Nina Heick

REISE OHNE ZIEL


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atemlosen Kampfes tauchte ich an der Oberfläche auf, stach den Kerlen in die Augäpfel und trat heftigst in ihre Weichteile. Auf diese Weise gelang es mir, mich aus den Fängen zu befreien und in Windeseile davonzukraulen. Ende der Geschichte: Meine Freundin mimte das Unschuldslamm, mein Vater glaubte kein Wort und meine Mutter war zutiefst bestürzt. Das Gefühl völliger Wehrlosigkeit gehört zu den schlimmsten Dingen, die ich mir ausmalen kann. Nun beschäftigt mich die Frage, ob die in Köln von den Männern ausgegangene Aggressivität und organisierte, sexualisierte Gewalt an Frauen Signale gegen Freizügigkeit setzen sollen, um Zwanglosigkeit, Unabhängigkeit und Lebensgenuss einzuschränken. Alias Bestrafung und Folter von Ungläubigen? In Ägypten und anderen Nationen des Nahen Ostens sind Belästigungen dieser Art weit verbreitet. Offenbar meint man dort, der Westen gebe in Musikvideos und in der Werbung sexuelle Freiheiten vor. Nämlich „leicht zu habende“ Mädchen, die dem Anschein nach in mancher Augen Frischfleisch oder Freiwild darstellen ... Vielleicht wäre das alles nicht passiert, wenn die Damen hierzulande verschleiert gewesen wären. Wohin soll das führen? Ob sich Muslimas wirklich freiwillig verhüllen – unter anderem zu ihrem Schutz – kann ich nicht beurteilen. Wenn der Hidschab oder die Burka aus religiöser Überzeugung getragen, sogar als eine Form der Emanzipation verstanden werden, und eben nicht zum Zeichen der politischen Ideologie des Islamismus, verstehe ich das. Die Kehrseite dessen, dass zahlreiche von ihnen zur Verschleierung und zum Verzicht auf ihre äußere Individualität gezwungen und unter dem Deckmantel der Ehre drangsaliert werden, findet bei mir wiederum keine Akzeptanz. Unter diesen Voraussetzungen möchte ich mir erlauben zu behaupten, dass weder das Kopftuch, die Ganzkörperverhüllung noch solche Männer, die sich vermessen, derart die weiblichen Entscheidungs- und Entfaltungsmöglichkeiten einzuschränken; Reinheit und Treue zu fordern; ihre Gattin zu Gehorsamkeit zu verpflichten; oder die körperliche Überlegenheit als Machtinstrument zu benutzen, nicht zu Deutschland passt. Es geht mich nichts an, und doch geht’s mich was an. Und zwar dann, wenn dieser Patriarchalismus nach Europa geschleppt wird. Zumal ich mich selbst für eine „relativ“ emanzipierte Frau halte, die sich von keinem Kerl herumkommandieren und bevormunden lässt. Meine Veranschaulichung mag einen einseitigen und kausalen Eindruck machen. Dennoch stütze ich mich nicht nur auf Hypothesen, sondern auch auf Erzählungen. Um mal ein Extrem-Beispiel zu nennen: Als Jugendliche führte ich eine unbeständige Affäre mit einer Neunzehnjährigen, die ihre Mutter häufig in Hamburg besuchte und bauchfrei auf Lesbenpartys tanzte, aber aus Liebe zu ihrem Vater, der sie zwangsverheiraten wollte, immer wieder zurück nach Saudi-Arabien kehrte. Trotz des Konflikts, ihre Homosexualität verleugnen und sich unter einer Nikab verstecken zu müssen. Und trotz ihrer Kritik an dem Auseinandergrätschen zwischen den westlichen und islamischen Rechten. Die Scharia, sagte sie, fuße nämlich auf den Gesetzen und Normen aus dem Koran und der Sunna (Überlieferungen von Taten und Aussprüchen des Propheten Mohammad), vermische Gesellschaft, Religion und Politik. Demzufolge würden nicht nur das gemeinschaftliche und private Leben (Riten, Ehepflicht, Scheidung etc.) sowie die Glaubenspraxis geregelt, sondern auch menschenverachtende, folternde Haft-, Prügel- und Todesstrafen (Steinigung usw.). Ich weiß noch, wie sehr ich mich in ihre Schönheit – schwarze dicke Locken, kleine, zierliche Statur – verknallt hatte. Und so wurden ihre Qualen schnell zu den meinen. Sie fürchtete sich entsetzlich vor den möglichen Konsequenzen (etwa Auspeitschung oder Verbannung), die ihr bevorstehen würden, wenn ich sie im Bett entjungfert hätte. Was aus ihr geworden ist ... keine Ahnung. Der Kontakt riss irgendwann ab. Wozu solche Gräueltaten? Weil Gott es will? Quatsch! Das Thema Religion ist jedoch grundsätzlich nicht mein Ding – ganz gleich, ob Christen-, Judentum oder Pipapo. Und erst recht keine Radikalisierungen – seien sie religiös, politisch oder sozial motiviert. Mir hat man nämlich, als ich klein war, eingebläut, Gott sehe alles. Infolgedessen beobachtete er mich auch dabei, wie ich mir die Schnauze meines Teddys zwischen die Oberschenkel presste, in eine Ecke meines Kinderzimmers kackte oder Frösche sezierte. So fangen vermutlich Psychosen und Wahnvorstellungen an. Denn Gott straft die Sündigen. Immerhin werden heute vermehrt seine Barmherzigkeit und Liebe betont, und es wird dem Teuflischen weniger Beachtung geschenkt. Der Herr wird’s schon richten – noch so ’ne Floskel, die etliche als Vorwand zur Abgabe der Verantwortung und Rechtfertigung ihres Fehlverhaltens missbrauchen. Aber nur, weil ich selbst nicht gläubig bin, mir zum Zeichen meiner Negation mit sechzehn ein umgedrehtes Kreuz ins linke Handgelenk schnitt (das mittlerweile übertätowiert ist) und provokativ als Grufti in den Konfirmandenunterricht stolzierte, da der Herr mich vor gor nix verschonte, heißt das nicht, dass ich keinen Respekt vor denen habe, die es tun und brauchen, um sich aufgehoben zu fühlen und Halt in der Einsamkeit zu finden. Nichtsdestotrotz erwarte ich den gleichen Respekt gegenüber meiner Entscheidung, mich nicht für das Göttliche auszusprechen, die zehn Gebote und Inhalte der Bibel zu hinterfragen, weil sie durch „stille Post“ übermittelt wurden, die ich nicht wörtlich nehmen kann. Mir ist unklar, warum es nur einen Gott geben darf, wo es von allem mehrere gibt. Wieso Gott zumeist männlich dargestellt wird, obwohl mir ein mütterlicher Schutzengel eher zusagen würde. Und aus welchem Grunde die Kirchen zu Spenden aufrufen ... Für den Fall, dass unsere Gebete nicht erhört werden? Warum ich dies oder das nicht tun und selbstlos agieren soll, wo doch jeder persönliches Wohl anstrebt, und die Sünde ein unausweichliches Laster der Natur ist. Man kann im Sinne des gesunden Egoismus auch an sich selbst denken, ohne dass einem die anderen egal sind. Nach und nach kommen weitere silvesterähnliche Fälle ans Tageslicht, bei denen die Herkunft der Täter erst mal verschwiegen wurde, um nicht als ausländerfeindlich zu gelten. Viel zu spät beginnt die Politik, ihr Gutmensch-Image zu überdenken. Gruselig, was auf unserer Welt vor sich geht ... Die Welt Die Welt und ihr ganzes Leid ... Was ist die Welt – voller Hass und Gewalt? Menschen, die nicht respektieren, Immer öfter einander ignorieren ... Gegenseitig verletzen, Trauer schaffen, Wehren nur mit Händen oder Waffen. Lieben auseinanderbrechen, Ständig über andre sprechen. Das Leben besteht aus Kummer und Sorgen, Man fühlt sich verloren, kaum geborgen. Doch die Hoffnung, die stirbt zuletzt, Hat schon einige in Frieden versetzt. So viel Schönes zum Genießen, Freuden durch die Adern fließen. Lachen übers kleinste Glück, Bringt Liebe in die Welt zurück ...

      Drama, Baby, Drama ...

      21. Januar Seit vier Tagen bin ich krankgeschrieben, weil ich vergangenes Wochenende spontan operiert werden musste. Diagnose: Steißabszess. Schon mehrere Monate lang plagte mich da so eine Verhärtung, die sich letztlich schwer entzündete und so dick anschwoll, dass ich vor Schmerzen weder sitzen noch liegen konnte. Als ich erfuhr, dass ich in Vollnarkose versetzt werden und über Nacht im Krankenhaus bleiben würde, brach alles in mir zusammen. Ich flennte unaufhörlich – aus Angst, nicht mehr aufzuwachen. Außerdem graute mir vor der Vorstellung, ich laufe zeit meines Lebens mit einer überdimensional großen Narbe durch die Gegend. Momentan sieht es auch ganz danach aus. Dort, wo das Gewebe entnommen wurde, befindet sich nun ein Loch im Durchmesser von vier mal fünf Zentimeter. Sieht ziemlich beschissen aus. Zweimal täglich wechsle ich den Verband. Dass ich meine Termine absagen musste, kotzt mich richtig an, zumal mir dieses Nichtstun schadet. Ich schaufle Gummibärchen, langweile mich halb zu Tode und grübele. Ich könnte für die bald anstehende Rechtsklausur lernen. Da ich aber inzwischen den Anschluss verloren habe, weiß ich nicht, wo ich anfangen soll. Stattdessen rege ich mich wieder darüber auf, dass meine Nachbarn bis spät abends bulgarische Volksmusik hören und laut rumproleten, die Wohnungsmieten seien zu hoch, um umzuziehen; dass sich meine Vermieterin um nichts kümmert und mürrisch abdankt, sobald ich sie kontaktiere; dass es impossible ist, zum Sport zu gehen; dass ich gleich zu Anfang in der neuen Praktikumsstelle fehle, was bestimmt keinen guten Eindruck macht usw. Und dann ärgere ich mich über Paschis Verhalten im Krankenhaus – über seinen Konkurrenzkampf mit meiner Mutter. Er nahm mich ihr regelrecht weg! Mama verweigerte er jede Möglichkeit, mich zu umarmen oder zu küssen, weil er vermutlich davon ausging, ihr beweisen zu müssen, was für ein toller „Schwiegersohn“ er sei. Manchmal glaube ich, er ist eifersüchtig auf Susi. Denn er will der Mensch sein, den ich am meisten liebe. Das mit dem Motorradgeschäft hat sich übrigens erledigt, ich wusste es! Vor Kurzem prahlte er, sich mit dem Chef der Firma zu treffen, und bildete sich ein, dass er jetzt Geschäftsleiter werde. Blöd,