Toma Behlsum

Kuhland


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ihnen zutiefst zuwider sind, wie etwa Kaffee oder Bier zu bringen.’

      ‚Und was sind dann das hier für welche?’

      ‚Letztendlich gibt es neuerdings Bedienungen, und diese hier zählen dazu, die auf die Frage, ‚Sind Sie hier die Bedienung’? antworten würden, das wüssten sie auch nicht, die Frage habe sich ihnen irgendwie nie gestellt. Der worst case.’

      Trisch murmelt jetzt wieder was von Amerikanismen, die Freundin fährt aber ungerührt fort:

      ‚Davon haben die vom Land ja keine Ahnung. Deshalb fahren die Bewohner von Kleinstädten auch immer mit einem kundigen Reiseleiter im Omnibus als Gruppenreise in die Großstadt.’

      Auch die Freundin von Trisch hat während ihres Vortrages ununterbrochen versucht, die Aufmerksamkeit der Bedienung zu bekommen, einer blonden jungen Frau mit wachsblonden Haaren, die zu einem dicken Zopf geflochten sind, und die dadurch aussieht wie die Madonna, die Madonna in katholischen Kirchen, nicht die Sängerin.

      Der Foxterrier von Trisch hat sich derweil an den Nachbartisch gesetzt.

      ‚Auf dem Land heißt es immer nur, Kollege kommt sofort, oder: ich sag’s dem Kollegen oder der Kellner ruft gleich: Kollege’ sagt der Mann der Freundin, um auch etwas gesagt zu haben.

      Trisch überlegt, ihrem Hund zu folgen. Jan steht auf und flüstert der Madonna etwas ins Ohr und bereits 20 Minuten später hat Jan einen Martini Cocktail und die anderen alle Kaffee und Kuchen, einmal Nusskirsch, einmal Engadiner Nuss und einmal Zitronentarte. Der Kuchen ist ganz ökologisch und schmeckt hervorragend, da oft die Qualität von etwas steigt, je schwerer es zu erlangen ist.

      Die nächsten Tage verbringt Trisch mit packen, und Jan fährt voraus und mietet derweil ein Haus. Es liegt am Ende eines finsteren Tobels*, und die Finsternis überträgt sich auf das Haus. Das ehemalige Kleinbauernhaus ist vor etwa 40 Jahren von einem deutsch-amerikanischen evangelikalen Pfarrer renoviert worden, der einige Jahre darin gewohnt hat, bis es der Familie zu dumm geworden ist, die unter die Bettdecke kriechende Feuchtigkeit aus dem Tobel und die Schläge des Pfarrers für jedes noch so kleine Vergehen oder vielmehr natürlich Versündigen, und sie sich in alle Winde zerstreut hat. Da wollte auch der Pfarrer nicht mehr bleiben und verschwand ebenfalls. Seitdem hat das Haus alle paar Jahre den Besitzer gewechselt.

      ‚Schlechtes Karma’, sagt der jetzige Vermieter in seltener Offenheit zu Jan.

      ‚Egal’, sagt Jan, ‚wir bleiben nicht lange.’

      Jan ist überrascht, wie entspannt er plötzlich ist. Er war über 20 Jahre im, wie er es nennt, Transportgewerbe tätig, zuerst hat er Kulturgüter illegal über die Grenze gebracht, und zwar in beide Richtungen, je nach Auftraggeber, später, als der Kulturgütertransfer abnahm, andere Sachen. Damit ist jetzt Schluss. Er befindet sich im Übergang zu einem neuen Leben.

      *sun tzu, auch sunzi, Meister Sun, ein chinesischer Militärstratege, 500 v.Chr.

      *alemannisch für ‚enges Tal’

      5

      Ruth sitzt im Büro ihres Einsatzleiters in der Ettstraße in München.

      ‚Frau Ruth Eskape, sie sind unsere beste Kommissaranwärterin seit 1977.’ Ruth nickt. Das ist für Sie nichts Neues. Sie liebt ihre Arbeit.

      ‚Sie sind außerdem Jahrgangsbeste im Lehrgang zur Terrorbekämpfung, haben den dritten Dan im Taekwondo . . ’ ‚Vierten’, unterbricht ihn Ruth.

      ‚. . haben den vierten Dan in Taekwondo und sind ehrenamtlich Schatzmeisterin im Bürgerbüro für Integration.’

      Ruth nickt wieder. Draußen scheint die Sonne. Sie fragt sich, warum dann das Büro des Abteilungsleiters keine Sonne abbekommt, selbst jetzt im Frühsommer nicht, ob das an der Position des Zimmers oder an der Person des Abteilungsleiters liegt.

      ‚Ihre Verhaftungen liegen 300 Prozent über dem Durchschnitt, außerdem waren Sie in den letzten 2 Jahren genau elf Mal in der Presse erwähnt, drei Mal positiv und acht Mal negativ, und es läuft ein Verfahren gegen Sie wegen Körperverletzung.’

      ‚War Widerstand gegen die Festnahme’, präzisiert Ruth.

      ‚Und deswegen sind Sie für unser Team nicht mehr tragbar.’ Ruth hört geduldig zu und wartet, was kommt. Sie weiß selber, dass ihre 300 Prozent demoralisierend auf die Truppe gewirkt haben, dass das der Grund ist, und nicht die Pressemeldungen, weil Presseverlautbarungen immer erwünscht sind, egal ob positiv oder negativ, im Gegenteil, negativ = Polizei tut was, greift hart durch, und wer nichts verbrochen hat, hat schließlich auch nichts zu befürchten, zumindest nicht von der Polizei, meistens jedenfalls.

      ‚Wir möchten Sie daher zur Kommissarin befördern, als Dienststellenleiterin in Lindenberg im Allgäu.’

      ‚Ich möchte gerne in der Stadt bleiben’ antwortet sie trotzig. ‚Ich liebe meine Arbeit hier.’

      Das ist es ja, denkt der Vorgesetzte, du liebst deine Arbeit so sehr dass wir dich schleunigst los werden wollen. Das sagt er aber nicht.

      ‚Lindenberg ist eine Stadt’, sagt der Vorgesetzte stattdessen.

      ‚Waren Sie denn schon mal da?’

      ‚Noch nicht’, gibt der Vorgesetzte zu, ‚aber ich verspreche Ihnen, Sie einmal zu besuchen.’

      ‚Ich möchte den Chef sprechen.’

      ‚Möchten Sie das wirklich?’ Der Vorgesetzte versteht nicht, wie jemand freiwillig den Chef sprechen will, er selbst geht ihm aus dem Weg so gut es geht.

      ‚Ja.’

      Der Chef kommt und gratuliert Ruth zur Beförderung.

      ‚Ich möchte in der Stadt bleiben’ teilt sie ihm kategorisch mit.

      ‚Lindenau ist eine Stadt’ antwortet der Chef.

      ‚Lindenberg’ korrigiert der Vorgesetzte.

      ‚Lindenberg auch.’

      ‚Kann ich dann nicht dann wenigstens woanders hin?’ fragt Ruth, nun schon etwas verzweifelt. ‚Nach Augsburg oder Nürnberg zum Beispiel?’

      ‚An der Größe der Stadt liegt es nicht’, meint der Vorgesetzte, ‚das Problem ist: Sie sind nicht vermittelbar. Mit 300 Prozent nimmt einen niemand. Wir haben alles versucht. Nur Lindenberg blieb übrig.’

      ,Was haben Sie gegen das Allgäu, wo es so schön ist, dass Sie nie wieder weggehen möchten. Dort wohnen Sie dann mit vielen wilden Tieren und mit Kühen, und der Himmel wird nachts dunkel sein und der Mond scheint hell, und die laute Natur wird die böse Welt draußen übertönen’ ergänzt der Chef.

      ‚Jetzt spinnt er völlig’, denkt Ruth,

      ‚Wir haben natürlich bei dem Bestreben, Sie los zu werden, uns überall nach einer Stelle für Sie erkundigt, aber es sieht nicht gut aus’, wiederholt der Chef. ‚Vielleicht gibt es ja eine Stelle in der Polizeiausbildung in Afghanistan. Dort ist es allerdings im Winter sehr kalt und windig und im Sommer brüllend heiß, was zu Rothaarigen wie Sie nicht passt.’

       ‚Ja’, sagte der Dienststellenleiter, ‚das wäre durchaus möglich.’ Er ließ dabei offen, ob er damit sagen wollte, dass es möglicherweise eine Stelle dort gäbe oder dass es dort ungemütlich sei. Ruth schweigt.

      Der Vorgesetzte und der Chef interpretieren das Schweigen als Zustimmung und strecken ihr ihre Hand entgegen.

       ‚Viel Glück’, sagen sie beinahe fröhlich. Ruth verlässt das Büro. Der Chef klopft dem Vorgesetzten auf die Schulter und sie gehen in die Kantine ein Bier trinken. ‚Dieser Rotschopf’, sagt der Chef noch. ‚Warte nur, wir werden sie vermissen.’

      Ruth geht auf die Straße. ‚Sie werden mich vermissen’, denkt sie, ‚aber nicht lange, dann bin ich wieder da.’

      6