Solveig Kern

Ferens Heimkehr


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nichts ausgesendet, sondern dem König der Könige etwas Energie abzuziehen versucht. Vielleicht wird er endlich müde!“ knurrte Ortrud.

      Sigrun schimpfte genervt dazwischen: „Lasst mich in Ruhe mit Eurem Gezänk. Ich habe keine Ahnung, wer der Mann ist, und es ist mir völlig egal. Einer von Tausend, die ich heute kennen gelernt und sofort wieder vergessen habe. Mir brummt der Schädel und das Gesicht schmerzt vom Lächeln. Ich möchte endlich ins Bett!“

      Der König ließ lange auf sich warten. Ein Thema ergab das nächste. Wenn er debattierte, fand Mauro kein Ende. Inzwischen war Sigrun am Tisch eingeschlafen. Mauro weckte sie mit einem Kuss: „Was für ein wundervoller Abend! Ich weiß, es war ein bisschen anstrengend für Dich – daran gewöhnst Du Dich noch. Soll ich Dich ins Bett tragen?“ Er strich ihr liebevoll eine Strähne aus der Stirn und hob sie vom Stuhl: „Du bist so schön – ich kann es kaum erwarten, Dich in den Armen zu halten!“

      Der Xalmeida-Clan

      Im Stadthaus der Xalmeidas trafen sich alle Clansangehörigen, die Dienst beim König taten, regelmäßig zum Informationsaustausch. Die Xalmeidas hatten durch Mauros Machtübernahme an Einfluss gewonnen. Zu König Curons Zeiten waren sie ein unmaßgeblicher Clan am Rande der Südsteppe. Nun bekleideten sie gleich mehrere wichtige Positionen. Condir Uluk, Garde-Hauptmann Bodir und die beiden Hofdamen Ana und Ildigo sorgten dafür, dass Clanchef Baaluk einer der bestinformierten Männer des Reiches war.

      Eine hohe Präsenz barg allerdings Risiken: wenn ein Clansmitglied versagte, fiel die gesamte Sippe in Ungnade. Also sorgte Fürst Baaluk dafür, dass die exponierten Clansmitglieder von allen anderen Unterstützung bekamen.

      Hauptmann Bodir war ein sympathischer Mitläufer, der kaum aneckte. Von Truppenführung verstand er wenig. Das wusste sein Clanchef und setzte ihn überwiegend als Mittelsmann ein. Bodir durfte die Früchte der hervorragenden Arbeit ernten, die Ildigos Vater Shakir im Hintergrund für ihn leistete.

      Auch Uluk war kein großer Feldherr gewesen, als er den Oberbefehl über die Südtruppen übernahm. Bodirs Vater Balkir, ein erfahrener Heerführer aus König Curons Zeit, sorgte als Mentor dafür, dass sein Schützling keine Fehler machte. Uluks Sieg über die Kojotim und seine Ernennung zum Condir waren das Ergebnis gemeinsamer Anstrengungen des Clans.

      Nun waren auch die beiden jungen Damen Ana und Ildigo in dieses System eingebunden. Sie brachten Informationen und holten sich Unterstützung ab.

      Die Xalmeidas beobachteten mit Sorge Ortruds destruktiven Einfluss auf die junge Eraindi.

      „Ortrud erzeugt ungeheuer viel negative Energie“, klagte Ana. „Sie spinnt die Eraindi darin geradezu ein.“

      „Feren hat mir eine Warnung zukommen lassen“, berichtete Bodir. „Seit Ortrud versuchte, ihre Tentakel nach dem König auszustrecken, lässt er sie nicht mehr aus dem Auge. Er kann Energieströme fließen sehen und beschrieb, was da unterschwellig abläuft.“

      „Was da läuft, kann ich auch beschreiben“, lachte Ildigo. „Ortrud verhält sich so manipulativ, dass einem schlecht werden könnte. Mit ihrem abfälligen Gerede macht sie alles und jeden mies. Sigrun wird mit Vorwürfen und Bedenken vollgestopft, bis jegliche Lebenslust zum Erliegen kommt. Wenn die Eraindi völlig mutlos und am Boden zerstört ist, tut Ortrud so, als würde sie sie wieder aufrichten. Dabei verabreicht sie ihr die nächste Dosis ihres zerstörerischen Giftes.“

      „Wir geben uns Mühe, den Tag der Eraindi abwechslungsreich und kurzweilig zu gestalten“, ereiferte sich Ana. „Dann taucht Ortrud auf und macht unsere Arbeit mit einem einzigen Satz zunichte. Sie zieht der Eraindi systematisch Energie ab.“

      „Will sie einen Keil zwischen Mauro und Sigrun treiben?“ fragte Bodir.

      „Das würde ihr nichts bringen“, überlegte Ildigo „Ich glaube, sie ist von Natur aus boshaft. Sie kann nicht ertragen, dass Sigrun glücklich ist. Dabei hält die Eraindi sie nach wie vor für ihre beste Freundin!“

      „Ortrud ist eine klassische Energie-Räuberin“, meinte Ildigos Vater Shakir. „Sie vermag nicht genügend innere Sicherheit aus ihrem Selbstverständnis zu schöpfen. Um sich komplett zu fühlen, braucht sie Energie von außen. Darum sucht sie Menschen, deren Energie sie rauben kann.“

      „Ich fürchte, es geht nicht nur um Energie-Raub. Letztlich hatte ich das Gefühl, dass Ortrud versucht, den Willen der Eraindi zu unterlaufen und ihr unterschwellige Befehle zu erteilen“, berichtete Ana. „Ich habe ihre Absicht mit einem Störimpuls unterlaufen.“

      „Auf Dauer wird das nicht reichen“, meinte Bodir besorgt. „Ihr könnt nicht immer da sein, wenn Ortrud die Eraindi manipuliert.“

      „Wir müssen den König dazu bringen, dass er Ortrud endgültig fortschickt!“ schlug Ildigo vor.

      „Eure Gegnerin ist nicht Ortrud“, mahnte Shakir. „Sie ist nur die äußere Manifestation des Dämons, den die Eraindi an ihrer Brust nährt. Beseitigen wir sie, tritt jemand anders an ihre Stelle. Die Eraindi kann sich nur selbst befreien.“ Als ihn die jungen Damen fragend ansahen, erläuterte Shakir: „Ich weiß, wovon ich rede. Ich nährte jahrelang den Dämon der Rache an meiner Brust. Er wechselte ständig sein Gesicht. Kaum, dass ich meinte, am Ziel zu sein, begegnete er mir in neuer Gestalt. Beinahe hätte er mich zerstört. Erst als ich den Gedanken an Rache endgültig begrub, fand ich meinen Frieden.“

      „Ihr seid dadurch nicht milder geworden, Vater“, stellte Ildigo fest.

      „Das erscheint Dir so, weil ich Dir keine Nachlässigkeit durchgehen lasse. Eines Tages wirst Du meine Strenge zu schätzen wissen!“ Shakir sah seine Tochter gedankenverloren an. „Es war ein langer Weg, bis ich mein Ego zurücknehmen und in Demut dienen konnte. Was ich gelernt habe, versuche ich Dir zu vermitteln: nimm den Dir zugewiesenen Platz ein. Erfülle ihn mit ganzem Herzen und mit voller Kraft – auch wenn es hart ist. Wenn Du in Einklang mit dem Fluss des Lebens bist, schwimmen eines Tages die Leichen Deiner Feinde an Dir vorbei.“

      „Wie können wir die Eraindi dabei unterstützen, sich selbst zu helfen?“ wollte Ana wissen.

      „Stärkt ihre Abwehrmechanismen“, schlug Shakir vor. „Unterweist die Eraindi ein wenig in Hexerei. Sie kann lernen, Energieströme wahrzunehmen und Schilde aufzubauen. Eines Tages wird sie dem Dämon gegenüberstehen, der ihr die Lebenslust nimmt. Dann muss sie ihn aus eigener Kraft besiegen!“

      Ana und Ildigo begannen vorsichtig, die Eraindi in die Geheimnisse der Zauberei einzuweihen. Sie erklärten ihr, dass die Welt eine Illusion aus fließender Energie war. Jedes Wort und jede Handlung löste einen Energiestrom aus, der irgendwo seinen Niederschlag fand. Energie ging niemals verloren. Jede Erkenntnis, die man sich erarbeitet hatte, blieb in der Chronik des Lebens gespeichert. Damit stand sie allen Menschen zur Verfügung. Jeder einzelne trug die Verantwortung für sein Handeln. Anderen zu schaden produzierte destruktive Energie, die man in den kommenden Leben mühevoll auflösen musste. Ein Zauberer war niemals wehrlos gegen energetische Angriffe. Wenn seine Entschlossenheit stärker war als der feindliche Impuls, so drang die manipulative Intervention des Gegners nicht zu ihm durch. War er schwach und unentschlossen, öffnete er sich für jegliche Art von Einflussnahmen.

      Sigrun hörte sich die Ausführungen und Demonstrationen ihrer Hofdamen interessiert an. Sie experimentierte damit, das Wissen auf ihre Umgebung anzuwenden. Gegen Ortrud konnte die Eraindi allerdings nichts ausrichten. So blieben die Bemühungen ihrer Hofdamen ohne Wirkung. Ana und Ildigo mussten tatenlos zusehen, wie Sigruns Kräfte schwanden.

      Ortrud traktierte auch die beiden mit ihrer Bosheit. Ana und Ildigo jedoch stützten sich gegenseitig. Das Auffangsystem der Xalmeidas ließ nicht zu, dass Ortrud einen Keil zwischen die Mädchen trieb. Mutter Choja räumte sofort alle Zwistigkeiten aus und versorgte die beiden mit frischer Energie.

      Sigrun hingegen mangelte es an Quellen positiver Energie. Das Leben im Palast war eintönig und die Menschen blieben ihr fremd. Ihr Gatte hatte zu wenig Zeit für sie. Sigrun litt an Heimweh. Den halben Tag saß sie regungslos am Fenster und träumte von verschneiten