Iris Schneider

Flucht in die Hoffnungslosigkeit


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wartete, aber nichts regte sich von Toni und Elena. Endlich an einem Abend, ein erlösender Anruf.

      „Wir kommen morgen zurück. Kannst du für uns ein paar Sachen einkaufen?“

      Mir fiel nicht nur meine Kinnlade herunter, sondern mir fiel sofort mein gestresstes Portemonnaie ein. Meines Wissens herrschte in diesem gähnende Leere. Da ich aber schon immer ein optimistischer Mensch war, ließ ich mich in dieser hoffenden Weise an jenem Abend eines Besseren belehren. Mich stierte tatsächlich eine halbzerknitterte, grünlich, ansprechende Notreserve aus einem vergessenen, versifften Seitenfach meines Portemonnaie an.

      Brav mein Junge. So schlecht bist du gar nicht, wie dich dein Bruder immer bewertet hat. Nur so kommt man zu lang ersehntem Reichtum.

      Der nächste Anruf des darauf folgenden Tages, war nicht so erfreulich.

      „Ja hallo wir sind`s. Bei uns ist alles dunkel. Der Strom ist abgesperrt.“, heulte mich jammernd mein Handy an.

      „Ich kann für Elena ohne Strom schlecht kochen.“

      „Hattest du den Strom denn bezahlt?“

      „Ist das denn jetzt so WICHTIG?“, kreischte Tonilein mich erbarmungslos an. Wie gereizt sie war. Das sind pure tunesische Nachwirkungen, die sie erst einmal verarbeiten muss. Geduld. Ich brauche jetzt viel Geduld. Ich muss ihnen Ruhe entgegenbringen. Übermittelnde, besonnene Ausstrahlung stärkt jede Unruhe und Rastlosigkeit. Das waren immer Muttchens Wortegewesen. Sie taten mir wirklich gut. Ich dachte an blauen Himmel, Natur und gesunde, unverbrauchte Luft. Ich atmete tief durch und zwang mich zum Nachdenken.

      „Ähäm…ja…“

      Funkstille.

      „Hallo?...Toni?“

      Weg war sie. Ich stierte verdutzt mein tonloses Handy an. Es schien tatsächlich ernst zu sein.

      In Windes Eile packte ich das längste Stromkabel ein, was ich bei mir fand und kaufte dieses Mal flotter in der Laden-Kette Ladidl ein. Mein wohltuender Reichtum verließ mich an diesem Tage wieder. Ich kaufte nicht nur gutgünstig ein, sondern für ausgehungerte Tunesien-Geschädigte, die wahrscheinlich wochenlang nichts mehr zu essen bekommen hatten.

      Besonders für die Kleine. Der Arabien-Brei hat ihr bestimmt nicht gemundet. Wenn überhaupt jemand für die beiden Heimatlosen gekocht hatte.

      Mit unzähligen Einkaufstüten, behangenen an Armen und Schultern, fuhr ich zu den Zweien ins Dorf. Wie schön. Sie waren wieder da. Zukünftige Gemütlichkeit und romantische Atmosphäre, mit Kerzenlicht erwartete mich in nächstliegenden Stunden.

      Wunderbare Zuversicht pur.

      Dann stand ich endlich vor meiner verflossenen Erst-Heimat. Eigentlich war es doch recht nett in diesem Haus gewesen. Ich ließ einen Moment meinen Großeinkauf auf den Boden sinken. Der wundervolle Bach, der am Haus vorbeifloss. Nur bei Regen stank er immer bestialisch. Eine malerische kleine Innenstadt mit Kirche, Sparkasse, einer Gesundheitskasse, Marktständen, einer Eck-Pommes Bude und bequemen Bänke an der Taxistraßenseite, auf denen sich nur zum Abend hin, Betrunkene und andere Süchtige herumwälzten.

      Pustend zog ich meine unzähligen Kilolasten wieder an mich und schleifte sie hechelnd wie ein Husky in die nächste Etage.

      Keuchend klingelte ich an Tonis Wohnungstür.

      „Hallo, du hast aber lange gebraucht. Was hast du denn da alles eingekauft?

      Wir trugen die Tüten in die Küche.

      „So viel kann doch kein Mensch essen.“ Irritiert sah ich mich um.

      Tatsächlich. Der nette Absperrmensch hatte ganze Arbeit geleistet. Sogar am fortgeschrittenen Spät-Nachmittag würde es nur noch gedämpft dunkel sein. Immerhin brauchten sich beide nicht im Stockdüstern durch die Wohnung zu tasten. Dafür spendete großzügig eine flackernde Straßenlaterne von weitem ein paar Lichtstrahlen in die Zimmer. Zum Lesen reichte es allerdings nicht.

      „Da hätte ich ja gleich in Tunesien bleiben können. Da ist es in den Berg-Höhlen ja heller.“

      Nach mehrfachen besänftigenden Beschwichtigungen, kam ich auf eine seltsame Idee.

      Ich legte das Strom-Kabel von einer Kellersteckdose, bis hoch in Tonis Etagen Wohnung und die beiden hatten wenigstens wieder Licht. Wenn auch vom Untergrund des Hauses für einige Zeit gespendet. Diese Möglichkeit, sich etwas Warmes herzurichten, ordneten wir nach damaliger Hinsicht, einer notwendigen Wichtigkeit zu. Und somit einer verständlichen, eigenmächtigen Gesetzesänderung, für etliche Stunden Strom auf Pump. Immerhin war ja ein Fast-Kleinkind vorhanden und das würde die Sache bei einer eventuellen, eingeräumten Straftat sicherlich mindert. Sogar die Nachbarn gingen achtlos an diesem Kabel im Hausflur vorüber und maßen es sicherlich eher einer dringenden Handwerker Einrichtung bei.

      „Bring das mit den Stadtwerken so schnell wie möglich in Ordnung“, riet ich Toni.

      „Da muss ich mir erst noch mal was von Oma leihen.“

      Bei diesen Worten blieb es.

      Inzwischen hatte ich mich in meinem neuen Heim häuslich eingerichtet.

      Mein neues Reich bestand aus einem großen Wohnzimmer mit integrierter Küchenzeile und einer geräumigen Schlafnische für ein ganzes Bett, und einer weiteren, großzügigen Ecke, für einen angrenzenden Computer-Tisch. Hinter einer nächsten Tür war ein Abstellraum. Auch sehr geräumig. Vielleicht sogar als begehbaren Kleiderschrank zu nutzen, wenn man sich Regale oder Aufhänge-Vorrichtungen wegdachte, die ich eigentlich eher gebrauchen konnte. Zusätzlich war ein Bad vorhanden, mit einer Dusche, als Sitzbadewännchen gänzlich unvorstellbar, aber es genügte nur ein halber, galanter Ausstiegsschritt bis hin zum WC. Eine kleine Diele und ein Vorraum fehlten auch nicht. Stolz genoss ich den Blick von meiner Terrasse. Vor mir lag mein verträumtes Dörfchen Ich sah den Berg hinunter. Fernblick Pur, wenn die ersten Blätter von den Bäumen gefallen waren. Hier konnte ich in Ruhe meine kleine Familie empfangen.

      Endlich kamen sie.

      Ich hatte liebevoll den schmalen Wohnzimmertisch gedeckt. Für Toni Tee und für mich meinen, mir

      wohlverdienten Kaffee. Ich öffnete die Tür und wies mit einer generösen Handbewegung in Richtung Stube.

      Langsam schritten beide in mein Gemach.

      „War die andere Wohnung nicht bedeutend größer gewesen?“, war Tonis erste Frage.

      Sah sie nur die Größe oder kommt da noch was, ich meinte wenigstens eine winzige, positive….

      „Also, mir gefällt es recht gut hier“, verteidigte ich mich.

      Plötzlich stürzte sich Elena auf meine Sofakissen und was aus der alten Wohnung durch ihr Herum-Hüpfen davon noch übriggeblieben war.

      „Mein Hüpfsofa…Mamaa, ja…ja…ja.“

      „Elena, ich habe dir dort drüben in der Ecke ein Malbuch hingelegt“, sagte ich ablenkend und zeigte in Richtung Bett-Ecke.

      „Da liegt doch nur ein Stück Teppich“, äußerte sich Toni kühl.

      „Haben die im Kindergarten ja auch nur in einigen Ecken“, berichtigte ich und zeigte auf das Malbuch auf dem Boden.

      „Ich will hierbleiben und hier schlafen bei dem Rolf, Mama.“

      „Wenn du auf dem Teppich in dieser Hütte campieren willst, mein Kind?“

      Toni hatte sich verändert. Sie war nicht mehr die liebliche Frau, die ich am Anfang kennen gelernt hatte. Sie war gereizt, schlecht gelaunt und zänkisch geworden. Dafür hatte ich mich den ganzen Tag abgeschuftet, sogar in manchen Herdecken mit Zahnbürstenkleinarbeit, um mir so etwas sagen zulassen?

      Toni steckte sich eine Zigarette an. Während sie qualmend auf meiner Weitblick-Terrasse stand, ließ ich enttäuscht meinen Kopf hängen und stierte teilnahmslos mit Elena in das neue Bilderbuch.

      „Kannst du mir auch sonen Affen kaufen