Gabriele Plate

Edda – oder der faule Apfel im Zwischenraum


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gehorchte, eine Verweigerung jeglicher Order ihres Mannes, hätte einem heimtückischen Wunsch zur Ehescheidung entsprochen.

      Eine größere Ladung Fenster war geliefert worden. Vater hatte ungeduldig auf diese Sonderanfertigung gewartet. Natürlich duldete er kein einziges Standartmaß in seinem Haus. In vorderster Reihe, der zwei Dutzend Fenster, standen drei kleinere, schmale, längliche. Diese waren Vaters spezieller Einfall, sein stolzes Design. Sie waren für das Elternbadezimmer als Eckfenster geplant.

      Edda hätte genau solch ein Fenster dringend gebraucht. Für ihre Baumbude. Damit wäre sie dort oben wunderbar vor dem Wind geschützt, und sie hätte trotzdem noch die großartige Aussicht. Also holte sie die Sackkarre und ein dickes Seil. Es waren so viele Fenster, es würde bestimmt nicht auffallen wenn eins fehlte.

      Sie hievte den Fensterrahmen mit seinem eingebauten Glas auf die Karre und zurrte ihre Beute fest. Dann dachte sie, eigentlich wären zwei Fenster besser, sie könnte sie nebeneinander waagerecht anbringen, so wäre die gesamte Front geschützt. Also knotete sie das nächste Fenster dazu. Als sie gerade losziehen wollte, befand sie, dass das einzig übriggebliebene der kleinen Fenster zu auffällig unter den anderen großen war. Es wurde dazugebunden. Nun war ihre Kraft dieser drei Fensterfracht nicht ganz gewachsen. Sie schob und zerrte, zog und klemmte und war schon mit ihrer Fracht an dem hinteren Teil des Grundstücks angelangt. Es waren nur noch einige Stufen zu überwinden, danach wollte sie ihr Diebesgut verstecken und einzeln zu ihrem Baum transportieren, um es dann, so wie alles andere, was sich in diesem Nest befand, von oben hochzuziehen.

      Sie ächzte schwer, verlor den Halt, die Sackkarre überschlug sich und hoppelte mit großem Geklirr und Gepolter die fünf Stufen hinunter. Es waren nicht nur die Scheiben zerdeppert, auch die Holzrahmen waren schwer beschädigt. Edda hatte die Knie aufgeschlagen und tiefe Schnittwunden an den Unterarmen. Alles wurde desinfiziert und danach bekam sie eine mittlere Tracht Prügel. Vater hatte den Lärm gehört und war hinzugeeilt. Sie war mehr erschrocken darüber, dass er plötzlich vor ihr stand, als dass sie den Schmerz der Strafe spürte. Sie hatte sich doch vorher vergewissert, dass sein Auto nicht da war. Wo kam er plötzlich her?

      „Sein Wagen ist in der Werkstatt“, sagte einer der Arbeiter mit Bierfahne grinsend, als er Eddas erstaunten Blick bemerkte.

      Vater war ein Hau-Ruck-Mensch. Wenn es etwas zu erledigen gab, selbst wenn es Zweifel aufwarf, stützte er sich auf die Tat und führte sein Vorhaben mit energischen Schlägen durch. Als wollte er sich und der Welt beweisen, dass man nur mit sofortigen Entscheidungen zum Ziel kommt. Weiterkommen, nannte er das. Mit eventuellen Fehlern konnte man sich später befassen. Erst einmal handeln, war seine Devise. Als säße der Teufel persönlich hinter ihm, mit der Drohung, sofort oder gar nicht.

      Schon als junger Offiziersanwärter hatte er außergewöhnlich schnelle Entschlusskraft bewiesen. Er hatte Eddas Mutter nach wenigen Minuten des Kennenlernens, genauer gesagt nach einem halben Walzer, auf einer Wohltätigkeitsveranstaltung in der Weihnachtszeit, einen Heiratsantrag gemacht. Er stand mit seinen Kameraden auf der Bühne und brillierte. Sie gaben in der Gruppe irgendetwas zum Besten, wobei er die Gelegenheit hatte sich besonders hervorzuheben. Tosender Beifall, besonders der reichlich anwesenden jungen Damen. Sie fiel ihm in der Roben-Menge sofort auf. Sie bewegte sich mit der eleganten Selbstverständlichkeit jener Menschen, die im erhabenen Luxus aufgewachsen, gesund und schön sind.

      Er schielte von der Bühne hinunter zu der attraktiven, jungen Frau und hatte nach der Vorstellung, in wenigen Minuten Erkundigungen über sie eingeholt. Es gab Leute im Saal, die sich für derartige Informationen bezahlen ließen. Er verliebte sich augenblicklich in sie und in ihr zu erwartendes Erbe. Vater legte sich ins Zeug. Auf solche Männer war sie in ihrer aufwendigen Erziehung nicht vorbereitet worden, sie fand ihn schneidig, mit-und hin-reißend. Der Schirm seiner Uniformmütze schwebte in Nasenwurzelhöhe über seinem Blick. Er sah sie darunter mit hoch erhobenem Kinn forsch und erobernd an, klemmte diese Kappe galant unter den Arm und bat sie um einen Tanz. Er war ein fabelhafter Tänzer. Nach Beendigung dieses schwebenden Vergnügens wusste sie um seine Liebe zu ihr.

      Sie war mit einem braven Cousin zweiten Grades verlobt, das Vermögen sollte in der Familie bleiben. Was der schnittige Tänzer in Uniform nicht wusste, es gab eine Klausel im Testament ihres früh verstorbenen Vaters. Das Töchterlein sollte, falls sie nicht standesgemäß heiratete, enterbt werden. Damit gedachte der Verstorbene sein Kind vor Erbschleichern zu bewahren.

      Standesgemäß, zu dieser Einschätzung war der ältere Bruder ihres verstorbenen Papas auserwählt worden, ihr gesetzlicher Vormund. Sie war als junge Vollwaise in die Familie dieses Onkels aufgenommen und wie eine geliebte Tochter behütet worden. Dieser Onkel hatte auch ihren Vetter als geeigneten Verlobten vorgeschlagen. Vater hatte nun diese behütete Waise, mir nichts dir nichts entjungfert. Das hatte dieser Schlapp-Schwanz von Vetter natürlich erst für die Hochzeitsnacht geplant. Als die Einwilligung, diesen jungen Wilden zu ehelichen, nicht erfolgte, entführte der wilde Nicht-Akademiker kurzerhand seine Auserwählte. Mutter ließ sich begeistert entführen, endlich kam Spannung in ihr Leben und so sollte es auch bleiben. Ihr wurde sofort ein Pflichtteil des Erbes ausgezahlt, der erheblich höher war als Vaters gesamte Seemannssippe in einem halben Jahrhundert hätte anschaffen können. Sie schenkte ihm zur Verlobung einen BMW Cabriolet. Er setzte sich einige Stunden in den Zug und holte freudig das Auto vom Werk ab. Ein Modell, das zu jener Zeit erst ein halbes Dutzend Mal auf deutschen Straßen zirkulierte. Vater war sehr stolz darauf, und er blieb drei Tage länger als nötig von seiner frisch Verlobten fern, um dieses Geschenk mit einer Ex-Freundin gebührlich zu feiern. Er konnte atemberaubend spontan sein.

      Sie heirateten und lebten in einem ihm unbekannten Saus und Braus. Sie hatte kein Empfinden für Geld, es hatte noch nie gefehlt und war zum Ausgeben da. Sie beschenkte seine Familie großzügig, ließ sie aus Paris einkleiden, und man hatte keinerlei Bedenken verschlissene Wollmäntel mit edlen Pelzen zu vertauschen. Sie kaufte Möbel und erfüllte sogar den Wunsch ihrer Schwiegermutter nach einem Piano. Das geschah zu einer Zeit, als man an hohlwangigen Nachbarn schon erkannte, dass der Hunger kein Fremder war.

      Mutter verteilte aus vollen Händen und das war gut so, denn es dauerte nicht mehr lange, da war ihr Haufen Papiergeld nur noch Papier. Die Inflation machte sie zu einer beinahe mittellosen Frau. Beinahe, denn sie besaß wertvollen Familienschmuck, den man ihr hatte aushändigen müssen, da er ihr schon vor der Heirat gehört hatte. Eddas Mutter bewegte sich ihr Leben lang weiterhin so, als wäre sie noch die wohlhabende Frau der Vergangenheit. Besonders selbstsicher und erfolgreich konnte sie sich bei den Bankdirektoren um Kreditbewilligungen bemühen, um die schwindelerregenden Projekte ihres Mannes zu ermöglichen. In seinen Händen aber war sie willenlos, und ebenfalls konnte sie keinen Wunsch eines ihrer Kinder abschlagen. Solange es in ihrer Möglichkeit stand, erfüllte sie die Wünsche ihrer Brut. Dann machte sie oft scheinbar Unmögliches möglich. Sie unterschrieb auch Verträge oder Verantwortungen, unbesehen, wenn ihr Ehemann es anordnete.

      Zwei Polizisten samt Gerichtsvollzieher bollerten eines Tages an die Haustür, um sie zu verhaften. Das kam nicht überraschend. Mutter lachte, Edda heulte. Die Geschwister waren in der Schule. Die Verhaftete zog sich ihren alten Edel-Pelz über, der inzwischen wieder modern war und schritt plaudernd mit den Ordnungshütern davon. Der Gerichtsvollzieher war mit der Zeit ein wohlgesonnener Vertrauter geworden.

      Vater hatte Heizöl aus dem Tank unter Eddas Zimmer entnommen, nicht nur einmal. Für diese Aktion wurde ein Lastwagen unterhalb der Einfahrt zum Grundstück geparkt. Das Ende eines langen Schlauches wurde im höher gelegenen Haus in den Heizöltank gesteckt. Breitbeinig stand Vater dann auf der Ladefläche des Lastwagens, vor leeren, dort gelagerten Zweihundertliterfässern und sog am anderen Schlauchende. Edda war neugierig, sie wollte auch mal saugen. Sie nuckelte vorsichtig.

      „Heftig saugen, nicht nachlassen, schneller, fester“, waren die Kommandos ihres Vaters. Irgendwann hatte sie den Dreck im Mund. Ekelhaft. Edda wurde diesen Dieselgeschmack tagelang nicht los. Mutter schimpfte.

      „Sie soll endlich kapieren, dass man nicht Allem und Jedem vertrauen darf“, meinte Vater.

      „Wem soll sie denn vertrauen, wenn nicht dir“, war Mutters empörte Antwort. Es kam sehr selten vor, dass sie ihm offen widersprach.

      Er