Tom Hochberger

Art-City


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schlug mich irgendwie durch.“

      Summer fühlte mit ihr mit und war sichtlich berührt. Er schaute ihr tief in die Augen, alles um sie herum verlor plötzlich an Bedeutung. Als ob sie in einer Höhle säßen, so kam es ihm vor. Die Musik und das bunte Treiben im Lokal drangen nur noch gedämpft zu ihnen durch.

      „Auf einmal hörte ich dann von Art-City. Von Beginn an war ich fasziniert, das ganze System schien mir nahezu perfekt zu sein. Als mir klar wurde, dass es wieder eine Chance für mich gab, entwickelte ich auch wieder Lebenswillen. Mein Wunsch war, kreativ tätig zu sein und so machte ich mich auf den Weg in die Stadt. Damals war es noch einfacher in Art-City unterzukommen als heute. Wer es bis hinter die Pforten der aufstrebenden Siedlung schaffte, war so gut wie dabei. Ich präsentierte meine Vorstellung dessen, was ich tun wollte. Dafür brauchte ich nur ein Atelier, die nötigen finanziellen Mittel dazu und eine Wohnung. Die Sache mit dem Health-Leader kam übrigens erst sehr viel später. Da ich alle Voraussetzungen erfüllte, wurde ich aufgenommen in der großen Gemeinde Art-Citys. Für mich war das damals die Rettung meines Lebens. Die ganzen Formalitäten gingen ziemlich schnell über die Bühne und innerhalb kürzester Zeit hatte ich alles, was ich brauchte. Jeder, der hier lebt, hat die unglaubliche Chance, aus allem, was einem durch den Kopf geht, etwas zu machen. Der Schlüssel zur Stadt ist die feste Entschlossenheit und der Wille etwas zu tun. Von daher ist ein Florieren der Stadt vorprogrammiert.“ In etwa wusste Summer, wie die Stadt funktionierte, jedoch nicht im Detail. Bei ihm genügte die Stelle beim Dailys, um aufgenommen zu werden. Die Atmosphäre an ihrem Tisch war jetzt wieder etwas gelöster.

      „Kannst du mir das etwas näher erklären?“, fragte Summer.

      „Was soll ich dir näher erklären?“

      „Na ja, das System dieser Stadt“, sagte er.

      „Ach so, ja. Wenn du hier rein willst und beruflich noch nichts vorzuweisen hast, musst du so etwas wie ein Konzept schreiben. Das heißt, du musst erklären, was du vorhast, was du brauchst und was daraus werden soll. Ich wusste damals, dass ich gerne künstlerisch tätig sein wollte. Ich beschrieb ein paar Projekte, die ich im Kopf hatte und was ich dazu bräuchte. Wie gesagt, das bekam ich auch. Ich ließ meiner Phantasie freien Lauf und wickelte ein Kunstprojekt nach dem anderen ab.“

      Während Helen erzählte, schaute sie ihm unentwegt in die Augen, was dazu führte, dass er sich zu ihr hingezogen fühlte, doch tief in ihm wehrte sich etwas gewaltig dagegen.

      „Wie funktioniert das Finanzielle?“

      „Oh, das ist im Grunde ganz einfach. Jeder, der hier auf selbstständiger Basis arbeitet, zahlt einen bestimmten Steuersatz, der proportional zu den Einnahmen steigt. Ein Großteil dieser Steuern fließt einfach den Neuankömmlingen zu. Wie viel das ist, wird von der Verwaltung aufgrund verschiedener Kriterien berechnet. Diese wiederum brauchen davon nichts zurückzuzahlen. Durch die Bereitstellung der nötigen Mittel schaffen fast alle in kürzester Zeit den Durchbruch auf ihrem Gebiet und schon fließen wieder Gelder in die Stadtkasse.“

      „Aha, klingt ja interessant. Aber was ist das Besondere daran? Funktionieren nicht alle Systeme in etwa so?“, fragte Summer.

      „Das Besondere daran ist, dass absolut jeder eine Chance hat, egal welcher Vorbildung. Und weil keiner auch nur einen Dellron zurückzahlen muss, steht niemand unter Erfolgsdruck. Der Erfolg kommt ganz von allein. Das ist das ganze Geheimnis. Aber sag mal, wieso weißt du denn nichts von alldem? Du musst doch auch irgendwie in diese Stadt gekommen sein“, sagte Helen.

      „Bei mir lief das alles ein bisschen anders ab. Ich hatte gehört, dass beim Dailys eine Stelle frei war. Was also lag näher, als mich hier zu bewerben? Meine Referenzen waren sehr gut und so hatte ich keine Probleme, den Posten zu bekommen. Ich suchte mir hier eine Wohnung und schon gings los. Anfangs durfte ich einige Artikel schreiben, bei denen ich mir die Themen selbst aussuchen konnte.“

      Helens Blick verfinsterte sich, als sie ihm zuhörte. Sie wusste bis zu diesem Zeitpunkt nicht, dass er Journalist war. Zwar versuchte sie, ihre Angewidertheit zu verbergen, aber Summer bemerkte ihre Gemütsveränderung.

      „Meine letzte Arbeit wollte ich über die Safeguardians schreiben. Aber mein Chef erteilte mir einen anderen Auftrag.“

      „Aha“, sagte Helen trocken. Mit dem Essen waren sie beide fertig und Summer bezahlte die Rechnung. Er hielt es für weise, so zu tun, als hätte er von Helens Stimmungswandel nichts gemerkt. Er spürte, dass sie für ihn eine wichtige Quelle war, die nicht versiegen durfte.

      „Wie kamst du denn in den Bodycheck, wenn du eigentlich Künstlerin bist?“

      Helen versuchte wieder ihr verführerisches Lächeln aufzusetzen, Summer ließ sich davon aber nicht täuschen.

      „Es ist schon spät. Wie wärs wenn ich dir das ein ander Mal erzähle? Ich möchte so langsam nach Hause.“

      „Okay, einverstanden. Dann lass uns gehen.“

       6

       Die Absoluten

      Bruce Garner war auf dem Weg zur Arbeit, als ihn wieder eine seiner Panikattacken überfiel. Er war nicht mehr derselbe wie damals, als die Stadt noch nach ihren Idealen funktionierte. Wie gewöhnlich fuhr er mit dem Wagen. Von Angst gepeinigt ohrfeigte er sich selbst, schaute in den Rückspiegel und sagte: Reiß dich zusammen. Er versuchte sich zu beruhigen, indem er mit sich selbst redete:

      „Du bist stark, du bist ein Safeguardian.“

      Als er abbog, um in das Parkhaus seiner Firma einzufahren, übersah er einen entgegenkommenden Wagen. Geistesgegenwärtig riss der Fahrer des anderen Fahrzeugs das Steuer herum und trat mit aller Macht auf die Bremse. Das Adrenalin schoss wie ein Blitz durch seinen Körper und er war augenblicklich hellwach. Haarscharf schlingerten die beiden Wagen aneinander vorbei. Scheinbar hatten beide Fahrer die automatische Steuerung abgeschaltet. Garner verschwand im Parkhaus, während der Lenker des anderen Fahrzeugs stehen blieb und sich erst mal sammeln musste. Nach ein paar Sekunden Verschnaufpause fuhr er Garner hinterher. Der parkte seinen Wagen, so als ob nichts gewesen wäre. Als Garner ausstieg, stand Christopher Summer vor ihm. Beide waren etwas erstaunt, als sie sich erkannten.

      „Sie schon wieder. Ich habe Ihnen doch gesagt, dass ich keine Zeit habe für diese blöden Interviews“, sagte Garner.

      Summer kochte innerlich.

      „Sie hätten mich gerade beinahe über den Haufen gefahren. Meinen Sie nicht, dass eine Entschuldigung Ihrerseits fällig wäre?“

      „Ach, Sie waren das, oh das tut mir leid. Ich bin zur Zeit etwas durcheinander. Ist Ihnen etwas passiert?“, fragte der Safeguardian.

      „Nein, Sie können ja sogar freundlich sein, wirklich erstaunlich. Schon seltsam, dass uns das Schicksal auf diese Art wieder zusammenführt.“

      „Ja, seltsam. Aber bitte entschuldigen Sie mich jetzt, ich muss zur Arbeit.“ Garner verschwand im Gebäudeinneren und ließ Summer stehen. Dieser wunderte sich, dass er sich genau an der Stelle wieder fand, an der er vor Kurzem schon einmal gewesen war. Dieses Mal aber unabsichtlich. Nachdenklich fuhr er weiter.

      Bruce Garner indessen blickte in die Kamera, legte gleichzeitig seinen Finger in den Scanner und sagte brav seinen Namen. Mit einem leisen Surren öffnete sich die Tür. Wie an jedem Arbeitstag ging er zu seinem Platz. Der Besprechungsraum war angelegt wie ein kleines Stadion. In der Mitte des Raumes schwebte ein halbkugelförmiges Gebilde, in dem ein kleiner untersetzter Mann stand. Er hatte schlohweißes, halblanges Haar und in der Hand eine Art Zepter. Als sämtliche Safeguardians Platz genommen hatten, erhob er seine Stimme.

      „Vereinigte Guardians, wie an jedem Tag kommen wir heute zusammen, um Besprechung zu halten. Leider haben wir Grund zur Annahme, dass eine Verbindung nach außen besteht. Was das für den Betreffenden zu bedeuten hätte, geehrte Vereinigte, ist Ihnen durchaus bekannt. Das brauche ich hier wohl nicht zu erläutern. In mühevoller