Solveig Kern

Ferens Heimkehr


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andere ist ein Mandrilane. Den wage ich Euch nicht anzubieten. Wir haben ihm einen Platz bei der Stadtwache besorgt.“

      „Gut so“, sagte Mauro.

      „Ihr solltet noch einmal über den Mandrilanen nachdenken“, wagte Keor sich vorsichtig vor. „Wenn wir den jungen Männern keine Chance geben, schließen sie sich unseren Feinden an.“

      Mauro seufzte: „Ich verstehe Euren Einwand. Gewinnen wir sie jetzt nicht für uns, müssen wir sie später besiegen. Aber was, wenn sie längst auf der Seite unserer Feinde stehen?“

      Keor zuckte die Schultern. Genau das war das Problem.

      „Immerhin haben wir alle untergebracht!“ Malfarin war erleichtert. „Wer möchte schon die Jugend des Landes im Regen stehen lassen?“

      Die Prüfungen waren vorbei. Die Absolventen hatten ihr Bestes gegeben und nahmen nun die Glückwünsche Ihrer Angehörigen und Ihrer zukünftigen Vorgesetzten entgegen. Viele von ihnen würden gar nicht erst heimkehren, sondern gleich in die Mannschaftsunterkunft der Garde übersiedeln, wie es Tradition war.

      Feren hatte Grevens Sohn Stork sogleich erkannt. Nun steuerte er auf den Jungen zu und streckte ihm beide Hände entgegen.

      Stork lief ihm entgegen und fiel ihm um den Hals: „Ich freu mich so. Die Prüfung lief ausgezeichnet. Ich habe als bester meines Jahrganges abgeschlossen!“

      Feren gratulierte.

      „Habe ich das richtig gesehen?“ fragte Stork leise. „Du bist jetzt beim König?“

      Feren zögerte. Durch Stork würde die Neuigkeit bald den Weg zu Patron Greven finden. „Sieht so aus…“ erwiderte er ausweichend. Dann überlegte er: >Was kümmert mich Greven jetzt noch? Die Entscheidung ist gefallen<. Er schüttelte unwillkürlich den Kopf und wandte sich wieder dem Jungen zu: „Ja, ich bin beim König.“

      „Bitte, bitte, holt mich nach!“ bettelte Stork. „Viele meiner Kameraden gehen zur Garde, bloß ich muss heim nach Tolego. Der hier…“ Er wies mit einer Kopfbewegung auf Nôrden, der weiter hinten in ein Gespräch vertieft war und senkte die Stimme: „geht uns mächtig auf die Nerven.“

      „Ich bin nicht bei der Garde“, sagte Feren langsam, als glaubte er es kaum. „Ich bin ein Ithryn des Königs.“ Beim Gedanken an Mauros Unterstützung von eben fühlte er eine Welle der Wärme, die sich in einem sparsamen Lächeln niederschlug.

      Nôrden hatte Feren mit dem König kommen sehen und steuert nun auf seinen Clansmann zu. „Habe ich das richtig gesehen, dass Ihr jetzt beim König Dienst tut?“ fragte er streng.

      „Irgendwer musste sich ja um mich kümmern“, gab Feren abweisend zurück.

      „Ich hätte Euch ohnedies nicht haben wollen“, erwiderte Nôrden geringschätzig. „Ihr geltet als aufsässig und ungehorsam. Pado gab Euch miserable Referenzen. Schon Condir Warden wollte sich das nicht antun. Mal sehen, wie lange der König Euch bei sich duldet!“ Er ließ Feren stehen und eilte mit den jungen Absolventen im Gefolge davon. Grevens Sohn winkte Feren noch zu, ehe er verschwand.

      Der König beobachtete die Szene aus der Ferne. Dass Feren mit Nôrden nicht gut auskam, gefiel ihm. Immer mehr festigte sich seine Vermutung, dass etwas faul war im Hause Tolego.

      Am nächsten Morgen bei Sonnenaufgang war die große Halle voll mit jungen Zauberern in ihren weißen Trainingsgewändern. Mauro hatte alle seine Zauberer zur Morgenarbeit eingeladen. Er wollte die neu hinzugekommenen persönlich willkommen heißen.

      Als er nun in den Raum trat, überraschte ihn, dass es so viele waren. Er hatte übersehen, dass unter den Gardisten, die er von Pado übernommen hatte, eine ganze Reihe rangniedriger Zauberer gewesen waren. In den Augen ihres strengen Vorgesetzten galten sie nicht viel. Jetzt waren alle hier.

      Barad führte durch die traditionellen Übungen zur Stabilisierung des Energieflusses, wie sie sich in Orod Ithryn seit Generationen bewährt hatten. Es folgten Konzentrations- und Fokussierungsübungen. Nach einer ausgedehnten Aufwärmphase ging er über zu den Grundlagen der Manipulation von Energie. Barad hatte den ausdrücklichen Auftrag, Mauros Energiemanagement zu verbessern. Er hatte in den letzten Tagen schon einige Fortschritte erzielt. Nun brauchte Mauro einen Übungspartner, der ihn forderte. Er holte Serghey. Den musste er nicht schonen, denn er hatte eine Strafe verdient.

      Barad gab die Angriffsart vor und Serghey warf sich mit vollem Einsatz Mauro entgegen. Dieser nutzte gnadenlos Sergheys Schwächen und ließ ihn immer wieder ins Leere laufen. Dabei achtete Mauro darauf, sich nicht zu verausgaben.

      „Das Energiemanagement wird langsam besser“, kommentierte Barad seine Bemühungen.

      Als Serghey vor Erschöpfung kaum mehr auf den Beinen stehen konnte, brach Mauro die Übung ab. Höflich dankten sie einander. Serghey war körperlich erledigt, doch seine Augen leuchteten. Selten hatte er an einem einzigen Tag so viel Neues gelernt wie eben von Mauro.

      Nach dem Training diskutierte Mauro mit den jungen Männern, was einen guten Zauberer ausmachte. Er bat Feren, den Skorpion-Angriff vom Vortag zu demonstrieren.

      Feren ging durch seine Vorbereitung. Er zentrierte sich, machte ein paar Schritte und bewegte bizarr seine Körperteile. Schon war die Verwandlung perfekt. Der Skorpion sprang einen fiktiven Angreifer an und setzte seinen Stachel. Gleich darauf stand wieder Feren da und verneigte sich. Alles ging so schnell, dass keiner wirklich etwas gesehen hatte. Die jungen Leute starrten Feren mit offenem Mund an.

      „Wie wollt ihr das lernen?“ fragte Mauro.

      „Er soll die Schritte langsamer vormachen“, schlug ein junger Mann vor.

      Mauro schüttelte den Kopf: „Keine Chance, so funktioniert es nicht. Feren zeigt nicht eine Angriffstechnik nach Skorpion-Art. Er wird zum Skorpion. Das kann er nur, weil er den Skorpion versteht. Weil er ihn Stunden und Tage beobachtet hat. Weil er ihn in seinem tiefsten Wesen begreift. Weil er eins mit ihm ist.“

      „Und weil er den Skorpion liebt“, ergänzte Barad. „Weil er in Ehrfurcht seine Schönheit und Einzigartigkeit ausleiht. Die Dinge enthüllen uns ihren wirkungsvollsten Zauber, wenn wir ihnen Liebe und Aufmerksamkeit schenken.“

      „Ich werde zum Tiger, wenn ich eine schöne Frau sehe!“ flüsterte einer, der weit hinten saß.

      „Hoffentlich stinkst Du nicht auch so!“ gab sein Kumpan zurück. Die neben ihm sitzenden hatten Mühe, das Lachen zu verbeißen.

      „Schhht!“ murrten einige andere.

      Mauro fuhr fort: „Das ist eine der Grundlagen der Zauberei: die Dinge in ihrem tiefsten Wesen zu begreifen. Eins mit ihnen zu werden, um sie zu beherrschen.“

      „Und die anderen Grundlagen?“

      „Zu verstehen, dass wir mit allem verbunden sind. Deswegen können wir zu allem werden und aus allem schöpfen. Wir müssen nur die Grenzen unserer Wahrnehmung überschreiten. Nicht einmal Raum und Zeit haben Bestand. Die alten Meister können jederzeit überall sein.“

      „Woher kommt die Giftwirkung?“ fragte der Junge mit dem dicken Hals.

      „Es ist die Wahrnehmung. Du siehst einen Skorpion, weißt dass er giftig ist und stirbst an Deiner Angst“, mutmaßte Lucca.

      „Das ist nur ein Teil der Wahrheit“, korrigierte ihn Mauro. „Tatsächlich wirkt ein Fluch ganz ähnlich wie Gift. Er verursacht Turbulenzen in Deinem Energiesystem. Je nachdem, wie stark die Turbulenzen sind, kann er Dich sogar töten. Wenn Du einen Fluch abwehren willst, musst Du die eingebrachte Fremdschwingung neutralisieren. Das wirkt im Prinzip genauso, wie wenn Du ein Gegengift einsetzt.“

      Die jungen Zauberer lauschten gebannt Mauros Worten. Sie brannten darauf, ihre Fähigkeiten im Kampf für ihren König zu beweisen. Dieser hoffte inständig, dass er den Einsatz ihres Lebens niemals fordern musste.

      Die Konferenz der Caladrim