Solveig Kern

Ferens Heimkehr


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dabei!“ Mauro überlegte, was das für ihn bedeutete. Dann sagte er zu Jorid: „Es ist nicht schlimm. Ich habe bereits verkündet, dass die Neuen nicht automatisch die gleichen Privilegien genießen wie ihr Alten. Stork scheint immerhin talentiert zu sein. Feren soll sich um ihn kümmern. Die beiden kennen einander.“

      „Merkwürdig“, sagte Jorid. „Darüber, dass Ihr Feren aufgenommen habt, verlor Fürst Torren kein Wort.“

      Mauro stutzte einen Moment. Dann sagte er: „Wenn Ihr mir ein Goldstück anbietet, würde ich auch nicht sagen, dass ich schon eines habe!“

      Der nächste Morgen begann für Hanok qualvoll. Er hatte kaum die Kraft, auf die Beine zu kommen. Hanok musste sich eingestehen, dass die Ereignisse des gestrigen Tages ihm zusetzten. Nach längerer Pause hatte er sich wieder den Schrecken des Labyrinths stellen müssen. Der Horror saß tief. Das Wiedersehen mit seinem Sattelgefährten hatte alte Wunden aufgerissen. Wie Elfenkönigin Galbereth ihn mit seinem Hochmut konfrontierte, beschäftigte ihn sehr. Sein Verstand arbeitete mit Hochdruck. Er hatte kaum geschlafen und bräuchte dringend Ruhe, doch Schonung kannte er nicht.

      Galbereths Auftritt hatte einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Ungeachtet der Erschöpfung verspürte Hanok Erleichterung. Es hatte ihm gut getan, Hilfe anzunehmen. Ob es ihm auch ein zweites Mal gelingen würde, wenn die Elfenkönigin ihn nicht unterstützte? Er würde es versuchen. Vielleicht wurde er dann endlich wieder gesund.

      Was stand für heute an? Hanok riss sich zusammen und konzentrierte sich auf den nächsten Schritt. Ingram wollte einen Mann an ihn abgeben, mit dem er nicht zurechtkam. Am besten ging er gleich zu ihm.

      Ingram saß im Kreise der Männer, die gerade keinen Dienst hatten. Hanok setzte sich dazu. Man tauschte die üblichen Höflichkeiten aus. Das Verhältnis zu Ingram hatte sich in letzter Zeit gebessert. Je sicherer Ingram im Umgang mit seiner Truppe wurde, je eher war er bereit, sich von Hanok etwas sagen zu lassen.

      Irgendetwas im Raum aktivierte Hanoks Wachsamkeit. Eine Störung des Energiefeldes. Die Präsenz eines fremden Zauberers... Er erkannte den Mann sofort, der neben dem Kaminfeuer am Boden hockte. Rücken an der Wand, Beine angewinkelt und Unterarme locker auf die Knie gelegt – so war er schon immer gesessen. Feren war ein Freund fester Gewohnheiten. Wie eine Katze liebte er warme Plätze und schlief, wann immer er die Gelegenheit dazu hatte. Offenbar verfügte er auch über neun Leben.

      Soeben blickte Feren in Hanoks Richtung, ohne ihn anzusehen. Die Augen waren leicht zusammengekniffen. Er las Hanoks Energiefeld aus.

      Hanok fühlte eine leichte Beklemmung. Was er seit Jahren gefürchtet hatte, war geschehen. Feren war wieder aufgetaucht, und mit ihm der Makel einer verheerenden Niederlage – die Schlacht der steinernen Särge. Erstaunlich lange konnte Hanok sich vor der Verantwortung drücken. Das Desaster hatte seiner Karriere nicht geschadet, weil keiner der Zeugen jemals zu Wort gekommen war. Nun waren die letzten Überlebenden von den Wirren des Krieges in die Hauptstadt gespült worden. Unweigerlich würden sie ihn mit der Schuld konfrontieren. Aber warum gerade jetzt? Im Moment fehlte ihm die Kraft, sich damit auseinanderzusetzen.

      Hanok entschied, Feren erst einmal zu ignorieren. Mit einiger Mühe konzentrierte er sich auf den Mann, den Ingram ihm gerade vorstellte. Er fühlte sich unendlich müde.

      Als er die Unterkunft der kethischen Garde wenig später verließ, deutete nichts darauf hin, dass er von Ferens Anwesenheit Notiz genommen hatte.

      Ein Fest für die Frau des Königs

      Die Fürsten und Würdenträger, die die Geschicke des Landes auf ihren Schultern trugen, waren mittlerweile in der Hauptstadt eingetroffen. Die Gäste aus Orod Ithryn machten sich zur Abreise bereit. Das war der geeignete Zeitpunkt für einen Ball, den der König zu Ehren seiner frisch angetrauten Gattin Sigrun geben wollte.

      Große Bälle hatten in Furukiya Tradition. König Curon bestand darauf, dass die Schönste der verheirateten Frauen die Nacht mit ihm verbrachte. Diese zweifelhafte Ehre nahm keine gern für sich in Anspruch. Man fragte sich mit einem Augenzwinkern, ob Mauro es auch so handhaben würde. Wahrscheinlich schon, denn er hatte längst entschieden, dass Sigrun die schönste war.

      Seit Sigruns Ankunft in der Hauptstadt waren fast vier Wochen ins Land gegangen. Für Mauro war es eine arbeitsreiche Zeit gewesen. Sein Tag begann bei Sonnenaufgang mit der traditionellen Morgenarbeit der Zauberer. Wenn er in sein Schlafgemach zurückkehrte, war es oft Mitternacht. Zwar versuchte er, zwischendurch nach seiner Gattin zu sehen, doch das gelang ihm bei weitem nicht so häufig, wie er es wünschte. Nur ein einziges Mal war er mit ihr aus der Stadt geritten. Seite an Seite galoppierten sie über die freie Fläche vor den Mauern – bloß, um beim nächsten Stadttor wieder hineinzureiten. Ortrud lästerte, das er es besser hätte bleiben lassen, doch Sigrun honorierte seinen guten Willen.

      Barad hatte Sigrun eine Leibgarde von sechs gut ausgebildeten Kombat-Zauberinnen übergeben. Darunter waren Almaninnen, die wirklich reiten konnten. Damit sollte Mauro keine Einwände haben, wenn seine Gattin Ausflüge in die Umgebung machen wollte.

      Mauro jedoch hatte nicht vergessen, wie feindselig die Mandrilanen ihm gegenüberstanden. Auch erinnerte er sich noch gut an seinen eigenen ersten Ausritt ins Umland. Er hatte sich in den Mandril-Sümpfen verirrt und wäre beinahe in einem Teich ertrunken. Erst Yvos entschlossenes Eingreifen hatte ihn von Barrens Zauber befreit und ihm die Rückkehr ermöglicht. Dass so etwas mit Sigrun passieren könnte, jagte ihm Schauer über den Rücken.

      Seine junge Frau ließ jedoch nicht locker. Die Nomadentochter empfand es als unerträglich, unentwegt in der trüben, düsteren Stadt zu verweilen. Mauro sah ein, dass er sie nicht einsperren durfte. Er stellte ihr fünfzig almanische Reiter aus seiner eigenen Garde ab, um sie vor den unberechenbaren Mandrilanen zu beschützen. Den Kombat-Zauberinnen schärfte er ein, auf die Tücken des Geländes zu achten. In den Sümpfen lebten Feen und andere Naturgeister, die Menschen gegenüber nicht immer freundlich gesinnt waren. Dann ließ er sie ziehen.

      Doch die Freude war von kurzer Dauer. Kaum, dass Sigrun die Möglichkeit hatte, nach Herzenslust auszureiten, kippte das Wetter. Seit einer Woche regnete es ohne Unterlass. Sigrun fand sich wieder reduziert auf die königlichen Gemächer, die Spinnstube der Damen und den Reitplatz hinter den Stallungen. Diese kleine Welt hatte sie mittlerweile gut im Griff. Sie wusste, was wo zu finden war, und wen sie bitten musste, wenn sie etwas brauchte. Im Stall hatte man sich inzwischen an ihre tägliche Anwesenheit gewöhnt. Die Gardisten sprangen nicht mehr dienstbeflissen vom Pferd, sobald sie auftauchte. Sie akzeptierten sogar den einen oder anderen Tipp, wie sie ihre Pferde trainieren sollten. Selbst der Stallmeister kam gerne zum Fachsimpeln vorbei, wenn Sigrun ihren Hengst versorgte. Zumindest in dieser Hinsicht hatte sie sich gut eingelebt.

      Oft wanderten ihre Gedanken zurück nach Moringart – an den Anfang ihrer Liebe. Allen Hindernissen zum Trotz hatte sie den Mann bekommen, dem ihre Zuneigung gehörte. Mauro hatte sämtliche Versprechen gehalten. Mehr konnte sie nicht verlangen. Warum war sie trotzdem an seiner Seite nicht unbeschwert glücklich?

      Sigrun liebte Mauro über alle Maßen – doch mit der Welt, in die sie ihm gefolgt war, kam sie nicht zurecht. Die feine Mandrilanische Gesellschaft funktionierte nach ausgeklügelten Spielregeln, die keiner offen ansprach. Als Außenstehende fühlte Sigrun sich wie in einem Irrgarten mit unsichtbaren Mauern. Wie Mauro störte sie sich daran, dass ihr die Menschen beim Sprechen nicht in die Augen sahen. Alles um sie herum wirkte starr, abweisend und verlogen.

      Ortrud war ihr nicht hilfreich. „Versuch nicht, es zu verstehen. Ändere es. Du bist die Königin. Du kannst sie zwingen, nach Deinen Regeln zu leben“, redete sie Sigrun ein. Natürlich funktionierte das nicht. Doch Sigrun konnte sich nicht auf Land und Leute einzulassen, solange Ortrud neben ihr über alles und jeden ihren Spott ergoss.

      Dass Sigrun Ana und Ildigo in ihre Dienste genommen hatte, erwies sich als segensreich. Die Mädchen verbreiteten den ganzen Tag über gute Laune. Den Palast sahen sie als riesige Spielwiese für ihre Träume und Ambitionen. Durch die Augen der Mädchen erkannte Sigrun, dass in Mandrilar nicht alles grau, trostlos und bedrohlich war.

      Sigrun