Tom Hochberger

Art-City


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lädst mich heute Abend zum Essen ein und ich verzeihe dir.“

      „Oh, wie großmütig. Okay, ich bin einverstanden. Wo wollen wir uns treffen?“, fragte sie.

      „Ich könnte dich zu Hause abholen“, sagte er.

      „Mir wäre es lieber, wenn wir uns im Zentrum treffen könnten. Wie wäre es dort um 19 Uhr 30?“

      „Ja, geht klar!“

      „Also dann, ich freu mich, schöne Frau!“

       5

       Helens Schicksal

      Zuhause angekommen führte Summer noch einige Recherchen über Noname und den Bodycheck durch, aber er fand nicht mehr heraus, als er sowieso schon wusste. Er fühlte sich ziemlich durcheinander, war sich nicht sicher, ob er sich verliebt hatte oder ob Helen einfach nur rein beruflich für ihn wichtig war. Was aber für ihn feststand, war, dass sie eine bemerkenswerte, interessante und gleichzeitig auch ziemlich durchtriebene Frau war. Im Grunde passte es ihm gerade ganz und gar nicht in den Kram, dass er sich mit Gefühlen für das andere Geschlecht auseinandersetzen musste. Das machte ihn auf eine gewisse Art unfrei, andererseits reizte es ihn aber auch. Er nahm sich vor, die Kontrolle über den heutigen Abend nicht wieder aus der Hand zu geben und notierte sich einige Fragen, die er in das Gespräch mit Helen einfließen lassen wollte. Schließlich musste er auch in Bezug auf seinen Job ein paar Schritte vorwärtskommen. Der Journalist machte sich für den Abend zurecht. In seinem nobel ausgestattetem Badezimmer gönnte er sich ein entspannendes Bad. Eine glatte Rasur und ein männlicher Duft sollten Helen ein wenig beeindrucken. Mit Vorfreude auf sie und den Abend sang er gut gelaunt vor sich hin. Seine Kleidung wählte er je nach Stimmungslage, heute hatte er Lust auf rockig. Eine verschlissen aussehende, hellblaue Jeans und ein legeres Hemd. Darüber warf er sich eine lässig geschnittene Lederjacke. Nachdem er sich seine dunkelblonden, halblangen Haare zurechtgemacht hatte, schlüpfte er in braune Lederstiefel und ließ die Jeans darüber fallen. Bevor er seine Wohnung verließ, schaute er sich noch einmal die Kulisse von Art-City durch seine riesigen Fenster an.

      Buntes Treiben herrschte im Zentrum der Metropole. Es war ein riesiger Platz, auf dem alles zusammenlief. Trotz klirrender Kälte, es war Winter, waren überall Menschen, die verschiedene Darbietungen zeigten. Summer nutzte die verbleibende Zeit, um sich unter einen Pulk von Zuschauern zu mischen. Eine Akrobatengruppe zeigte ihr Können, sie waren gerade dabei, eine menschliche Pyramide zu bauen. Fünf kräftige Männer stellten sich breitbeinig in einer Linie auf. Es folgten vier weitere, die sich auf den Schultern der Unteren positionierten. Sechs athletische Frauen kletterten jetzt über die unteren zwei Linien hinauf und bildeten noch einmal drei Reihen mit jeweils drei, beziehungsweise zwei und zum Schluss einer Person, die die Spitze des Gebildes darstellte. Als Summer das Szenario beobachtete, begann er zu rechnen. Er malte sich aus, dass jede Person im Durchschnitt etwa fünfundsiebzig Kilo wiegen dürfte. Das wären dann für jeden Mann in der untersten Reihe einhundertfünfzig Kilo. Als er mit seinen Berechnungen fertig war, legte sich ganz zart eine wohlriechende Hand auf seine Augen und eine Stimme flüsterte ihm ins Ohr:

      „Je weiter du hinaufkommst, desto akrobatischer musst du sein. Je weiter unten du im Fundament stehst, desto kräftiger. Lass uns essen gehen.“

      Er drehte sich um und blickte in Helens verführerische Augen. So faszinierend diese Frau war, sie konnte in gewisser Weise auch leicht verstörend wirken. War diese Bemerkung so etwas wie eine verschlüsselte Botschaft oder war es einfach nur belangloses Gerede? Ihre Kleidung war schlicht und doch sah sie umwerfend aus. Sie hatte eine enge Jeans, schwarze Stiefel und eine legere Jacke an. Ihre schwarze Haarpracht trug sie offen und leicht gewellt. Sie duftete unwiderstehlich, bemerkte Summer, als er ihr näherkam.

      „Kennst du das `Red Dot´?“, fragte sie.

      „Nein, aber du wirst es mir bestimmt gleich zeigen.“

      „Okay, du Riese. Mir nach.“

      Helen war zwar mit ihren 1,75m auch nicht gerade klein, aber Summer überragte sie doch noch um einiges. Sie nahmen die Vacationline und stiegen bei Exit-number 17 aus.

      „Wie lange lebst du eigentlich schon hier?“

      Helen beobachtete ihn unentwegt, während er die Speisekarte studierte.

      „Seit etwa einem Jahr, und du?“

      „Oh, ich bin schon seit ungefähr zwanzig Jahren hier.“

      „Das heißt, du bist gemeinsam mit dieser Stadt groß geworden?“

      Helen und Summer hatten sich auf der 3. Ebene niedergelassen, von wo aus die beiden einen einwandfreien Blick auf die Bühne hatten. Im Red Dot konnte man fast jeden Abend eine Live-Band sehen. An diesem Tag spielten die „Intermediate Heroes“. Ihre Musik war gleichermaßen faszinierend wie gewöhnungsbedürftig. Ein groovender Mix aus digitalem Computersound, klassischen Einflüssen und rockigen Elementen. Bei längerem Hinhören geriet man regelrecht in einen Sog, dem man sich nicht mehr entziehen konnte.

      „Kannst du mir etwas empfehlen?“

      „Kommt drauf an, auf was du stehst. Magst du´s lieber gewöhnlich oder eher exotisch?“

      Helen legte dabei ihren Kopf leicht schräg, blickte ihm direkt in die Augen und lächelte verwegen. Summer erwiderte ihren Blick und sagte:

      „Ich liebe es, das Unbekannte zu erforschen, deswegen wähle ich exotisch!“

      „Gut, dann empfehle ich dir Red Surprise.“

      „Hört sich vielversprechend an, und was nimmst du?“

      „Ich nehme Seafruits.“

      „Oh, eine Meeresfruchtliebhaberin.“

      Eine attraktive blonde Frau mittleren Alters näherte sich ihrem Tisch, um die Bestellung aufzunehmen.

      „Guten Abend haben Sie schon ausgesucht?“

      „Ja, die Dame bekommt einmal Seafruits, ich nehme Red Surprise, dazu eine Flasche trockenen Roten und einen Krug mit Wasser bitte.“

      „Sind Sie sicher, dass Sie Red Surprise nehmen?“

      Summer legte seinen Kopf zur Seite und schaute die Frau einen kurzen Moment fragend an, sagte dann aber mit Bestimmtheit einfach ja. Die Bedienung nickte und lächelte freundlich. Summer wandte sich wieder Helen zu.

      „Erzähl mal, wie kamst du nach Art-City?“

      Helens Miene verdunkelte sich etwas und sie zögerte.

      „Es geschah im Jahr 2030. Ich war damals 16 Jahre alt, meine Eltern sind in den Urlaub geflogen und ich blieb zum ersten Mal zu Hause. Zwei Wochen wollten sie wegbleiben, doch sie kamen nie wieder.“

      Helen stockte und senkte leicht ihren Kopf, sie schaute ihrem Gegenüber jetzt nicht mehr in die Augen. Summer berührte sie mit dem Zeigefinger an ihrem Kinn und hob ihren Kopf behutsam an, bis sich ihre Blicke wieder trafen.

      „Du kannst mir vertrauen. Was ist passiert?“, sagte er ruhig, aber bestimmt.

      „Sie flogen an einem Samstag. Das Ziel war Hawaii, dort wollten sie schon immer mal hin. Sie freuten sich wie kleine Kinder auf diese Reise. Ich verstand mich sehr gut mit meinen Eltern, an ihrem Abreisetag hatte ich Geburtstag und wollte eine große Party feiern, und das tat ich dann auch. Ich wünschte mir eine Feier ohne Eltern, nur mit meinen Freunden. So als eine Art Abnabelung, verstehst du? Kaum waren sie aus dem Haus, kamen auch schon die ersten Gäste. Die Party sollte ein richtiger Kracher werden, meine Eltern drückten mir einen Batzen Geld in die Hand und sagten: „Gestalte deine Party so, wie es dir gefällt.“

      Das Geld, das sie mir gaben, reichte sogar für eine Band. Sie spielte draußen im Garten. Ich hatte für alles gesorgt, was man für eine tolle Party brauchte. Es lief alles nach Plan, so wie ich es mir gewünscht hatte, bis auf einmal so gegen