Solveig Kern

Ferens Heimkehr


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der noch am Leben ist. Wenn Du es zulässt, wird er Dich lehren.“

      Feren erwog den Gedanken. Greven war nicht der einzige große Meister, der ihm helfen konnte. Da war auch noch ein anderer. Der mächtigste von allen: Sein Großvater Torren. Die Zeit zerrann unaufhaltsam, doch er konnte nicht nach Tolego gehen. Wie Sedh gesagt hatte: ihn fesselte ein alter Groll….

      Während Feren sich um seine Zukunft kümmerte, holte ihn die Vergangenheit wieder ein. Soeben fand im großen Saale eine feierliche Zeremonie statt. Neben seinem Freund Segur und anderen Aspiranten wurde auch Ferens Intimfeind Hanok in die Gilde von Orod Ithryn aufgenommen.

      Erst kurz vor der Zeremonie hatte ihm der König Goswins Vorschlag unterbreitet. Er gab sich Mühe, Hanok von den Vorteilen der Gilde zu überzeugen. „Es ist schwierig für Euch, von der Fiktion des Nichtzauberers Abschied zu nehmen“, schloss Mauro. „Nun müsst Ihr Euch damit abfinden, ein Zauberer wie alle anderen zu sein – und nicht länger etwas Besonders!“

      „Ihr verkennt meine Situation“, erwiderte Hanok pikiert. „Ich bin nicht stolz darauf, ein Nichtzauberer zu sein. Ich bin stolz darauf, dass ich mich all die Jahre so gut gegen die Zauberer behauptet habe. Mir war wegen meiner Herkunft der Weg zu einer fundierten Ausbildung versperrt. Dass Orod Ithryn mich nun einlädt, nehme ich als Anerkennung meiner Leistung. Es wurde langsam Zeit!“

      Das Zauberzeichen von Orod Ithryn passte sich selbsttätig der Qualifikation des Trägers an. Sobald Barad den stilisierten Wolfskopf auf Hanoks Oberarm eintätowiert hatte, begann er sich zu verändern. Gespannt warteten alle auf das Ergebnis. Das Zauberzeichen nahm ein ungewöhnlich scheckiges Aussehen an. Viele Bereiche blieben hellgrau, wie es einem Novizen entspricht. Andere hingegen färbten sich dunkelgrau, und eine Region zeigte gar ein tiefes Schwarz. Barad sah sich bestätigt: „Nun haben wir den Beweis, dass Hanok längst kein Nichtzauberer mehr ist. Im Gegenteil. Für einen Autodidakten ist er in mehreren Bereichen erstaunlich weit gekommen. Seht hier: in der Abwehr der dunklen Künste fehlt ihm nicht viel zur Meisterschaft. Diese Fähigkeit hat ihm geholfen, Barrens Folter zu überstehen!“

      Hanok deutete auf einen großen hellgrauen Bereich: „Was fehlt hier?“

      „Die Beherrschung der Elemente“, erwiderte Goswin. „Das könnt Ihr noch nicht.“

      „Helft Ihr mir, es zu lernen?“ Schon hatte Hanok ein Ziel, auf das sich hinzuarbeiten lohnte.

      Nach der feierlichen Angelobung der Gilde-Neulinge kamen die Zauberer aus Mauros Truppe in die Unterkunft. Ingram stellte ihnen Feren vor. Rüdiger freute sich für Ingram, dass dieser endlich wieder einen eigenen Kombat-Zauberer hatte. Nun musste er ihm nicht länger seine Ithryn ausleihen. Darüber hinaus interessierte sich der rotbärtige Almane nicht sonderlich für den Neuankömmling. Shui hatte ihm schon berichtet, dass an Feren nichts Besonderes war. Ähnlich fiel auch seine eigene Einschätzung aus: nichts an Feren lud dazu ein, sich näher mit ihm zu beschäftigen. Dass ihm gerade diese betonte Unauffälligkeit auffallen sollte, erkannte er zu diesem Zeitpunkt noch nicht.

      Kurze Zeit später kam Bodir in die Unterkunft. Er eilte sogleich auf Feren zu: „Was sehen meine entzückten Augen? Feren hat den Weg zu uns gefunden!“ Die beiden tauschten einen verdeckten Händedruck, wie es unter Netzwerk-Kameraden üblich war. Bodir fasste Feren an der Schulter und sagte aus tiefster Überzeugung: „Wie bin ich froh, dass Du da bist. Beim Kampf am Mondteich hätten wir Dich gebraucht. Ich hoffe, Segur kommt auch bald.“ Die drei hatten gemeinsam unter Pado gedient.

      Feren schüttelte den Kopf: „Da ist nichts zu machen. Segur hat entschieden, Mauern zu bewachen.“

      Bodir lachte: „Mal sehen, wie lang ihm das Freude macht. Ich werde ihn besuchen.“

      Serghey war der Ranghöchste unter Mauros jungen Zauberern. Weder Bodir noch Rüdiger konnten ihm diesen Anspruch streitig machen. Nun war Feren aufgetaucht. Serghey wollte dem Neuen, der einen Rang unter ihm war, gleich die Hackordnung klar machen. Sein Vorgesetzter Narghey hätte ihn warnen können, doch der wusste noch nichts von Ferens Ankunft.

      Schon am nächsten Tag bot sich eine Chance. Als Serghey in Begleitung von zwei jüngeren Alicando-Zauberern zu den Ställen unterwegs war, kreuzte Feren seinen Weg. Er hatte sein Pferd und ein paar Sachen aus Segurs Haus abgeholt und ging zu seiner Unterkunft. Sofort stänkerte Serghey den Tolego an.

      Feren ignorierte ihn, solange es ging. Er wusste genau, dass er sich mit einem Zweikampf Ärger einhandeln würde. Feren kämpfte nicht, um sich etwas zu beweisen. Schon jahrelang hatte kein anderer Zauberer mehr seine Vormachtstellung in Frage gestellt. Irgendwann wurde Serghey zu dreist. Dann musste es eben sein. Feren legte mit Ruhe und Sorgfalt den Packen zur Seite, den er gerade auf dem Rücken trug. Dann ging er ansatzlos in den Angriff über. Er wollte es schnell zu Ende bringen, wenn möglich ohne Serghey ernsthaft zu verletzen.

      Serghey war ein durchaus ebenbürtiger Gegner, wendig und fintenreich. Feren merkte bald, dass es kein rasches Ende geben würde. Er nahm Tempo heraus und bediente sich aus der Trickkiste. Serghey traute seinen Augen nicht, denn die Angriffe waren nie das, was sie schienen. Feren stand einfach nicht dort, wo er eigentlich stehen müsste. Zug um Zug setzte er seinen Gegner matt. Schließlich hatte er ihn am Boden und kniete über ihm. Serghey versuchte ein letztes Mal, ihn abzuschütteln und wieder auf die Beine zu kommen. Feren griff zum Messer, um mit Nachdruck die Unterwerfung einzufordern.

      Für Sergheys Begleiter sah es so aus, als wollte Feren dem auf dem Boden Liegenden die Kehle durchschneiden. Die beiden sprangen Feren in den Rücken. Feren sah sie kommen und rollte blitzschnell über Serghey weg aus der Angriffslinie. Nun hatte er es mit drei Gegnern zu tun. In seinem Kopf rastete etwas ein: der Modus >töten um zu überleben<. Blitzschnell verwandelte er sich in einen Skorpion – an dieser Angriffsform hatte er in Gralta monatelang gearbeitet. Er sprang dem jungen Mann, der durch sein Ausweichmanöver gestürzt war, an den Hals und stach zu. Dann schoss er zu dem anderen hinüber und stach ihn ins Bein. Der Junge schrie auf in blanker Panik.

      Noch während Ferens Aufmerksamkeit durch die beiden Jungzauberer in Anspruch genommen war, sprang Serghey hoch und setzte neuerlich zum Angriff an. Doch er unterschätzte Ferens Schnelligkeit. Serghey war noch im Sprung, als Feren schon wieder auf den Beinen stand. In aller Ruhe bereitete er sich darauf vor, Serghey das Messer in den Bauch zu rammen.

      Es kam nicht dazu. Mauro stand schon hinter ihm. Mit geschicktem Griff machte er Feren bewegungsunfähig und zog ihn zugleich aus der Angriffslinie. Serghey sprang ins Leere.

      Ohne den Immobilisierungsgriff zu lockern, ließ Mauro Feren langsam vor sich auf den Boden gleiten. „Wer von Euch hat diesen Kampf begonnen?“

      Die Frage beantwortete sich von selbst, denn Feren war alleine und die anderen zu dritt. Serghey fiel sofort vor dem König auf die Knie und stellte sich seiner Verantwortung.

      „Schick mir Deinen Vorgesetzten. Narghey hat wohl seine Truppe nicht im Griff“, schnauzte Mauro den jungen Mann an.

      Serghey wollte die Schuld auf sich nehmen, aber Mauro wies ihn mit einer ungeduldigen Geste fort. Zu Feren sagte er: „Alles in Ordnung?“

      Feren nickte. Langsam löste Mauro seinen Griff. „Es ist wie früher“, sagte Mauro. „Sie provozieren Dich, bis es Dir reicht. Du kämpfst. Du zeigst Ihnen, dass Du besser bist. In der Wahl Deiner Mittel schießt Du immer noch übers Ziel hinaus. Willkommen daheim, Feren.“

      Mauro bedeutete ihm, aufzustehen. Feren war kein zarter Junge mehr, sondern ein kräftiger Mann mit breiten Schultern. Er war gerade groß genug, um nicht als klein zu gelten. Jetzt stand er vor seinem König mit dem typischen ratlosen Blick, der sich im Nichts verlor. Feren wirkte mit einem Mal hilflos und schutzbedürftig.

      Mauro musste insgeheim lachen. Der kleine Junge aus Orod Ithryn brauchte einen, der ihm die Welt erklärte – und Mauros Beschützerinstinkt sprang sofort darauf an. Allerdings war aus diesem Jungen mittlerweile ein ausgezeichneter Kombat-Zauberer und wahrscheinlich sogar ein mit allen Wassern gewaschener Schwarzmagier geworden. Feren wurde immer noch unterschätzt.

      Mauro verlangte, dass Feren ihm ins Gesicht sah.