Solveig Kern

Ferens Heimkehr


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der Mädchen anstecken und stürzte sich mit Feuereifer in die Vorbereitung des Balles. Hundert kleine Details mussten arrangiert, gestickt oder gerichtet werden. Sigrun legte selbst Hand an. Ihr Kleid war von ähnlicher Farbe, doch prunkvoller als jenes, das sie auf dem Abschlussball in Moringart getragen hatte. Mit Wehmut dachte sie daran, dass das schöne Stück, an dem so viele Erinnerungen hingen, sich wohl im Besitz ihrer ungeliebten Schwägerin Yelva befand. Der stand es gewiss nicht so gut wie ihr.

      Während die Frauen ihren Roben den letzten Schliff verpassten, plauderten Ana und Ildigo munter drauf los. Natürlich waren Männer der Schwerpunkt ihres Interesses. „Wundert Euch nicht, dass es keine Hofdamen in Eurem Alter gibt“, meinte Ildigo zu Sigrun. „Die meisten Frauen sind Mitte zwanzig schon Witwen. Sie müssen sich mit den Krümeln zufrieden geben, die die anderen für sie übrig lassen. Die Zeit, in der wir das Leben genießen können, ist verdammt kurz. Ich danke meinem Schicksal, dass es mich mit einem hübschen Gesicht und einem perfekten Körper ausgestattet hat. Diese Gaben werde ich nicht verschleudern. Ich suche mir einen Mann, der mir einen hohen Status und eine wirtschaftlich abgesicherte Zukunft verspricht. Die Zeit, die es dauert, lebe ich in Saus und Braus und lasse kein Vergnügen ungenutzt!“

      Ana war schockiert: „Zählt Liebe für Dich denn gar nicht?“

      „Was ist schon Liebe? Wenn er erst unter der Erde liegt, kann ich mir darum nichts mehr kaufen!“ gab Ildigo patzig zurück.

      Ortrud verdrehte die Augen und sagte mit gespieltem Bedauern: „Der arme Kerl, der Dich einmal heimführt!“

      „Wieso? Der Krieger lernt, im Augenblick zu leben. Für die Zeit, die er mit mir verbringt, hat er den Himmel auf Erden!“ erwiderte Ildigo selbstbewusst.

      Am Ballabend war Sigrun aufgeregt wie ein kleines Mädchen. Sie konnte es kaum erwarten, an Mauros Arm durch das Spalier der Ehrengäste zu schreiten. Als sie aus ihrer Kammer trat, erwartete Mauro sie schon. An seinem bewundernden Blick sah sie, dass sie ihm gefiel.

      Mauro reichte seiner Gattin den Arm: „Holde Frau, lasst uns zum Tanze schreiten!“ Diesen Tag wollte Mauro richtig genießen – nicht wie in Moringart, als ihm ständig katastrophale Nachrichten dazwischen gekommen waren.

      Sigrun knickste und schenkte Mauro ein Lächeln. Auch sie freute sich auf den Abend, an dem sie der strahlende Mittelpunkt seines Universums sein würde.

      Doch es kam anders. Mauro geleitete Sigrun in einen Saal, der ihre Größenvorstellungen um ein vielfaches überstieg. Die kühn geschwungenen Deckenbogen kündeten gebieterisch von der Macht der furukischen Könige. Die alten Mauern erzählten von den Intrigen und Grausamkeiten, die sich seit Generationen hier abspielten.

      Wenn man in Furukiya Feste feierte, saß den Geladenen stets die Angst im Nacken. Die Willkür ihrer Könige forderte fast jedes Mal ein Opfer. Selbst Mauros Gäste waren nicht ausschließlich von unbeschwerter Fröhlichkeit erfüllt. Vor einem Jahr hatte er den Aufstand der Mandrilanen niedergeschlagen und die Straßen der Hauptstadt mit Blut getränkt. Der Geruch der Scheiterhaufen, auf denen die Rebellen geopfert wurden, klebte vielen Mandrilanen noch in der Nase. Die alteingesessenen Geschlechter blieben dem höfischen Leben fern. Sie hockten in ihren Häusern und vermieden tunlichst, die Aufmerksamkeit des kethischen Königs zu erregen. Die, die gekommen waren, beäugten misstrauisch jeden seiner Schritte. Dass Mauro immer noch die Alicando-Krone trug und sich überwiegend mit Sommerländern umgab, trug wenig zur Sympathiegewinnung bei.

      Die Atmosphäre wirkte auf Sigrun schon beim Eintreten erdrückend. Die Luft war stickig. Es summte wie in einem Bienenstock. Eine Mischung aus Schweiß, verschiedenen Duftwassern und dem Moder alter Gemäuer nahm ihr den Atem.

      Sobald der König mit seiner Gattin erschien, erstarb jegliches Gemurmel. Wie Pfeilspitzen richteten sich alle Augen auf Sigrun und Mauro.

      Mit einem Schlag war die festliche Stimmung verflogen, die Sigrun über die gesamte Woche kultiviert hatte. Sie wurde stocksteif und zog die Schultern ein. Es schien ihr, als betrete sie eine Gruft, in der die Dämonen der Vergangenheit seit Jahrhunderten auf sie gewartet hatten. Gemessenen Schrittes führte Mauro seine Gattin durch das Spalier, das seine Würdenträger für ihn gebildet hatten. Hand in Hand bewegten sie sich langsam auf den hohen steinernen Thronsessel am anderen Ende des Raumes zu.

      Die Gäste senkten ihre Häupter und beugten das Knie. In früheren Zeiten hätten sie sich mit der Stirn auf den Boden werfen müssen. Das hatte Mauro schon zu Beginn seiner Herrschaft abgeschafft. Die Distanz war dadurch nicht geringer geworden.

      Sigrun nahm die Menschen, die ihren Weg säumten, nicht als Individuen wahr. Sie schienen ihr wie verschmolzen zu einer ekelig klebrigen Masse, die sie umwaberte. Sie hatte ein Würgen im Hals und panische Angst. Hilfe suchend umklammerte sie Mauros Hand, als würde sie ohne ihn ertrinken. Wie eine Traumwandlerin schaffte sie den Weg, ohne zu straucheln. Als Mauro auf dem steinernen Thronsessel Platz nahm, musste Sigrun noch stehen bleiben und einen Hofknicks vor ihm machen. Sie schwankte.

      „Was ist Euch?“ fragte er leise, während er sie mit seiner Energie unterstützte.

      „Dieser Saal … er ist so bedrohlich!“ stieß sie atemlos hervor.

      „Ich weiß, was Ihr meint“, flüsterte Mauro zurück. „Mandrilar ist eine Dämonenstadt.“

      Kurze Zeit später begann die Musik zu spielen. Nun erwartete man vom König und seiner Gattin, den Reigentanz zu eröffnen.

      Sigrun war überhaupt nicht nach Tanzen zu Mute, doch sie mochte sich keine Blöße geben. „Haltet Euch an mir fest. Ihr schafft das schon“, ermutigte Mauro sie. Sigrun nickte nur und schämte sich in Grund und Boden für ihre Unzulänglichkeit.

      Im Laufe des Festes wurde Sigrun eine Unzahl von Männern und Frauen vorgestellt. Alle wollten ein paar höfliche Worte mit der Eraindi wechseln. Sigrun gab schon nach kurzer Zeit den Versuch auf, sich Gesichter und Namen zu merken. Ihr ganzer Stamm zählte nicht so viele Mitglieder, wie der König an Mitarbeitern und Würdenträgern um sich versammelt hatte. Ana und Ildigo memorierten fleißig und halfen ihr mit dem Namen aus, wenn sie eine Person zum zweiten Mal traf.

      Am späteren Abend löste sich der förmliche Rahmen auf. Die Musik wurde flotter und die Leute tanzten ausgelassener. Mauro wollte sich mit Sigrun unter die Tanzenden mischen, doch sie winkte erschöpft ab. Sie war am Ende ihrer Kraft. Am liebsten hätte sie sich sofort zurückgezogen. Der König jedoch wollte noch etwas mit Barad besprechen. „Ihr müsst nicht mitkommen, wenn Ihr müde seid“, versicherte Mauro. Er geleitete sie zu einem freien Tisch und ließ Sigrun mit ihren Gefährtinnen allein.

      „Ich bewundere Dich. An Deiner Stelle hätte ich mich von der höchsten Zinne des Palastes gestürzt“, raunte ihr Ortrud ins Ohr. „Was Dein Mann von Dir verlangt, ist eine Zumutung. Er freut sich an Deiner Schönheit, als wärest Du eine Blume in seinem Knopfloch. Dass Du kaum mehr auf den Beinen stehen kannst, interessiert ihn nicht. Was für einen Egoisten hast Du geheiratet!“

      „Er ist der König. Er muss hier repräsentieren.“ Sigrun nahm Mauro in Schutz. Sie fragte sich, wie er sich fühlte, als er nach dem Ithrynmaeth plötzlich Herrscher dieses seltsamen Landes geworden war. Wie war es ihm wohl ergangen, als sich in der großen Halle zu Mandrilar erstmalig alle Blicke auf ihn richteten?

      Ortrud blickte in die Runde und fuhr fort, ihr Gift zu versprühen: „Sieh Dir den an. Sieht er nicht aus wie ein vertrockneter Kobold? Den sollte man pulverisieren und den anderen zum Fraß vorwerfen. Steif wie der Kerl ist, gibt das ein hervorragendes Aphrodisiakum.“ Dann fiel ihr Blick auf Feren, der beim König Wache stand. „Der hat ja Augen wie ein Dämon! Die Iris ist so schwarz, dass man sie von der Pupille nicht unterscheiden kann. Wer ist das?“

      „Wieso interessiert er Euch?“ fragte Ildigo spitz. „Wittert die Dämonin etwa Konkurrenz?“

      Ortrud ließ nicht locker: „Jetzt sieht er zu uns herüber. Der Kerl ist mir unheimlich.“

      In der Tat fixierte Feren Ortrud. Als sich ihre Blicke trafen, schickte er ihr eine unmissverständliche Warnung.

      Ana