Tom Hochberger

Art-City


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sodass dieser eine halbe Umdrehung verrichtete. Er schaute durch das große Glasfenster direkt auf die Innenstadt von Art-City. Sein Blick schweifte zwischen den riesigen, hochmodernen Bauten umher. Direkt unter seinem Büro befand sich so etwas wie eine Fußgängerzone, die überspannt war von diagonal verlaufenden Aufzügen, genannt Hoverwalks. Diese Verbindungsgänge zwischen den einzelnen Gebäuden waren komplett aus Glas gebaut. Auch die Beförderungsbänder dieser Transportmittel waren aus einem durchsichtigen Material geschaffen. Aufgrund dieser Bauweise entstand beim Betrachter der Eindruck, dass die Fahrgäste von einem Gebäude zum anderen durch die Luft schweben würden. Art-City hatte noch vieler solcher bizarren Kuriositäten zu bieten. Summer benutzte den Anblick dieses Szenarios als Anregung zur Meditation. Nach wenigen Minuten der Entspannung drückte er auf seiner Multiquantwatch herum. Ein Gerät, welches er am Handgelenk trug und so ziemlich alle rechentechnisch möglichen Vorgänge in einem winzig kleinen Quantencomputer verarbeitete. In diesem Fall benutzte er es als Aufnahmegerät und legte eine neue Datei unter dem Namen „neuer Auftrag“ an. Der kleine Supercomputer war in der Lage, eine virtuelle Projektionsfläche in den Raum zu zaubern, mit der man mittels Gedankenübertragung interagieren konnte. Vorausgesetzt man hatte sich den zugehörigen Chip ins Hirn implantieren lassen. Summer hatte das bisher nicht in Erwägung gezogen und agierte lieber mit althergebrachten Bedienelementen wie der Sprachsteuerung oder den manuellen Bewegungsbefehlen auf der Projektionsfläche, über die man Internet- und GPS-Funktionen empfangen, telefonieren, fotografieren, filmen und noch unzählige andere, rechentechnisch machbare Funktionen ausführen konnte. Dann verließ er sein Büro und machte sich auf den Weg zu Dangler.

      Bruce Garner knurrte der Magen. Es war um die Mittagszeit als er seinen Rundgang durch Statton Vacation, dem östlichen Stadtteil von Art-City, beendet hatte. Die Stadt war in vier Suburbs aufgeteilt. Nord-, Süd-, Ost- und Westbereich rund um den Centralcore. Bruce langweilte sich meist, wenn er in Vacation arbeiten musste, denn nachdem dort seine Firma stationiert war, passierte hier kaum etwas. Hier traute sich niemand auch nur ein Papierkügelchen auf den Boden fallen zu lassen, weil die Sicherheitsbestimmungen hart geworden waren in der Modellstadt. Aber dafür konnte man sich in diesem Teil der 4,5-Millionen-Metropole wunderbar erholen, denn hier befand sich der George-Washington-Park, benannt nach dem 1. Präsidenten der USA. Darin waren die verrücktesten und innovativsten Anlagen untergebracht, die ausschließlich dazu dienten, den menschlichen Akku wieder aufzuladen. Garner interessierte das aber nicht. Er war der Meinung, dass er so etwas nicht brauche. Lediglich wenn er für Statton Vacation eingeteilt war, betrat er dieses Gelände. Auch heute hatte er den Kontrollgang durch den Park schon hinter sich gebracht und wunderte sich, wie man an solch vielen albernen Dingen wie zum Beispiel der Moon-Hall Spaß haben konnte. In diesem riesigen Kuppelbau, der kilometerweit zu sehen war, betrug die Erdanziehungskraft nur 1/6 der gewöhnlichen Gravitationsstärke. Genau wie auf dem Mond. Die Besucher hatten einen Riesenspaß daran, wie aufblasbare Riesengummibälle schwebend durch die Gegend zu hüpfen. Garner fand das albern. Sein knurrender Magen zwang ihn stattdessen dazu, sich in Richtung Red Dot zu bewegen, wo es den besten Lunch gab, den er kannte. Jedem, der die Straße entlanglief, stach die große, knallrote Tür ins Auge und die wenigsten kamen daran vorbei. Die kulinarischen Düfte, die sich einen Weg durch die Ritzen der Tür suchten, sogen jeden Passanten auf magische Weise ins Innere des Lokals. Das Red Dot war kein normales Haus, es war eine große Kugel mit verschiedenen Ebenen. Sie waren verbunden durch Mini-Hoverwalks, die kreuz und quer durch das Gebäude verliefen. Bruce schwebte auf seinen Lieblingsplatz, der sich auf der 3. Etage des Restaurants befand. Das Red Dot war für den bulligen Safeguardian ein Ruhepol, an dem er ausspannen konnte, weil er durch die runde Bauweise und der samtig roten Ausstattung das Gefühl von Geborgenheit verspürte. Er bestellte einmal Bruce-Garner-Special, woraufhin ein etwas verbraucht aussehender, aber durchaus attraktiver Mann ihm das Essen brachte.

      „Hey Bruce, alter Freund. Wie geht´s dir? Schön, dass du wieder mal vorbei schaust. Du siehst so nachdenklich aus, was ist los mit dir? Kann ich dir irgendwie helfen?“

      „Nein, mir gehts gut. Ich hatte nur wahnsinnig Hunger und dachte mir, das ist die Gelegenheit, dich mal wieder zu besuchen. Dein Laden scheint ja ordentlich zu brummen, alles voll mit den verschiedensten Gestalten. Da drüben zum Beispiel, der etwas Untersetzte mit den aufgestylten schwarzen Haaren und dem Nadelstreifenanzug, das krasse Gegenteil zu dem Gast am Nachbartisch, langhaarig, groß und einen etwas herrischem Blick. Läuft da immer alles ruhig bei so viel Unterschiedlichkeit?“

      „Ja, normalerweise schon, und wenn ein Safeguardian von deinem Kaliber anwesend ist, dann sind die Menschen brav wie Lämmer. Aber warum fragst du überhaupt? Du weißt doch am allerbesten darüber Bescheid, was die Ordnung in Art-City betrifft.“

      Gedankenversunken und etwas durcheinander stocherte Bruce in seinem Essen herum, er gab keine Antwort.

      „Hey komm schon, wenn dich nicht mal mein Spezialteller, den ich extra für dich kreiert habe, aufmuntern kann, dann stimmt was nicht mit dir. Rede mit mir!“

      Bruce wusste nicht, was er sagen sollte. Er vertraute niemandem, nicht mal seinem alten Freund Aaron Altinghaus. Aber es verlangte ihn, zu reden.

      „Aaron, hast du es jemals bereut nach Art-City gezogen zu sein?“

      „Nein, wieso auch. Weißt du nicht mehr als wir uns damals gemeinsam auf den Weg machten? Wir lebten auf der Straße und hatten keine Perspektive. Art-City war doch damals genau das, was wir brauchten. Ich glaube kaum, dass wir es anderswo so weit gebracht hätten. Was ist bloß los mit dir, alter Freund?“

      Garner hatte bis dahin die Hälfte seines Gerichts verzehrt, es war eine Mischung aus schönen, großen Gambas, gebratenem Huhn und mediterran zubereitetem Gemüse, angerichtet auf Safranreis. Abgerundet wurde das Mahl mit einer süßsauer und dennoch scharfen, geheimnisvollen Soße. Zu trinken hatte sich Garner Red-Rocket bestellt, das Erfrischungsgetränk des 21. Jahrhunderts. Ein äußerst vitalisierender und schmackhafter Durstlöscher, den Aaron Altinghaus kreiert hatte und den er mittlerweile in die ganze Welt exportierte. Die Zusammensetzung kannte nur der Erfinder selbst und ausschließlich er war es, der die Grundzutaten bei jeder neuen Mischung höchstpersönlich zugab. Das Red Dot war im Grunde nur sein Hobby.

      „Ja du hast Recht, Aaron. Deine Mahlzeiten sind wirklich klasse. Na ja, ich dachte nur, vielleicht hätten wir es ja auch an einem anderen Ort zu etwas gebracht.“

      „Nein, ganz sicher nicht und ich glaube, dass dir das vollkommen klar ist. Irgendwas stimmt doch nicht mit dir, oder?“

      „Nein, mit mir ist alles in Ordnung. Ich wollte mich nur mal wieder mit dir unterhalten. Der Spezialteller war allererste Sahne, was bin ich schuldig?“

      „Willst du mich beleidigen, Mann? Für einen alten Freund wie dich natürlich nichts, aber willst du etwa schon gehen? Komm, ich lass dir noch ´nen Espresso bringen.“

      „Okay.“

      Die beiden Freunde lehnten sich gemütlich zurück, während sie auf ihren Kaffee warteten und amüsiert das multikulturelle Treiben im Lokal beobachteten.

       3

       Cybercarpet*

      Christopher Summer saß indessen wieder in seinem Büro und starrte nach draußen auf die Hoverwalks. Er war sauer, stocksauer sogar. Den Auftrag, den er erhielt, empfand er als Degradierung. Der Reporter sollte eine Studie über die Zufriedenheit der Bevölkerung von Art-City durchführen und hatte dafür ein halbes Jahr Zeit. Pünktlich vor dem 25-jährigen Bestehen am 1.07.2050 sollte die Arbeit publizierfähig an Danglers Account geschickt worden sein. Der Top-Journalist sah sich schon gelangweilt bei diversen elitären Persönlichkeiten sitzen, die ihm von ihrem süßen Leben in Art-City erzählen würden. Oder jenen eingebildeten Freaks, die es nur durch die Modellstadt zu etwas gebracht hatten. Im Gegensatz zur üblichen Bevölkerung lebte Summer noch nicht lange in Art-City. Vor ungefähr einem Jahr hatte er sich für den Posten beim Dailys beworben und somit gleichzeitig auch um eine Wohnmöglichkeit in der Stadt. Im Gegensatz zur Gründerzeit der Millionen-Metropole wurde nur noch aufgenommen, wer eine ganze Reihe von Auflagen erfüllte. Damals bekam