Andreas Model

Die schönsten Märchen aus Kasachstan


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Khan schwieg und beschaute sich, um seine Verwirrung zu verbergen, das verschnörkelte Teppichmuster. »Liebe Frau, woher hast du diesen kostbaren Teppich?«

      »Allmächtiger Khan, diesen Teppich haben meine Dienerinnen gewebt.« Der Khan krauste die Augenbrauen. »Dienerinnen? Dein Gatte sagte mir, er hätte dich in ärgster Not zurückgelassen. Woher nahmst du das Geld, um Dienerinnen zu halten?«

      »Meine Dienerinnen fordern keinen Lohn, sie erfüllen alle meine Befehle für einen Hirsebrotfladen am Tag.«

      »Das ist unglaublich«, sagte der Khan und verzog misstrauisch das Gesicht. »Mein Gebieter, gleich sollst du meine Dienerinnen mit eigenen Augen sehen, und sie werden meine Worte bestätigen«, sprach die Frau und verschwand hinter der Tür.

      Sie ließ die drei Wesire aus der Grube und flüsterte ihnen zu: »O weh, ein Unglück, mein Mann ist zurückgekehrt! Wenn er euch bei mir sieht, seid ihr verloren. Ich habe euch für eure Dreistigkeit bestraft, euren Tod wünsche ich jedoch nicht. Nehmt diese Rasierklinge und rasiert euch rasch die Barte und Schnurrbärte ab, nehmt meine alten Kleider, zieht euch ohne Zaudern um, und ich bringe euch als meine Freundinnen aus dem Haus.« Die Wesire taten willig alles, was die Frau forderte. Dann befahl sie ihnen, sich an die Hände zu fassen, und führte sie ins Zimmer, wo der Khan thronte, von seinen Leibwächtern umgeben.

      Als die Wesire ihren gestrengen Herrscher vor sich sahen, wurden sie starr vor Schreck, der Khan blickte sie lange verständnislos an und sagte schließlich: »Merkwürdige Dienerinnen! Dem Wuchs und der Gestalt nach Männer, aber in Frauenkleidern. Eure Gesichter scheinen mir bekannt. Wer sind diese Werwölfe?«

      »Das sind jene, die mich bei dir verleumdet haben und meine treue Gattin in den Schmutz zogen«, sagte der Schmied anstelle seiner Frau. »Das ist die Wahrheit, mein Khan.« Da fielen die Wesire vor dem Khan auf die Knie und gestanden ihre Übeltaten.

      Anfangs hörte der Khan ihnen zornentbrannt zu, doch als die Wesire von ihren Abenteuern im Hause des Schmieds erzählten, bebten seine Lippen, die Schultern zuckten, und er lachte so laut, dass der Kumys aus der Schale auf seine Seidentracht spritzte. Der Khan lachte Tränen, dann sprach er: »Schon lange hatte ich keinen so fröhlichen Tag! Mögen diese drei Dummköpfe, die sich von der Frau an der Nase herumführen ließen und die ich einst meine Wesire nannte, von nun an meine Hofnarren sein. Und du, mein guter Meister, begibst dich zusammen mit deiner treuen Frau als mein teurer Gast in die Hauptstadt und ich will dich für deine Dienste und für deine Ehrenhaftigkeit belohnen.«

      Jahre und Jahrhunderte vergingen. Die Gebeine des Khans, der arglistigen Wesire, die zu Hofnarren wurden, und auch jene des Schmieds und seiner schönen Frau sind längst verwest. Der Palast aber, den der kunstfertige Meister erbaute, steht noch immer in seiner vollen Pracht. Alles ist vergänglich. Unvergänglich sind nur die Schöpfungen des menschlichen Geistes und der Menschenhände.

      Der tapfere Esel

      Der Esel war es überdrüssig, Lasten zu tragen, und so sagte er eines Tages zu seinem Gefährten, dem Kamel: »He, Kamel, ich habe es satt, immer nur Lasten zu tragen, mein Rücken ist zerschunden. lass uns ausreißen und nach Herzenslust zu zweit in Freiheit leben.« Das Kamel schwieg, überlegte eine Weile und sagte: »Es stimmt, wir haben einen schlechten Herrn, Futter gibt er uns wenig, Arbeit aber viel. Ich würde ja gern flüchten, nur wie?« Der Esel aber hielt die Antwort schon bereit: »Habe alles überlegt, keine Bange«, sprach er. »Morgen wird uns unser Herr heißen, Salz in die Stadt zu bringen. Zuerst werden wir ihm gehorsam folgen, wenn es aber bergan geht, fallen wir beide auf der Stelle um und tun so, als hätten wir keine Kraft mehr. Wenn uns der Herr beschimpft und mit dem Stock schlägt, bleiben wir trotzdem liegen. Er wird dann müde und nach Hause laufen um Hilfe zu holen. Dann sind wir frei und können laufen, wohin wir wollen, wenn uns die Beine nicht versagen.« Da wurde das Kamel fröhlich: »Das hast du dir gut ausgedacht! So wollen wir es halten!«

      Sie warteten den Morgen ab. Am nächsten Morgen band der Herr die Säcke mit Salz auf und trieb die Tiere in die Stadt. Die Hälfte des Weges gingen sie wie immer: das Kamel voran, der Esel hinterdrein, hinter ihnen der Herr mit dem Stock. Als sie nun bergan liefen, fielen der Esel und das Kamel um und stellten sich kraftlos, taten so, als würden die Beine sie nicht mehr tragen. Der Herr fluchte: »Ach, ihr Biester, faules Gesindel! Sofort aufstehen, sonst setzt es Hiebe!« Die aber rührten kein Ohr, lagen da, als hörten sie nichts. Da wurde der Herr böse und schlug mit dem Stock auf sie ein. Neununddreißig Hiebe versetzte er dem Kamel - es rührte sich nicht. Als er aber zum vierzigsten Hieb ausholte, brüllte das Kamel los und sprang auf. »So so, wird ja Zeit!« sagte der Herr und nahm sich den Esel vor. Er schlug den Esel vierzig Mal, doch der stöhnte nicht, er schlug den Esel fünfzig Mal, der rührte sich noch immer nicht, er schlug den Esel gar sechzig Mal, doch der lag da, wie er gelegen hatte.

      Da merkte der Herr, dass es schlimm um den Esel stand, der würde wohl sein Leben aushauchen. Das war ein großes Unglück, aber was sollte er tun? Er band die Last vom Esel ab, bürdete sie dem Kamel auf und setzte den Weg fort. Das Kamel schleppte sich nun mühsam voran und verfluchte den Esel: »Vermaledeiter Esel, deinetwegen wurde ich geschlagen und muss nun doppelte Last tragen.« Der Esel jedoch wartete, bis der Herr und das Kamel hinter dem Bergpass verschwunden waren. Dann sprang er auf und lief fort, so schnell ihn seine Beine trugen. Er lief drei Tage, lief über drei Berge und durch drei Täler und erreichte schließlich eine große Wiese an einem reißenden Fluss. Dem Esel gefiel die Wiese, hier wollte er bleiben.

      In dieser Gegend herrschte aber schon viele Jahre lang ein mächtiger Tiger. Eines Tages entschloss sich der Tiger, seine Besitztümer in Augenschein zu nehmen. Er machte sich am Morgen auf den Weg und stieß am Mittag auf den Esel. Der Esel spazierte über die Wiese, wedelte mit dem Schwanz und rupfte Gras. Der Tiger dachte: Was ist das für ein Tier? Ein solches kam mir nie unter die Augen. Auch der Esel schaute auf den Tiger und wurde starr vor Schreck. Jetzt ist mein Ende gekommen! dachte er. Doch dann überlegte er: Bevor ich sterbe, zeige ich dem schrecklichen Tier, wie tapfer ich bin. Er stellte den Schwanz hoch, wackelte mit den Ohren, riss das Maul weit auf und brüllte aus voller Eselskehle. Dem Tiger wurde schwarz vor Augen. Er schreckte zurück und rannte, was er konnte, ohne sich umzuschauen.

      Unterwegs begegnete ihm der Wolf. »Vor wem hast du dich so erschrocken, Gebieter?«

      »Vor einem Tier, das schrecklicher als alles auf der Welt: Anstatt Ohren hat es Flügel, die Schnauze ist wie ein riesiger Schlund, und es brüllt so, dass die Erde wackelt und der Himmel zittert.«

      »Halt, halt, bist du nicht vielleicht dem Esel begegnet?« fragte der Wolf. »Bestimmt. Schon gut, morgen holen wir ihn uns mit dem Fangseil.«

      Am nächsten Tag besorgte sich der Wolf ein Fangseil, das eine Ende band er dem Tiger um den Hals, das andere um seinen eigenen, und so trabten sie zur Wiese. Der Wolf voran, der Tiger hinterdrein, stets auf Lauer. Der Esel sah sie von weitem kommen und machte das gleiche: den Schwanz hoch, das Maul auf und brüllte noch lauter als das vorige Mal. Der Tiger zum Wolf: »He, Gefährte, du willst mich wohl diesem Ungeheuer zum Fraß vorsetzen!« Er zerrte aus allen Kräften und riss so dem Wolf den Kopf ab. Atemlos rannte der Tiger nach Hause.

      Da kam eine Elster zu ihm geflogen. Sie plapperte, plauderte und fragte den Tiger nach allem aus, dann sagte sie: »Warte mal, ich fliege auf die Wiese und sehe nach, was dort für ein Tier umherläuft und was es treibt. Ich werde alles genau auskundschaften und dir melden.« Damit flatterte die Elster zur Wiese. Der Esel sah sie von weitem, legte sich hin und streckte wie tot alle Viere von sich. Die Elster spähte herunter und freute sich. Das schreckliche Tier hatte sein Leben ausgehaucht! Nun ließ sie sich auf den Esel nieder, stolzierte auf ihm hin und her und überlegte, was sie dem Tiger von ihrem Sieg über dieses Ungeheuer vorlügen könnte. Da entdeckte sie zu ihrem Unglück in der Erde ein Weizenkorn, zielte schon mit ihrem Schnabel darauf, geriet aber mit dem Kopf dem Esel zwischen die Knie. Da wurde der Esel lebendig. Er klemmte die Elster zwischen seine Beine und schlug mit dem Schwanz auf sie ein, dass die Elsterfedern in alle Winde stoben. Zu guter Letzt versetzte er ihr noch eins mit dem Huf und die Elster rollte an den Rand der Wiese.

      Hier lag sie so lange, bis sie ein wenig