Vera Sterndorf

Wen die Vergangenheit trifft


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      Das Buch erzählt, was Krieg mit Menschen macht und wie sich dies auf die nächste Generation auswirkt. Stefan Eppinger hat zu seinem Vater kaum noch Kontakt. Das ändert sich erst, als dieser unheilbar an Krebs erkrankt. Nach anfänglichem Zögern beschließt Stefan, sich um seinen Vater zu kümmern. Bald schon wird er mit der Vergangenheit konfrontiert. Es beginnt die Suche nach einer verdrängten Wahrheit.

      Die Autorin Vera Sterndorf wurde 1958 in Karlsruhe geboren. Sie ist Juristin und Redakteurin. Seit vielen Jahren arbeitet sie als freie Texterin. Zusammen mit ihrem Mann und ihrer Katze lebt sie in einem alten Haus mit großem Garten nördlich von Berlin. Von ihr erschienen, ebenfalls bei epubli, die Kinderbücher »Annas wundersame Reise« und »Lena hat ’ne Meise«.

      Vera Sterndorf

      Wen die Vergangenheit trifft

      Erzählung

      Impressum

      Wen die Vergangenheit trifft

      Vera Sterndorf

      published by: epubli GmbH, Berlin

      www.epubli.de

      Copyright: © 2013 Vera Sterndorf

      ISBN 978-3-8442-7041-9

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       Ich danke allen, die mich ermutigt haben,

       dieses Buch zu schreiben.

      Inhalt

Impressum

      Die Heimkehr

      Am Bahnsteig herrschte die übliche Enge. Menschen drängten und schoben sich mit ihren Koffern und Taschen zu den Zugtüren. Ich zwängte mich durch den Waggon und setze mich in einem Abteil ans Fenster. Gegenüber nahm eine Familie Platz: Vater, Mutter und ein etwa siebenjähriges Mädchen. Der Vater verstaute das Gepäck, während die Mutter eine Brotdose, Möhren und Äpfel auspackte. Die Kleine holte ein »Pippi Langstrumpf«-Buch aus ihrem rosaroten Rucksack. Der Vater schlug die Zeitung auf. Die Mutter zog pinkfarbene Wolle und Stricknadeln aus einem Leinenbeutel. Draußen pfiff der Schaffner. Der Zug setzte sich in Bewegung. Mir fiel der erste Satz aus »Anna Karenina« ein: »Alle glücklichen Familien gleichen einander, jede unglückliche Familie dagegen ist unglücklich auf ihre besondere Art.« Ich schloss die Augen und dachte an meine eigene.

      Ich war jetzt vierundfünfzig Jahre alt und schon lange geschieden. Bettina war damals, gleich nach der Trennung, weggezogen und hatte unsere Tochter mitgenommen. Sara war inzwischen zwanzig und studierte in Hamburg Medizin. Ich sah sie nur selten. Ich arbeitete, was nicht sonderlich aufregend, aber dennoch befriedigend war, als Staatsanwalt, seit mehr als fünfundzwanzig Jahren in derselben Behörde. Abends trank ich gern ein Glas Wein, las ein gutes Buch, ging mit Freunden oder Kollegen ins Kino, Konzert oder Theater und am Wochenende am Wannsee segeln. Ab und zu gab es auch mal eine neue Frau in meinem Leben. Doch im Großen und Ganzen genoss ich meine Freiheit und Unabhängigkeit. Aber dann kam dieser Anruf. Und am Morgen danach saß ich in diesem Zug, auf dem Weg zu einem anderen, verdrängten Leben.

      Ich hatte meinen Vater zuletzt bei seinem zweiundneunzigsten Geburtstag gesehen. Das war vor über einem Jahr gewesen. Vordergründig, weil mir die Arbeit keine Zeit ließ, öfter nach Freiburg zu fahren. In Wahrheit ließ sich so jedoch die Sprachlosigkeit zwischen uns besser ertragen. Ab und zu ein Telefonat: »Mir geht es gut.« »Mir auch.« »Wie ist das Wetter bei euch?« »Die Sonne scheint bei drei Grad plus.« »Wir haben ein Grad minus und Nieselregen.« Darüber hinaus hatten wir uns schon lange nichts mehr zu sagen.

      Dabei war das nicht immer so gewesen. Mein Blick fiel auf das Mädchen mir gegenüber. Sie hatte ihr Buch weggelegt und schmiegte sich an ihren Vater. Der flüsterte ihr etwas ins Ohr. Sie lachte.

      Ich war so alt wie sie, als meine Mutter uns verließ. Sie zog mit ihrem Liebhaber davon, den sie später heiratete. Nicht dass ich sie damals nicht vermisst hätte. Doch mit ihrem Auszug kehrte endlich Ruhe ein.

      Soweit ich mich zurückerinnern konnte, hatten meine Eltern bald täglich gestritten. Es war so, als hätten sich Feuer und Wasser geheiratet. Die eine verglühte, der andere versiegte. Es ging ums Geld, von dem es wenig gab, ums Ausgehen und Amüsieren, für das mein Vater, seitdem er 1946 aus der Kriegsgefangenschaft heimgekehrt war, keinen Sinn mehr hatte.

      Dabei musste er als junger Mann vor dem Krieg ganz anders gewesen sein. So hatte er es jedenfalls selbst erzählt. Wenn das, was er gesagt hatte, nicht übertrieben war, hatte er damals weder ein Fest noch einen Tanz und erst recht keine Frau, die willig war, ausgelassen.

      Ich kicherte. Die Frau gegenüber senkte ihr Strickzeug, schaute mich an und runzelte die Stirn. Ich zog den Mund schief, grinste leicht verlegen und schloss die Augen.

      Meine Mutter sah ich nach der Trennung meiner Eltern zweimal im Monat. Sie holte mich dann jedes Mal ab, ging mit mir in den Zirkus oder ins Kino. Sie verwöhnte mich mit Süßigkeiten und Geschenken, die ich gern nahm. Je älter ich wurde, umso mehr machte es Spaß, ihre Versuche, mich zu bestechen, meine Zuneigung zu kaufen, auszunutzen.

      Oft wünschte ich mir Sachen, die ich weder wollte noch brauchte, nur um zu sehen, wie weit ich sie bringen würde. Da ihr Neuer recht reich war, hatte ich fast immer Erfolg. Doch je öfter sie mir schenkte, was ich forderte, umso mehr verachtete ich diese Frau, die meinen Vater und mich verlassen hatte.

      Nachdem meine Mutter gegangen war, blieben wir allein zurück in der kleinen Buchhandlung, die meinem Vater gehörte, und in der engen Dreizimmerwohnung darüber, wo wir lebten. Eigentlich hatten wir es dort recht gemütlich. Mittags, wenn ich aus der Schule kam, hatte mein Vater den Laden geschlossen und für uns gekocht.

      Ich erinnere mich an einen Tag, als es Bohnensuppe gab. Während mein Vater am Herd rührte, erzählte ich von der Schule und spielte mit dem Salzstreuer. Als das Essen fertig war, stellte mein Vater den Topf auf den Tisch. Er nahm mir das Salz aus der Hand, um nachzuwürzen. Dabei löste sich der Deckel, den ich unbewusst fast aufgeschraubt hatte. Der gesamte Inhalt, der nicht wenig war, fiel in den Topf. Die Suppe war verdorben.

      Wortlos, ohne zu schimpfen, schüttete mein Vater die Bohnen ins Klo und briet uns Spiegeleier. In solchen Momenten bewunderte ich ihn und seine Ruhe. Meine Mutter wäre vor Wut geplatzt und hätte mich geohrfeigt, zumindest bevor sie uns verlassen hatte.

      Oft saß ich in der Buchhandlung, machte dort meine Hausaufgaben und las, wenn ich nicht mit Freunden unterwegs war, oder spielte. Mit meinem Vater konnte ich damals über alles reden. Über Wünsche, Träume, Hoffnungen und sogar Ängste. Er nahm mich ernst und behandelte mich nie wie ein unwissendes Kind.

      Sonntags machten wir fast immer einen Ausflug. Wir wanderten durch den Wald, erklommen Berge, fuhren Rad, besuchten Museen und mit unserem blauen VW-Käfer Städte, wie etwa Straßburg und Basel. Im Herbst ließen wir unseren Drachen steigen und sammelten Pilze. Am meisten mochte ich, wenn wir in einem Gasthof einkehrten. Mein Vater trank dann immer ein Bier, und ich bekam eine Cola mit Strohhalm.

      Mein Vater erzählte auch vom Krieg. Dass er zunächst in den Niederlanden, Belgien und Frankreich war, später zweimal in Russland, bevor er dann wieder an die Westfront zog.

      Er sprach von seinem Schäferhund Wotan, der in Belgien durch eine feindliche Kugel starb, von Kriegskameraden und Freunden, von Willi, der vor Moskau fiel. Er zeigte mir die Narbe der Wunde, die ihn aus Russland nach Hause gebracht und ihm dadurch, wie er meinte, das Leben gerettet hatte. Ich sah das Tagebuch, das er an der Front geschrieben hatte, ohne dass er mir daraus vorlas.

      Er