Annah Fehlauer

Worte wie wir


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deine Seele hat sich nicht verlaufen.“

      „Nein, ich glaube nicht. Jedenfalls wünsche ich mir für sie, dass sie wieder auf dem Weg ins Licht ist.“

      „Und kann man denn nichts dafür tun, dass die Bösen und ihre Seelen auch wieder ins Licht kommen?“

      „Oh, ich glaube schon. Wir können auf jeden Fall immer und immer wieder darum bitten, dass auch ihre Seelen eingehüllt werden in eine Liebeshülle und zurück ins Licht finden.“

      Marie schob ihre Hand in Catharinas, nickte und signalisierte damit, dass sie mit dem Vorschlag einverstanden war. „In Ord­nung. Ich will nur hoffen, dass es auch funktioniert.“

      Nach einer kurzen Pause, während der sie offenbar weiter nach­gedacht hatte, fuhr sie fort: „Aber es wäre mir doch lieb, wenn wir noch einen sichereren Weg finden würden. Es ist ein biss­chen unheimlich, dass es so etwas wie verlaufene Seelen gibt.“

      Sie sah Catharina an und erklärte bestimmt: „Ich möchte jeden­falls keiner begegnen.“

      Catharina drückte die Hand ihrer kleinen Freundin.

      „Keine Sorge, meine Süße, ich bin überzeugt davon, dass deine eigene Seele so sehr im Licht ist und so hell strahlt, dass Dunkelheit bei dir keine Chance hat, und dir damit auch keine verlaufene Seele etwas antun könnte.“

      Sie hoffte inständig, das würde Marie genügend beruhigen. Mit Erleichterung stellte sie fest, dass das Gesicht des Mädchens bei diesen Worten tatsächlich einen beruhigteren Ausdruck annahm.

      ...4...

      „Warum bist du nicht mehr mit Martin verheiratet?“

      Die Frage kam etwas überraschend für Catharina.

      Und dann auch wieder irgendwie nicht, denn Martin war gerade zu Besuch gewesen, und Marie und Catharina hatten einen gemütlichen Kuchen- und Kakaonachmittag mit ihm verbracht, ein seltenes Vorkommnis dank Martins vollem Terminkalender. Inzwischen waren sie aus dem Wohnzimmer wieder in die Küche um­gezogen, und Marie hatte angefangen, ein Bild einer Wiesen­land­schaft zu malen, während Catharina das Geschirr in die Spülmaschine räumte.

      „Es hat für uns beide nicht mehr gepasst.“

      „Und bist du noch sehr traurig deswegen?“

      „Nein, gar nicht, ich denke, dass es uns beiden sehr gut so geht.“

      „Habt ihr euch viel gestritten, als ihr ein Ehepaar wart?“

      „Überhaupt nicht, wir haben uns prächtig verstanden.“

      „Und warum seid ihr dann nicht mehr verheiratet?“

      Weil wir nie wirklich verheiratet waren, schoss es Catharina durch den Kopf.

      „Weil es, wie gesagt, irgendwann einfach nicht mehr gepasst hat.“

      „Und warum habt ihr vorher keine Kinder zusammen gekriegt? Mag Martin keine Kinder?“ Die letzte Frage klang etwas zag­hafter.

      „Doch, Martin mag Kinder auch gern. Aber er wollte nie Vater sein.“

      Das stimmte sogar. Und es stimmte auch, dass sie eine Zeit lang tatsächlich überlegt hatte, ob sie mit Martin zusammen nicht doch ein Kind zeugen könnte.

      Alles stimmte. Auch, dass sie sich quasi nie gestritten hatten. Genau wie, dass es irgendwann nicht mehr passte. Weil sie beide reifer wurden und irgendwann verstanden, dass sie es zwar wirk­lich gut miteinander hatten und den Schein nach außen ganz schmerz­frei wahrten, dass das aber nicht genug war, um eine Ehe aufrecht zu erhalten, die keine war.

      Erst recht nicht, als Martin schließlich jemanden kennenlernte und es da auf einmal eine Person gab, die nicht nur die Rolle einer Affäre spielte, sondern sich als Martins große Liebe entpuppen sollte.

      „Mama und Papa haben ganz viel gestritten, als sie noch verheiratet waren, sagt Mama. Und jetzt streiten sie immer noch manch­mal. Vor allem, wenn Papa findet, dass ich zu viel Zeit alleine bin. Oder bei dir.“

      „Ja, Marie, es gibt sehr viele Paare, die ziemlich viel streiten. Leider. Und es ist scheußlich, wenn Kinder das mit­bekommen.“ So wie ich bei meinen Eltern.

      „Aber das heißt nicht, dass einen die Eltern nicht mehr lieben. Ich bin mir ganz sicher, dass dich sowohl deine Mama als auch dein Papa sehr, sehr doll lieben.“

      „Ja, schon. Mama liebt mich, glaub ich, schon. Aber Papa hat doch eine neue Familie. Und die brauchen ganz schön viel von seiner Liebe auf.“ „Und ganz schön viel von seinem Geld“, schob sie hinterher.

      „Dass die neue Familie deines Papas durchaus Geld braucht, glaube ich. Aber ich bin mir ganz sicher, dass sie seine Liebe nicht aufbrauchen. Im Gegenteil, meine Süße, weißt du, mit der Liebe ist es ganz wundervoll: Je mehr man davon verschenkt, desto mehr hat man davon. Wenn also dein Papa seiner neuen Familie Liebe schenkt, dann hat er deswegen nicht weniger Liebe in seinem Herzen, sondern mehr – und damit letztlich auch mehr Liebe für dich.“

      „Vielleicht. Aber Zeit hat er fast gar keine mehr für mich. Und wenn, dann sind seine neuen Kinder immer mit dabei.“ Bei diesen Worten hatte Maries Stimme einen beinahe trotzigen Unterton angenommen.

      „Ja, das kann ich mir vorstellen, dass das schwierig für dich ist, Marie. Vor allem, weil dein Papa dir, als du ganz klein warst, ja fast alleine gehört hat.“

      „Und warum hat es bei euch nicht mehr gepasst?“ Maries Stimme war kaum zu hören.

      Catharina wusste nicht, was sie sagen sollte. Sie mochte Marie sehr und liebte diese Nachmittage, die sie miteinander ver­brachten. Und oft vergaß sie tatsächlich, dass Marie erst neun Jahre alt war, so sehr genoss sie meist ihre Unterhaltungen.

      Dennoch war Marie ein Kind. Ein sehr kluges Kind, aber doch ein Kind.

      Und die Geschichte mit Martin war kompliziert, sogar für Erwachsene.

      Als sie Mariella damals, vor dreizehn Jahren, belogen und betrogen hatte, war Martin ihre Anlaufstelle. Ihr bester Freund war er schon seit Jugendtagen gewesen, und er hatte ihr fürch­ter­lich gefehlt, als sie und Mariella sich näher gekommen waren. In dieser Zeit hatte er ein Jahr als Gast­dozent an einer renommierten Uni in den Vereinigten Staaten verbracht. Als er zurückkam, war Catharina die rettende Idee gekommen, wie sie Mariella doch noch dazu bewegen konnte, das Stipendium für die Londoner Law School anzunehmen. Voraus­gesetzt, die Idee war rettend gewesen und nicht die fatalste Fehlentscheidung, die sie in ihrem Leben je getroffen hatte.

      In der Zeit nach der Trennung hatte ihr Martins Nähe Trost geschenkt. Obwohl sie ihm nicht von Mariella erzählt hatte, zumindest nicht die ganze Geschichte, hatte er gespürt, dass es ihr nicht gut ging, hatte wohl auch geahnt, dass sie an einer Art Liebes­kummer litt, aber er war nie weiter in sie gedrungen. Das liebte sie so sehr an ihm, seine einfühlsame, aber gleichzeitig zurück­haltende Art, die es ihr leicht machte, sich bei ihm geborgen zu fühlen und Nähe zuzulassen, ohne befürchten zu müssen, dass ihrem geschundenen Herzen noch mehr Schmerz zugefügt würde. Nein, Martin würde sie nie verletzen, zumindest nicht absichtlich. Sie liebte ihn auf eine unaufgeregte Art und Weise, wie man eben nur einen guten Freund oder Bruder liebt.

      Die Entscheidung zu heiraten war nicht plötzlich geboren worden, son­dern nach und nach gereift. Ursprünglich war es die leicht ver­rückte Idee zweier bester Schulfreunde gewesen. Kennengelernt hatten sie sich schon in der weiterführenden Schule. Er, der gut aus­sehende Sohn eines ebenso erfolgreichen wie bekannten Berliner Rechtsanwalts mit eigener Kanzlei. Sie, das über­durch­schnitt­lich intelligente Mauer­blümchen, das sich mit Jungs in der Schule immer etwas unbeholfen angestellt hatte – wenngleich nicht un­behol­fener als mit Mädchen. Die Mitschüler hatten sich über diese un­gleiche Paarung gewundert, viele der Mädchen waren eifer­süchtig gewesen, die meisten Jungs hatten nur den Kopf über Martin geschüttelt.

      Martin und sie hingegen hatten