann.“

      „Und was stellst du dir unter „Worten wie zerstaubte Papier­flieger“ vor?“

      Marie zog die schmalen Schultern ein wenig in die Höhe und ließ sie wieder fallen.

      „Weiß nicht genau, irgendwie so was wie alte Worte, ein bisschen so wie mein zerfleddertes Deutschbuch.“

      Catharina lachte kurz auf. „Mir geht es ganz ähnlich, ich denke an Worte, die irgendwie ein bisschen langweilig sind, ab­genutzt und ein bisschen stumpf wie ein altes Taschen­messer.“

      Marie sah sie voller Anerkennung oder Stolz an und Catharina dachte kurz, sie habe diesen Gesichtsausdruck mit ihrem Ver­gleich zu zerstaubten Papierfliegern im Mädchen hervor­gerufen.

      „Demut“, dachte sie, „wir sollten uns in Demut üben, auch ich, wenn ich wieder einmal denke, nun habe ich jemandem zu einer Ver­stehensleistung verholfen“, als sie sah, wie Marie die Apfel­schale – in einer einzigen langen Schlange – vorsichtig vor sich hin und her baumeln ließ, bevor sie sie auf den Teller gleiten ließ.

      Catharina, die in der Zwischenzeit mehrere weitere Äpfel von ihrer Schale befreit hatte, begann nun, die Äpfel zu hal­bieren, das Kerngehäuse zu entfernen und die Apfelhälften ein­zu­schnei­den, um sie für den Belag des Kuchens vor­zu­be­reiten. Sie hatte früher nie gerne Kuchen gegessen. Diese Leiden­schaft hatte sie erst durch Marie entwickelt, die Apfel­kuchen über alles liebte, am aller­meisten selbst gebackenen. Pflaumen- und Kirsch­kuchen belegten die Plätze zwei und drei der Marie-Brand­nerschen-Rangliste,