Iris Schneider

Flucht in die Hoffnungslosigkeit


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hörte ich nichts mehr von den Beiden. Verzweifelt schickte ich Tina eine SMS. Es dauerte immer eine ganze Weile, bis sie mir antwortete. Keine Antwort, nur eine unheimliche Funkstille.

      Zwischenzeitlich suchte ich für meine Handwerkssachen, die noch in Düsseldorf auf mich warteten, ein neues Lager. Ich bekam einen Hinweis von einem Bekannten. Das, was ich suchte, fand ich sogar in der Nähe, am Fuß der anderen Bergseite. Ich meldete mich bei der zuständigen Adresse und traf eine nette Frau mittleren Alters an. Sie stellte mir für eine geringe Miete ein beheiztes Lager zu Verfügung und sogar mein Bruder half mir beim Umzug meiner Handwerkssachen.

      Ein paar Tage später bekam ich von meiner neuen Lager-Vermieterin einen Anruf, die mir eine sonderbare Frage stellte.

      „Verlegen sie auch Abflussrohre?“

      Einen Moment verharrte ich an meinem Handy.

      „Natürlich verlege ich auch Abflussrohre“, lachte ich.

      Ich machte einen Termin aus und verlegte eine Woche später unter einer großen Hallendecke eines Ateliers, Abflussrohre. Wie lange hatte ich solch eine Arbeit nicht mehr getätigt. Zwei Stunden nach dieser Ausführung durfte ich bei dieser Frau sogar einen Kaffee trinken.

      „Wir führten eine angeregte Unterhaltung und ich bekam endlich Gelegenheit, bei einem netten Menschen endlich mal mein Herz auszuschütten. Ich schüttete und erzählte und merkte nicht, dass ich mich immer mehr in meinen Schmerz um Toni hineinsteigerte.

      „Vielleicht wird ja wieder alles gut werden“, tröstete mich die nette Frau.

      „Ich weiß es selber nicht mehr, aber ich hoffe es, denn ich liebe Toni so sehr. Wenn ich nur die Schränke aufmache und ihre Tasse sehe, kommen mir fast die Tränen.“

      Plötzlich kamen mir tatsächlich die Tränen. Darauf war ich absolut nicht vorbereitet.

      Schweigend legte die Frau ihre Hand auf meine Schulter und strich mir liebevoll über meinen Kopf. Es tat gut und ich ließ es mir gefallen. Ich schluchzte vor mich hin und ich genoss die liebevolle Geste. Wie konnte ich mich nur so gehen lassen. Was soll sie bloß von mir denken. Vielleicht stufte sie mich jetzt als Weich-Ei ein. Aber das bin ich absolut nicht. Das weiß ich genau. Ich fing mich wieder und fragte interessiert:

      „Ich habe ihren Namen vergessen, helfen sie mir bitte.“

      „ Du kannst ruhig Iris zu mir sagen.“

      Kurz und schmerzlos und ein wenig burschikos reichte sie mir ihre Hand.

      Das klang gut und ich fühlte mich sofort erleichtert und aufgehoben. Naja, besser gesagt, eher angekommen.

      „Du wirst wieder auf die Beine kommen, Rolf. Daran glaub mal fest“, sagte Iris zuversichtlich.

      „Du bist ein starker Kerl.“

      Mir fielen sofort meine Einkaufstüten ein, die ich zu Toni in die erste Etage schleppte.

      „Du wirst wieder ein gesundes Selbstvertrauen aufbauen, davon bin ich überzeugt“, sagte sie lächelnd zu mir.

      War ich so durchschaubar und ausgepowert, dass mir jegliches Selbstvertrauen abhandengekommen war. Wie furchtbar. Irgendwie wurde ich schlagartig ruhiger und dann nahm Iris mich spontan in den Arm und brachte mir eine warme Herzlichkeit entgegen.

      „In ein paar Wochen feiern wir hier ein Fest, komm ruhig auch dazu, dann bist du wenigstens mal etwas abgelenkt. Ich gebe dir noch Bescheid.“

      Es wirkte wie ein kleiner Lichtblick, den ich dankbar annahm.

      Mein Gedanken-Caos wirkte offensichtlich ein wenig milder gestimmt.

      „Wenn du in nächster Zeit mal einen Gesprächspartner brauchst, dann gebe nur kurze Rauchzeichen.“

      Toll. Total wirkungsvoll rutschten diese Worte bei mir runter. Wie Öl. Sie legten sich milde auf meine

      gepeinigte Seele.

      Mir war nach allein sein zu Mute. Ich fuhr nachhause.

      Endlich rief Toni an.

      Sie schluchzte herzzerreißend am Telefon und bat mich, ihr keine SMS mehr zu schicken. Ihr Mann hatte wohl meine Nachricht gelesen und sie dann angeblich verprügelt. Anschließend hatte er ihr das Handy in den Mund gesteckt. Ich war empört. Soll er doch selbst sein eigenes Handy fressen.

      „Hoffentlich bleibst du jetzt endlich in Deutschland“, sagte ich aufgeregt.

      Toni versprach mir es dieses Mal und beteuerte es eingehend und dann beendete sie unser Gespräch abrupt.

      Meine Entrüstung darüber, verstärkte sich zusehends und ich hatte in der darauffolgenden Zeit schlaflose Nächte. Meinen Kummer um meine kleine, neu erworbene Familie belief sich ins Grenzenlose.

      Ich konnte einfach an nichts anderes mehr denken. Vor lauter Unruhe suchte ich am nächsten Tag Tonis Großmutter auf.

      Ich mochte diese betagte Dame und ich hatte das Gefühl, das sie mich ebenfalls mochte. Sie hatte bei Gesprächen einfache, durchschaubare Argumente und war in ihrem hohen Alter eine Dame mit präzisen Ansichten.

      „Ach Rolf, das geht doch schon so lange, und Toni wird einfach nicht schlau daraus. Ich habe nur große Sorgen, das Elena darunter leidet. Mit diesem ewigen Hin und Her dieser tausenden Kilometer Entfernung. So etwas ist nichts für ein Kind. Diese stundenlangen Autofahrten und der ewige Stress, den das Kind zwischen den beiden ständig miterlebt. Wie sollte die Kleine denn so etwas auch verstehen? Ich habe immer wieder finanziell geholfen, aber jetzt geht es bald langsam nicht mehr. Ich muss auch an meine andere Enkelin denken. Denn Toni hat das, was ich ihr mal vererben wollte, schon längst aufgebraucht. Ich habe schon so viel Geld darunter geschickt, und es reicht einfach immer noch nicht. Es kommt immer wieder ein neues Problem dazu.

      Die alte Frau stand auf und goss mir Kaffee nach.

      „Hoffentlich wird Toni bald klug werden und denkt mal an ihr Kind. Zwei hat sie doch schon verloren“, sagte sie verzweifelt.

      „Ich mache mir ebenso viel Gedanken wie du auch Rolf, glaube mir ruhig.“

      Ich fuhr nachhause zurück und versuchte mich irgendwie zu beruhigen. Ich dachte über alles nach, besonders darüber, warum Toni sich laufend dieser Herausforderung stellte?

      Unsere Liebe wackelte mittlerweile kräftig, wenn da nicht Elena gewesen wäre. Wie oft wurde die Kleine nachts wach durch ihr eigenes Weinen. Sie hatte Schwierigkeiten, Erlebtes zu verarbeiten. Wie oft tröstete ich sie, trug sie herum, bis sie sich wieder beruhigt hatte. Ich machte ihr ein Glas warme Milch mit Honig. Leise legte ich sie dann wieder in ihr Bett, damit ihre Mama durchschlafen konnte. Lange hielt ich das kleine Händchen fest, damit sie sich geborgen fühlte. Endlich verklang das bewegende Schluchzen der Kleinen immer mehr und mit einem erleichterten, zitternden Aufatmen, gelangte Elena wieder in ihre Traumwelt. Wie oft hatte ich die beiden im Schlaf angesehen. Wie schön sie doch waren. Alles sah so friedlich aus. Alles könnte auch zukünftig so friedlich werden. Mögen die Engel mit ihnen sein. Ich machte das Licht aus.

      KAPITEL 6 Geringe Einsicht

      Frühjahr 2006

      Endlich hatte Toni vor, in Deutschland zu bleiben.

      Endlich waren wir wieder eine kleine Familie. Und endlich erwiderte sie mir ihre Liebe und wir machten weitreichende Pläne. Elena ging täglich in den Kindergarten und kam fröhlich wieder nachhause. Sie erzählte, plapperte über die bunten Wunder im Kinderhort und über ihre aufregenden Diskussionen, die sie mit anderen Kindern geführt hatte. Von einer regen Unterhaltung, zwischen Elena und ihrer Freundin, erzählte mir die Kindergärtnerin, direkt als ich sie abholte.

      „Ich habe aber mehr als du“, sagte die Freundin.

      „Ich habe aber mehr als du“, konterte Elena.

      „Wieso denn?“.

      „Ja,