Frank Wolfraum

When Rock'n Roll turns to buzinez


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      Nach einem Trinker, einem Chauffeur, einem durchgedrehten Polkaspieler, einem Bauern mit Namen Sepp und diversen anderen Nervenschändern bekamen wir nach einigen Wochen einen Anruf von dem Drummer Frank Gi. Ein aus Mainz stammender Drummer mit gutem Timing und gutem Groove.

      Da wir auch menschlich gut zusammen passten, stand unserer Regionalkarriere nichts mehr im Wege. Wir probten zu dieser Zeit in einer der Kultstätten der Rockmusik in den 70ern und 80ern, in der Hahn-Mühle an der A67 in Höhe Pfungstadt. Die Hahn-Mühle war ein alter, riesengroßer Bauernhof, in dem etwa 20 Bands probten. Außerdem gab es noch eine Stahlbaufirma und einen Architekten plus einen Auto- und Gitarrenlackierer und einen Chemiker mit eigener Firma. Es gab da – außer der Wohnung des Besitzers, der nebenher noch Landwirt war – noch sechs weitere Wohnungen, die vermietet waren. Alles in allem war dort 24 Stunden täglich, 7 Tage die Woche Leben und Party. Natürlich war da nicht nur Schönes. Denn so ziemlich alles was im Umkreis von 50 Kilometern geklaut wurde tauchte hier irgendwann auf. Außerdem roch es auf dem ganzen Hof nach Shit und auch härtere Drogen waren im Umlauf. Na ja, wo viel Licht ist, ist viel Schatten. Trotzdem haben wir in diesen „Heiligen Hallen“ viel gelacht.

      Zum Beispiel als ich eines Tages auf den Hof fuhr und unseren Chemiker erblickte – wir nannten ihn den „Alkimist“ (ich weiss, wie man Alchemist schreibt) – ich kam dazu, als er jeden Autofahrer der auf den Hof wollte stoppte und ihn aus dem Wagen holte, wild gestikulierte, etwas seltsame Paste auf sein Auto schmierte und darauf rum prügelte. Als ich dann an der Reihe war wollte er den Kotflügel von meinem alten Ford Granada (mein Kadett hatte ich verkauft als ich Geld für das Demo brauchte) einschmieren. Als er merkte dass der Wagen gespachtelt war ließ er ab und sagte beim nächsten mal vielleicht. Neugierig habe ich den Rest der Band aus dem Proberaum geholt und wir haben uns das weitere Spektakel betrachtet.

      Unser Alkimist hatte doch tatsächlich eine Politur zusammengebraut, die den Lack vor echten Kratzern schützte. Er polierte damit ein Stück lackiertes Blech, holte aus, und schlug mit einem schweren Siegelring eine riesige Riefe in den Lack. Dann nahm er einen Lappen, polierte kurz drüber und der riesige Kratzer war weg. Wir waren beeindruckt und warteten mit ihm auf das nächste Opfer. „Der“ Nächste, dass war eine Punk-Band in einem alten Opel D-Rekord. Der Alkimist fing mit seiner Zeremonie an und als er zuschlagen wollte verlor einer der Punks die Nerven und das Vertrauen und schubste ihn weg. Der Schlag war jedoch nicht mehr zu stoppen. Er ging an der präparierten Stelle vorbei und riss eine riesige Schramme quer über die Tür. Obwohl es bei der alten Karre eigentlich egal war, rastete der Punk völlig aus und rannte wie bekloppt hinter dem Alkimisten her. Der Alkimist war sogar recht flott, und so hatten wir eine ca. 15-minütige Verfolgungsjagd wie aus einem Tom und Jerry Film und eine herrliche Schimpfkanonade eines Punks. Der Punk gab dann irgendwann auf, pfiff eine Büchse Hansa Pils ein und ging kommentarlos in seinen Proberaum, wo die anderen auf ihn warteten.

      Am selben Abend hatte mich der Punk dann noch mal erschreckt, als ich im Dunkeln in die Modau, dieser Bach war unsere Toilette, pinkelte. Er kam, bunt wie er war, aus den Hecken und brüllte noch immer den Namen das Alkimisten.

      Ein paar Wochen später, gerade als wir uns an die Jungs gewöhnt hatten und einen Draht zu ihnen fanden, löste sich die Punk-Band auf, da alle drei in den Knast gewandert sind.

      Eine weitere Originalfigur war da noch unser Vermieter auf diesem Bauernhof. Der hatte einen schrecklich alten und stinkenden Traktor, der uns schon immer ein Dorn im Auge war.

      Als das alte Dreckding eines Tages zu übel röhrte haben wir kurzerhand das Lenkrad abgeschraubt und im Namen der Umwelt beschlagnahmt. Ohne je ein Wort darüber zu verlieren nahm der Chaot einen 17er Gabelschlüssel und benutzte diesen fortan als Lenkrad. Ich schätze mal den benutzt er bis heute, denn nur wir wussten wo sein Lenkrad war.

      Seine Freundin lies es sich damals auch gut gehen. Immer wenn der „Erste“ war und die Bands kamen um die Miete in bar zu zahlen, stand sie den ganzen Tag unter der Dusche, damit sie möglichst leicht bis gar nicht bekleidet die Tür öffnen konnte. Ich meine, mein Fall war sie nie, aber es war doch immer wieder witzig zu beobachten was da so alles los war. Ich weiss nicht mal wie sie hieß. Ich weiss nur, dass sie jeder Duschi nannte.

      Leider weiss ich aus zuverlässiger Quelle, dass diese Proberäume nach über fünfundzwanzig Jahren (die Mühle existierte von ca. 1967 bis 1993) eliminiert wurden. Der Bauernhof steht zwar noch, doch wird er heute rein gewerblich genutzt.

      Schön war es damals schon, wenn du mal kurz vor einem Gig noch ein paar Drumsticks brauchst oder ein Kabel oder so was. Du bist einfach an die nächste Tür gegangen und hast bei einer anderen Band nachgefragt. Wir haben uns da immer gegenseitig geholfen. Da wurde nichts geklaut und nichts randaliert oder so. Leider ist das heute alles anders. Die Bands machen sich gegenseitig nieder, statt sich zu helfen. Bei uns war das so: Wenn man sich Freitag oder Samstag Nacht nach dem Gig in der Hahn-Mühle über den Weg lief, dann waren die drei ersten Fragen: „Wo habt ihr gespielt?“, „Wie war’s?“, „Wie viel bezahlt der?“. Wenn wir zum Beispiel wussten, Band A hat bei Veranstalter B für 1.000,– DM gespielt hätten wir das nie unterboten, sondern immer ca. 100,– DM mehr verlangt. Auf diese Art und Weise hielten wir die Preise oben. Und durch unsere Bandabsprachen war klar, dass es keine billigere Band gab. So konnten wir eine „Regionalszene“ lange Zeit so aufrecht halten wie es hunderte von Bands vor uns taten. Aber so ab etwa 1990 haben einige dumme Looser-Bands angefangen alle anderen zu unterbieten. Die Folgen waren katastrophal und bis heute nicht wieder gut zu machen.

      Die Veranstalter nahmen nur noch die Looser-Bands. Die waren zwar billig und meistens auch schlecht. Nach einiger Zeit hatte der Veranstalter zwar die Bandgagen gespart aber durch die permanente Scheiß-Musik das Publikum verloren. Und ohne Publikum kein Umsatz – da hilft auch nicht die gesparte Bandgage – ohne Umsatz kommt die Pleite. Auf diese Art und Weise wurden (nur im Rhein-Main-Gebiet) von 1991 bis 1994 etwa zwanzig Clubs dichtgemacht. Darunter auch sehr etablierte Clubs, die oft schon seit der Rock’n Roll-Ära existierten. Damit zerschlug sich auch die regionale Rock-Szene und man splittete die Bands in Feierabendmusiker ohne Chancen, Phantasten ohne Chancen und Semi- bzw. Vollprofis.

      Gott sei Dank gehörten wir gegen Ende der regionalen Rock-Szene schon zu den Semi-Profis. Dennoch tun mir bis heute all die vielen guten Bands der damaligen Szene leid, die es nicht geschafft haben. Man muss sich mal vorstellen, dass man an einem Samstag Abend zwischen mindestens zehn Live-Acts wählen konnte und hatte immer gute Musik. Jetzt wäre eigentlich die Stelle, an der ich sagen müsste: „Die gute alte Zeit“. Aber ich lasse es wohl besser.

      Bei Brainchild indes verlief alles wie gewünscht. Wir wurden populärer dank viele Auftritte und auch immer dreister. So setzten wir uns zum Beispiel bei dem Frankfurter Büro der Plattenfirma Bellaphone (Anm. d. Verf.: Keine Ahnung, ob es die heute noch gibt) einfach ins Büro und verlangten nach einem Mann der unsere Karriere förderte. Die haben uns dann sogar noch einen Kaffee gegeben bevor sie uns absagten und raus schmissen.

      Lockeres Miteinander der Musiker in der Hahnmühle

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      Beflügelt von dieser Aktion haben wir uns mit einem kleinen – hinterhältigen – Trick, den ich hier nicht preisgeben möchte, unerlaubter Weise Einlass in den CBS-Tower (Anm. d. Verf.: Keine Ahnung, ob es den heute noch gibt) in Frankfurt am Main verschafft. In diesem Tower gab es am Eingang nur den Pförtner, seine Rezeption und drei Aufzüge. Sonst nichts, keine sichtbaren Treppen, Sitzecken oder ähnliches. Nach dem Trick im Aufzug angekommen drückten wir irgendein Stockwerk nur um erst einmal zu verschwinden. Als der Aufzug hielt, und eine sehr junge aber gar nicht hübsche Dame in den Lift kam fragte ich sie nach dem Chefproduzenten, dessen Namen ich von Pitche wusste. Ohne sich dabei etwas zu denken nannte die Lady uns Stockwerk und den Weg zu seinem Büro. Mit dieser Information kamen wir auch bis in das Büro mit den endlos vielen Goldenen Platten (damals gab’s noch keine CD’s auf dem breiten Markt) von Tina Turner, den Stones und so weiter.

      Für uns gab’s da auch was: nämlich einen satten Rausschmiss. Aber wir jubelten durch herrliche Ablenkungstaktiken einem A&R-Manager noch ein Band unter. Dann flogen wir raus. Vorbei