Tom Hochberger

Art-City


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alle schon recht angeheitert und amüsierten uns gut. Keiner von uns hatte Bock auf Stress, also ließen wir sie machen. Sie nahmen sich alkoholische Getränke, soviel sie tragen konnten, belagerten das Wohnzimmer und warfen die Glotze an. Sie zappten die ganze Zeit hin und her und machten sich über alles lustig.“

      Mit einem lockeren Hüftschwung und einem Tablett in den Händen näherte sich die Bedienung ihrem Tisch. Zuerst servierte sie Helens Gericht mit den Meeresfrüchten. Dann bediente sie Summer und zog ein Streichholz hervor. Helen und die Bedienung hatten ein listiges Grinsen auf den Lippen.

      „Überraschung“, sagte die hübsche Blonde mit einem schwingenden Unterton. Als sie ein Streichholz anzündete und an Summers Teller hielt, zischte es kurz. Eine heftige Stichflamme loderte hoch und orangerot auf, woraufhin der Journalist etwas blass um die Nase wurde. Die Bedienung wünschte einen guten Appetit und entfernte sich. Der Name des Gerichts hatte gehalten, was er versprochen hatte, Summer war überrascht und schaute Helen in die Augen. Sie konnte sich ein leichtes Grinsen nicht verkneifen.

      „Freut mich für dich, dass du deinen Spaß hast“, sagte er und meinte es ernst.

      Ihr Blick wurde aber kurz darauf wieder traurig und nachdenklich.

      Summer bemerkte es und fragte: „Okay, und was geschah dann?“

      „Als ich das Wohnzimmer betrat, lief gerade ein Nachrichtensender. Dort berichteten sie von einem Flugzeugabsturz nahe Hawaii, eine Maschine war in einen Sturm geraten und ins Meer gestürzt. Niemand der Insassen hatte das Unglück überlebt. Panische Angst überkam mich, ich befürchtete sofort, dass es das Flugzeug war, mit dem meine Eltern unterwegs waren. Aber ich hämmerte mir wie eine Irre ein, dass so viele Maschinen durch die Gegend flogen und es sei bestimmt eine andere gewesen. Ich begann mit mir selbst zu diskutieren, versuchte mich selbst zu beruhigen. Ich beschwichtigte meine Vermutung immer wieder mit dem Argument, dass doch Hunderte von Flugzeugen unterwegs waren und sicher auch in der Nähe von Hawaii umher flogen. Die Gedanken machten mit mir plötzlich, was sie wollten, wie in einer Achterbahn schleuderten sie meinen Verstand hin und her, rauf und runter.“

      Summer blickte Helen in die Augen, fühlte mit ihr mit und bewegte sich nicht. Vor ihm stand der Teller, dessen Inhalt geformt war wie ein Drache, der Feuer spuckt. Der Leib bestand aus einem Steak, der Hals aus Garnelen, der Kopf und der Schwanz aus verschiedenen Früchten, die Beine aus Gemüse und rundherum war die Speise mit Reis verziert. Durchsetzt war das Ganze mit einer orange bis feurig roten Soße. Die Band spielte immer noch im Hintergrund. Summer fühlte sich, als ob er durch ein imaginäres Loch in eine surreale Welt gesogen worden wäre. Ihm war natürlich klar, wie die Geschichte weitergehen würde, er sah sein Essen vor sich und traute sich in Anbetracht Helens Erzählung nicht, es anzurühren.

      „Später bestätigte sich meine Befürchtung, es war tatsächlich die Maschine, in der meine Eltern saßen.“

      Chris schaute sie an und sagte:

      „Das tut mir wirklich sehr leid für dich!“

      Sie erwiderte nichts, doch sie konnte fühlen, dass er es ernst meinte. Sie fühlte sich geborgen. Nach einer kurzen Pause sagte sie:

      „Essen wir, bevor es kalt wird.“

      Der Journalist erlegte seinen Drachen, indem er ihm Messer und Gabel in den Leib rammte. Gespannt führte er ein Stück zum Mund und begann zu kauen. Der Geschmack war unbeschreiblich gut. Er zerlegte das Tier in alle Einzelteile und wunderte sich etwas über die vielen Früchte, die dabei waren. Aus den Augenwinkeln sah er, dass Helen grinste. Noch während er sich fragte, was das nun wieder zu bedeuten hatte, wurde ihm heiß und das Wasser drückte sich durch alle seine Poren. Seine Augen tränten und seine Nase lief. Er öffnete den Mund so weit er konnte und rang nach Luft. Hastig ergriff er den Krug mit purem Wasser, der vor ihm stand, schenkte sich ein Glas nach dem anderen ein und leerte es jeweils in einem Zug. Dann wedelte er mit der Hand herum, so als ob er das Feuer löschen wollte, das sich in seinem Mund entfacht hatte. Helen konnte es sich nicht verkneifen, sie prustete vor Lachen. Als sich beide wieder gefangen hatten, schaute Helen ihn an und sagte:

      „Die Zunge, die aus Leidenschaft brennt, um Funken der Wahrheit zu versprühen sucht der Törichte zu löschen, weil er es nicht ertragen kann, der Weise jedoch wird sich daran laben, wie der Singvogel an der Morgenstunde, die ihn zum Leben erweckt. Zitat Gerome T. Christian. Du musst die Früchte und das andere abwechselnd essen, dann ist es nicht so scharf.“

      „Das hättest du mir auch früher sagen können.“

      „Stimmt, aber dann hätte ich nichts zu lachen gehabt.“

      „Wirklich sehr witzig, ha ha.“

      Summer bemerkte, dass er Gefühle für sie hatte. Er mochte ihren Esprit versprühenden Charme. Gedanken machte er sich allerdings schon. Was war das für eine Frau und welche Geheimnisse barg sie in sich? Er kannte sie erst seit einem halben Tag und doch schien sie sein Leben bereits ziemlich intensiv zu beeinflussen. Warum redete sie so seltsames Zeug? Zuerst heute Morgen dieser Kampf mit Noname, dann der simulierte Sturm im Bad und jetzt dieses Zitat. Hatte das etwas zu bedeuten?

      „Schmeckt es dir wenigstens?“

      „Ja, das schmeckt unglaublich gut, aber es ist brutal scharf.“

      „Weiß ich.“

      „Willst du deine Geschichte weitererzählen? Es würde mich sehr interessieren.“

      „Ja, klar.“

      Helens Gesichtsausdruck wurde wieder ernst. Sie kaute an einigen Happen, die sie in den Mund geführt hatte, überdurchschnittlich lange, als ob sie versuchte, Zeit zu gewinnen.

      „Ich tat so, als hätte ich nichts gesehen und nichts gehört. Ich trank reichlich Alkoholisches, was aber den Gedankencocktail noch mehr zum Kochen brachte und letztendlich verlor ich die Kontrolle über mich. Ich soff, meine Freunde mit mir mit und die Party eskalierte. Ich schaute wieder ins Wohnzimmer, in dem man die Luft hätte schneiden können. Von den ungeladenen Gästen hatte jeder eine Tüte in der Hand und qualmte die Bude voll. Ich setzte mich zu ihnen und machte kräftig mit. Das ganze Haus begann, sich um mich zu drehen, immer schneller und schneller. Wie von einem wilden Tier gebissen sprang ich wieder auf und versuchte das Haus anzuhalten, aber es drehte sich weiter und weiter. Ich ergriff die Flucht Richtung Garten. Zum Glück waren noch ein paar gute Freunde da, die mich beruhigten. Ihnen war plötzlich klar, dass irgendetwas nicht stimmte, denn dass ich so außer Kontrolle geriet, hatten sie bei mir noch nie erlebt. Sie steckten mich in einen Schlafsack und blieben die ganze Nacht an meiner Seite, bis ich am nächsten Tag irgendwann aufwachte. In Haus und Garten sah es aus wie auf einem Schlachtfeld. Überall lagen Leute herum und schliefen, der Rasen im Garten war gesäumt von leeren Flaschen. Irgendjemand musste mitten in das Equipment der Band gestürzt sein, Schlagzeug und Mikrofone lagen am Boden herum. Als ich einigermaßen bei mir war, fiel mir die Nachrichtensendung wieder ein. Der Gedanke, dass meine Eltern tot waren, traf mich mit der Wucht einer Bombe. Alle meine Hirngespinste in Bezug auf eine Überlebenstheorie verflüchtigten sich auf einen Schlag. Die pure, nackte Angst packte mich. Wie ein aufgescheuchtes Huhn sprang ich durch die Gegend und schluchzte, denn jetzt wusste ich, dass sie tot waren. Was sollte jetzt nur aus mir werden?

      Freunde, die noch da waren, nahmen mich in den Arm, streichelten mich und fragten, was los sei. Ich erzählte es ihnen. Sie versuchten nicht, mich vom Gegenteil zu überzeugen, denn auch sie spürten, dass es die Wahrheit war.“

      Helen machte eine Pause, sie war bedrückt.

      „Na ja, die Geschichte nahm ihren Lauf. Es war tatsächlich die Maschine meiner Eltern. Sie waren tot. Das war der erste Schicksalsschlag. Der zweite war, dass ich dann innerhalb kürzester Zeit mit rein gar nichts mehr da stand. Das Haus gehörte der Bank. Sie waren knallhart. Nachdem ich ja noch nichts verdiente, konnte ich auch keine Raten zahlen. Sie forderten das Haus zurück und schmissen mich raus. Meine Eltern hatten es versäumt, Vorsorge zu betreiben. Mein Vater verdiente ganz gut und wahrscheinlich haben sie geglaubt, dass es einfach immer so weiter geht. Ich meine, kannst du dir vorstellen, wie das ist? Auf einen Schlag