Vera Sterndorf

Wen die Vergangenheit trifft


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Butter mit gedünsteten Zwiebelchen. Dazu Feldsalat mit Walnüssen und vorab eine Kürbissuppe.«

      Wir entschieden uns zunächst für einen Tisch am Fenster und dann für die Maultaschen. Miriam wählte einen Rotwein, der dazu passte und offensichtlich aus ihrem Laden kam. Anscheinend war Georg Kunde bei ihr.

      Ich schaute mich um. Tische und Stühle stammten aus verschiedenen Epochen. Sie waren alle in demselben Gelb gestrichen, wodurch sie gleich und dennoch verschieden wirkten. Der Tresen und die Küche glänzten ebenfalls gelb, die Bodendielen schimmerten ochsenblutfarben, während Wände und Altbaudecke weiß getüncht waren.

      »Wie geht es Ihrem Vater?«, unterbrach Miriam meine Betrachtungen. Ich erzählte, dass er morgen nach Hause käme und ich bleiben würde, bis er … »Stirbt?« Offenbar ging ihr dieses Wort leichter über die Lippen als mir. Verlegen schwieg ich und wechselte das Thema. Ich hob mein Glas, um mit ihr anzustoßen. »Wollen Sie mir nicht von sich erzählen? Seit wann betreiben Sie den Weinladen?«

      Miriam runzelte die Stirn. »Nun, was soll ich sagen? Ich bin einundfünfzig Jahre alt und habe zwei Kinder. David ist dreißig, Amelie siebenundzwanzig. Mein Mann, Daniel, starb vor zwei Jahren an einem Gehirntumor. Wir haben zusammen im Elsass ein Weingut bewirtschaftet, das jetzt mein Sohn mit seiner Frau, Natalie, betreibt. Amelie malt und hat ihr Atelier in einer alten, umgebauten Scheune, ebenfalls im Elsass, in einem Nachbarort. Sie ist, trotz ihrer Jugend, bereits recht erfolgreich, und stellt in Paris, Zürich und London aus.«

      Miriam sprach lebhaft und anschaulich, ohne zu übertreiben. Ihre Worte kamen zunächst langsam und bedacht. Bald schon tropften sie jedoch wie Eiszapfen im März, sprudelten wie eine Bergquelle im April, plätscherten bachgleich, tosten wie ein Wasserfall, um schließlich erneut ruhig dahinzuströmen. Ich hörte ihr gern zu und genoss dabei meine Maultaschen, die vorzüglich schmeckten.

      Sie erzählte von ihrer Kindheit in der Schweiz, vom Ballettstudium und ihrer Zeit an der Pariser Oper. Dort hatte sie drei Jahre lang im Ensemble getanzt, bevor sie ihren Mann heiratete und schwanger wurde. Nach der Hochzeit arbeitete sie auf dem Weingut ihres Mannes, zu dem bereits damals ein kleines Hotel gehörte.

      »Und was hat Sie nach Freiburg verschlagen?« »Ich wollte meinem Sohn und seiner Frau nicht auf den Füßen stehen. Sie sollten frei sein, das Geschäft so weiterzuführen, wie sie es sich vorstellen.« Für Freiburg habe sie sich entschieden, weil sie die Stadt möge. Zudem liege sie nah genug, um regelmäßig ins Elsass zu fahren.

      Miriam erzählte auch, dass sie wieder begonnen hatte zu tanzen, Ausdruckstanz in einem kleinen Studio. Mit einer Lehrerin trainiere sie dort zweimal pro Woche. »Und du, ich darf dich doch duzen«, fragte sie, »was machst du so in deiner Freizeit? Dass du als Staatsanwalt arbeitest, weiß ich. Das hat mir dein Vater erzählt.«

      So floss das Gespräch zwischen uns immer weiter, ohne einmal zu stocken. Ich vergaß die Zeit und alles Weitere um mich herum. Sie empfand es, glaube ich, ähnlich. Schließlich stand der Wirt neben uns und räusperte sich. »Sorry, ich glaub, ich muss euch jetzt rausschmeißen. Es ist acht Uhr. Die Gäste, die diesen Tisch reserviert haben, warten bereits am Tresen.«

      Wir verließen das Lokal, und ich fragte: »Wohin jetzt?« Sie antwortete: »Nach Hause.« Ich erkundigte mich, ob ich ihr ein Taxi besorgen solle oder ob ich sie, falls sie zu Fuß gehen wolle, begleiten könne. Miriam lehnte den Kopf zurück. »Du weißt es wohl nicht? Wir haben denselben Weg. Ich wohne über dem Weinladen, genauer gesagt unter dem Dach.«

      Gern nahm ich die Einladung an, bei ihr noch ein Glas Wein zu trinken. Ihr Appartement erstreckte sich über die gesamte Breite des Hauses. Offenbar waren die beiden Wohnungen des Obergeschosses zusammengelegt, weitgehend entkernt und die jeweiligen Decken zum Dachboden entfernt worden.

      Küche, Ess- und Wohnzimmer bildeten einen großen gemeinsamen Raum, der konsequent karg eingerichtet war. Die weiß gekalkten Wände ragten bis zum Giebel, wo die Balken freilagen. In der Küche verbarg ein weißer, geschlossener Einbauschrank im Shakerstil alles, was den Blick hätte stören können. Lediglich Fugen, Leisten und Griffe verrieten, dass dahinter Fächer, Schubladen und wohl auch der Kühlschrank waren. Herd, Spüle und Arbeitsplatte befanden sich unterhalb eines großen Fensters. Davor stand ein schlichter Tisch. Dessen ovale Glasplatte ruhte auf zwei schweren, glatt polierten Holzklötzen. Die Stühle wiederum waren – jeder für sich – ganz unterschiedlich aus Weinstockholz geformt und mit Stroh umwickelt. Hinten im Raum stand ein riesiges Sofa, das mit weißem Leinen bezogen war. An den Wänden hingen drei Bilder, die von der sonstigen Reduziertheit abstachen.

      Miriam bemerkte, dass ich die Bilder betrachtete: »Die hat meine Tochter gemalt. Das hier stellt den Tod dar.« Sie deutete auf ein Bild, das eine erstaunliche Ruhe und Gelassenheit ausstrahlte. In seinen Farben glich es einer Sonne, die zugleich unter- und aufgeht, und in seiner Tiefe einem Weg, der scheinbar zu einem bestimmten Ziel und dennoch ins Unendliche führt.

      Mein Blick fiel auf das zweite Bild. Es zeigte von hinten in Gelb- und Brauntönen die Silhouette eines Mannes, der recht alt und doch ohne Alter war, der groß und schwer, gebeugt und gebrochen schien, einen schäbigen Mantel trug mit gelbem Flicken am Rücken sowie einen Hut, der tief hinuntergezogen war. Ein Mensch, der fort, ins Feuer, ins Nichts geht, der, gedemütigt, noch immer von innen heraus leuchtet, während er bereits verlischt. Miriam sagte, das Bild heiße »Abschied«, und wies auf das dritte, das sie »Ankunft« nannte. Dieses war, in unterschiedlichen Nuancen, einfach nur in Gelb gehalten. Es glich einem Licht, das sich in unendlich viele Teile auflöst und sich dennoch zum Ganzen vereint.

      Während ich noch weiter schaute, hatte Miriam bereits eine Flasche geöffnet. Sie goss den Wein in zwei bauchige Gläser, wo er dunkelrot funkelte und nach Sommererde und Brombeeren roch. Wir stießen an, und ich fragte etwas verwundert, da ich kein einziges Buch entdeckte, ob sie nur elektronisch lese. Anstatt zu antworten, bugsierte sie mich ins Arbeitszimmer. Obwohl relativ klein, war es gefüllt mit Bücherregalen. Nur die Fensterfront war frei. Dort stand ein einfacher, antiker Schreibtisch, auf dem ein Notebook lag.

      Wir sprachen über Literatur und stellten fest, dass wir beide Stefan Zweig lieben. Lebhaft diskutierten wir, welches seiner Bücher uns warum am besten gefällt. Der Abend verflog so schnell wie der Hauch eines Atems. Als ich ging, war es schon nach Mitternacht.

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